Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_176.001
den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen ppo_176.002
Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos ppo_176.003
eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe ppo_176.004
von der Hymne, und die Heroide von der Elegie; ppo_176.005
sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der ppo_176.006
Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so ppo_176.007
der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede ppo_176.008
nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude ppo_176.009
und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und ppo_176.010
Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der ppo_176.011
Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen ppo_176.012
Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der ppo_176.013
Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können ppo_176.014
die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der ppo_176.015
Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich ppo_176.016
ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte ppo_176.017
stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten, ppo_176.018
oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung, ppo_176.019
Mannigfaltigkeit und Schattirung des ppo_176.020
lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden ppo_176.021
kann, besonders wenn durch die Recitative die ppo_176.022
Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere ppo_176.023
gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet ppo_176.024
dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten ppo_176.025
Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate, ppo_176.026
deren Aufeinanderfolge gleichmäßig von ppo_176.027
dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt, ppo_176.028
überhaupt Ein ästhetisches Ganzes bilden, dessen ppo_176.029
Vollendung auf der innern Einheit und auf ppo_176.030
dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate ppo_176.031
im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle ppo_176.032
beruht. Weil aber die Cantate zunächst und ppo_176.033
durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet ppo_176.034
ist, und nur diese erst als Kunstwerk vollen=

ppo_176.001
den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen ppo_176.002
Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos ppo_176.003
eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe ppo_176.004
von der Hymne, und die Heroide von der Elegie; ppo_176.005
sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der ppo_176.006
Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so ppo_176.007
der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede ppo_176.008
nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude ppo_176.009
und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und ppo_176.010
Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der ppo_176.011
Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen ppo_176.012
Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der ppo_176.013
Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können ppo_176.014
die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der ppo_176.015
Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich ppo_176.016
ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte ppo_176.017
stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten, ppo_176.018
oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung, ppo_176.019
Mannigfaltigkeit und Schattirung des ppo_176.020
lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden ppo_176.021
kann, besonders wenn durch die Recitative die ppo_176.022
Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere ppo_176.023
gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet ppo_176.024
dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten ppo_176.025
Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate, ppo_176.026
deren Aufeinanderfolge gleichmäßig von ppo_176.027
dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt, ppo_176.028
überhaupt Ein ästhetisches Ganzes bilden, dessen ppo_176.029
Vollendung auf der innern Einheit und auf ppo_176.030
dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate ppo_176.031
im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle ppo_176.032
beruht. Weil aber die Cantate zunächst und ppo_176.033
durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet ppo_176.034
ist, und nur diese erst als Kunstwerk vollen=

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="176"/><lb n="ppo_176.001"/>den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen <lb n="ppo_176.002"/>Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos <lb n="ppo_176.003"/>eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe <lb n="ppo_176.004"/>von der Hymne, und die Heroide von der Elegie; <lb n="ppo_176.005"/>sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der <lb n="ppo_176.006"/>Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so <lb n="ppo_176.007"/>der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede <lb n="ppo_176.008"/>nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude <lb n="ppo_176.009"/>und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und <lb n="ppo_176.010"/>Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der <lb n="ppo_176.011"/>Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen <lb n="ppo_176.012"/>Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der <lb n="ppo_176.013"/>Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können <lb n="ppo_176.014"/>die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der <lb n="ppo_176.015"/>Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich <lb n="ppo_176.016"/>ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte <lb n="ppo_176.017"/>stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten, <lb n="ppo_176.018"/>oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung, <lb n="ppo_176.019"/>Mannigfaltigkeit und Schattirung des <lb n="ppo_176.020"/>lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden <lb n="ppo_176.021"/>kann, besonders wenn durch die Recitative die <lb n="ppo_176.022"/>Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere <lb n="ppo_176.023"/>gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet <lb n="ppo_176.024"/>dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten <lb n="ppo_176.025"/>Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate, <lb n="ppo_176.026"/>deren <hi rendition="#g">Aufeinanderfolge</hi> gleichmäßig von <lb n="ppo_176.027"/>dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt, <lb n="ppo_176.028"/>überhaupt <hi rendition="#g">Ein ästhetisches Ganzes</hi> bilden, dessen <lb n="ppo_176.029"/>Vollendung auf der <hi rendition="#g">innern</hi> Einheit und auf <lb n="ppo_176.030"/>dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate <lb n="ppo_176.031"/>im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle <lb n="ppo_176.032"/>beruht. Weil aber die Cantate zunächst und <lb n="ppo_176.033"/>durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet <lb n="ppo_176.034"/>ist, und nur diese erst als Kunstwerk <hi rendition="#g">vollen=
</hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0188] ppo_176.001 den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen ppo_176.002 Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos ppo_176.003 eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe ppo_176.004 von der Hymne, und die Heroide von der Elegie; ppo_176.005 sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der ppo_176.006 Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so ppo_176.007 der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede ppo_176.008 nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude ppo_176.009 und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und ppo_176.010 Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der ppo_176.011 Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen ppo_176.012 Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der ppo_176.013 Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können ppo_176.014 die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der ppo_176.015 Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich ppo_176.016 ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte ppo_176.017 stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten, ppo_176.018 oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung, ppo_176.019 Mannigfaltigkeit und Schattirung des ppo_176.020 lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden ppo_176.021 kann, besonders wenn durch die Recitative die ppo_176.022 Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere ppo_176.023 gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet ppo_176.024 dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten ppo_176.025 Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate, ppo_176.026 deren Aufeinanderfolge gleichmäßig von ppo_176.027 dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt, ppo_176.028 überhaupt Ein ästhetisches Ganzes bilden, dessen ppo_176.029 Vollendung auf der innern Einheit und auf ppo_176.030 dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate ppo_176.031 im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle ppo_176.032 beruht. Weil aber die Cantate zunächst und ppo_176.033 durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet ppo_176.034 ist, und nur diese erst als Kunstwerk vollen=

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/188
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/188>, abgerufen am 22.11.2024.