Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_244.001 Ha, welch ein Gottesdienst der Nacht! und doch kein ppo_244.002
Gott? -- ppo_244.003 Bei jenen flammenden Altären ppo_244.004 Jm Tempel der Natur! Hier ist, hier waltet Gott! ppo_244.005 Sein Odem weht durch diese Stralenlaube; ppo_244.006 Dort betet die Vernunft: Erhabener, du bist! ppo_244.007 Bist nahe dem beseelten Staube! ppo_244.008 Ja, wenn den Heiligen die Grübelei vermißt; ppo_244.009 Dann findet ahnend ihn der Glaube, ppo_244.010 Der die Vernunft der Tugend ist. ppo_244.011 Es sey kein Gott! und todt sind diese Himmelsflammen; ppo_244.012 Sie haben hin durch deine Nacht geblitzt, ppo_244.013 Und Trümmer baun den wüsten Thron zusammen, ppo_244.014 Auf welchem einsam nur und stumm der Tod noch sitzt. ppo_244.015 Es sey kein Gott, von dem die Welten stammen; ppo_244.016 Jm Schoos des Zufalls ist der Lichttag aufgewacht; ppo_244.017 Der weise Zufall rief in aller ihrer Pracht ppo_244.018 Die tausend Sonnen hin in diese Glanzgefilde, ppo_244.019 Damit aus tausend Sonnen -- Eine Nacht, ppo_244.020 Des Nichtseyns große Nacht sich bilde? ppo_244.021 Und die Natur, die holde Pflegerin, ppo_244.022 Auf deren Schoos wir einst in Schlummer fallen, ppo_244.023 Sie fragt umsonst: woher? wohin? ppo_244.024 Nein, Gottes Finger schrieb an diese Aetherhallen ppo_244.025 Mit heller Sternenschrift: ich bin! ppo_244.026 So find' ich denn im großen Weltenstrome, ppo_244.027 Wo Schöpfung sich an Schöpfung knüpft, ppo_244.028 Und im lebendigen Atome, ppo_244.029 Der, kaum gesehn, im Lichtstral hüpft: ppo_244.030 Ein Gott bevölkerte die unermeßnen Weiten ppo_244.031 Mit Geistern, angestralt von seiner Göttlichkeit; ppo_244.032 Vor ihm ist keine Zeit, uns gab er Raum und Zeiten; ppo_244.033 Er wandelt still dahin durch seine Ewigkeiten, ppo_244.034 Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit. ppo_244.001 Ha, welch ein Gottesdienst der Nacht! und doch kein ppo_244.002
Gott? — ppo_244.003 Bei jenen flammenden Altären ppo_244.004 Jm Tempel der Natur! Hier ist, hier waltet Gott! ppo_244.005 Sein Odem weht durch diese Stralenlaube; ppo_244.006 Dort betet die Vernunft: Erhabener, du bist! ppo_244.007 Bist nahe dem beseelten Staube! ppo_244.008 Ja, wenn den Heiligen die Grübelei vermißt; ppo_244.009 Dann findet ahnend ihn der Glaube, ppo_244.010 Der die Vernunft der Tugend ist. ppo_244.011 Es sey kein Gott! und todt sind diese Himmelsflammen; ppo_244.012 Sie haben hin durch deine Nacht geblitzt, ppo_244.013 Und Trümmer baun den wüsten Thron zusammen, ppo_244.014 Auf welchem einsam nur und stumm der Tod noch sitzt. ppo_244.015 Es sey kein Gott, von dem die Welten stammen; ppo_244.016 Jm Schoos des Zufalls ist der Lichttag aufgewacht; ppo_244.017 Der weise Zufall rief in aller ihrer Pracht ppo_244.018 Die tausend Sonnen hin in diese Glanzgefilde, ppo_244.019 Damit aus tausend Sonnen — Eine Nacht, ppo_244.020 Des Nichtseyns große Nacht sich bilde? ppo_244.021 Und die Natur, die holde Pflegerin, ppo_244.022 Auf deren Schoos wir einst in Schlummer fallen, ppo_244.023 Sie fragt umsonst: woher? wohin? ppo_244.024 Nein, Gottes Finger schrieb an diese Aetherhallen ppo_244.025 Mit heller Sternenschrift: ich bin! ppo_244.026 So find' ich denn im großen Weltenstrome, ppo_244.027 Wo Schöpfung sich an Schöpfung knüpft, ppo_244.028 Und im lebendigen Atome, ppo_244.029 Der, kaum gesehn, im Lichtstral hüpft: ppo_244.030 Ein Gott bevölkerte die unermeßnen Weiten ppo_244.031 Mit Geistern, angestralt von seiner Göttlichkeit; ppo_244.032 Vor ihm ist keine Zeit, uns gab er Raum und Zeiten; ppo_244.033 Er wandelt still dahin durch seine Ewigkeiten, ppo_244.034 Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0256" n="244"/> <lb n="ppo_244.001"/> <lg> <l>Ha, welch ein Gottesdienst der Nacht! und doch kein</l> <lb n="ppo_244.002"/> <l> <hi rendition="#right">Gott? —</hi> </l> <lb n="ppo_244.003"/> <l>Bei jenen flammenden Altären</l> <lb n="ppo_244.004"/> <l>Jm Tempel der Natur! Hier ist, hier waltet Gott!</l> <lb n="ppo_244.005"/> <l>Sein Odem weht durch diese Stralenlaube;</l> <lb n="ppo_244.006"/> <l>Dort betet die Vernunft: Erhabener, du <hi rendition="#g">bist!</hi></l> <lb n="ppo_244.007"/> <l>Bist nahe dem beseelten Staube!</l> <lb n="ppo_244.008"/> <l>Ja, wenn den Heiligen die Grübelei vermißt;</l> <lb n="ppo_244.009"/> <l>Dann findet ahnend ihn der Glaube,</l> <lb n="ppo_244.010"/> <l>Der die Vernunft der Tugend ist.</l> <lb n="ppo_244.011"/> <l> Es sey <hi rendition="#g">kein</hi> Gott! und todt sind diese Himmelsflammen;</l> <lb n="ppo_244.012"/> <l>Sie haben hin durch deine Nacht geblitzt,</l> <lb n="ppo_244.013"/> <l>Und Trümmer baun den wüsten Thron zusammen,</l> <lb n="ppo_244.014"/> <l>Auf welchem einsam nur und stumm der Tod noch sitzt.</l> <lb n="ppo_244.015"/> <l>Es sey kein Gott, von dem die Welten stammen;</l> <lb n="ppo_244.016"/> <l>Jm Schoos des Zufalls ist der Lichttag aufgewacht;</l> <lb n="ppo_244.017"/> <l>Der weise Zufall rief in aller ihrer Pracht</l> <lb n="ppo_244.018"/> <l>Die tausend Sonnen hin in diese Glanzgefilde,</l> <lb n="ppo_244.019"/> <l>Damit aus tausend Sonnen — <hi rendition="#g">Eine</hi> Nacht,</l> <lb n="ppo_244.020"/> <l>Des Nichtseyns große Nacht sich bilde?</l> <lb n="ppo_244.021"/> <l>Und die Natur, die holde Pflegerin,</l> <lb n="ppo_244.022"/> <l>Auf deren Schoos wir einst in Schlummer fallen,</l> <lb n="ppo_244.023"/> <l>Sie fragt umsonst: woher? wohin?</l> <lb n="ppo_244.024"/> <l>Nein, Gottes Finger schrieb an diese Aetherhallen</l> <lb n="ppo_244.025"/> <l>Mit heller Sternenschrift: <hi rendition="#g">ich bin!</hi></l> <lb n="ppo_244.026"/> <l> So find' ich denn im großen Weltenstrome,</l> <lb n="ppo_244.027"/> <l>Wo Schöpfung sich an Schöpfung knüpft,</l> <lb n="ppo_244.028"/> <l>Und im lebendigen Atome,</l> <lb n="ppo_244.029"/> <l>Der, kaum gesehn, im Lichtstral hüpft:</l> <lb n="ppo_244.030"/> <l>Ein Gott bevölkerte die unermeßnen Weiten</l> <lb n="ppo_244.031"/> <l>Mit Geistern, angestralt von seiner Göttlichkeit;</l> <lb n="ppo_244.032"/> <l>Vor ihm ist keine Zeit, uns gab er Raum und Zeiten;</l> <lb n="ppo_244.033"/> <l>Er wandelt still dahin durch seine Ewigkeiten,</l> <lb n="ppo_244.034"/> <l>Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0256]
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Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit.
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/256>, abgerufen am 16.07.2024. |