Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_111.001 Lob des Weingottes (Bruchstück). * ppo_111.002 O Vater Bacchus komm, mein Geist der reget sich ppo_111.003
Zu fliegen in dein Lob. Komm her, ich singe dich, ppo_111.004 Du edles Blitzen-Kind. Jch mag nicht letzter bleiben, ppo_111.005 Da Teutschland diesen Tag sich unter dir läßt schreiben, ppo_111.006 Und stellt die Feier an. Du Geber aller Lust ppo_111.007 Giebst meiner Zunge Kraft, erquickest mir die Brust. ppo_111.008 Jch singe noch so gut, wann du mir in die Stirne ppo_111.009 Mit rechtem Maaße zeuchst. Ein nüchternes Gehirne ppo_111.010 Singt etwas, so doch nicht in langer Zeit besteht, ppo_111.011 Das mit dem Meister lebt, mit ihm auch untergeht. ppo_111.012 Was wäre doch das Pfand des Lebens ohne dich? ppo_111.013 Was hätten wir für Lust? Mit Weinen hebet sich ppo_111.014 Dies kurze Leben an, mit Hoffen und mit Zagen ppo_111.015 Vollführt man seine Zeit, mit Seufzen, Ach und Klagen ppo_111.016 Gesegnen wir die Welt. Da hilft kein Widerstehn! ppo_111.017 Jm Fall ich gut nicht will, so muß ich böse gehn. ppo_111.018 Drumb handelt dieser wohl, der seiner Zeit gebraucht, ppo_111.019 Der Zeit, die als ein Dampf in freier Luft verraucht, ppo_111.020 Und reißt uns mit sich hin; der auch mit großem Herzen ppo_111.021 Bleibt immer, wie er ist, verlachet Noth und Schmerzen, ppo_111.022 Stirbt ab der Sterblichkeit, und härtet seinen Muth. ppo_111.023 Hierzu, du Hüfte-Kind, sind deine Reben gut. ppo_111.024 Du starker Liber, du entzückst uns von der Erden, ppo_111.025 Du weckst die Sinnen auf, daß sie voll Geistes werden, ppo_111.026 Gehn allzeit über sich, bestehn wann alles fällt, ppo_111.027 Und schlügen auf sie zu auch Stücke von der Welt. * ppo_111.028
Absichtlich ist dieses Bruchstück unter die Hymnen, ppo_111.029 und nicht unter die Dithyramben aufgenommen, wohin ppo_111.030 es der Ueberschrift nach gehört hätte, weil ppo_111.031 der Ton und die Haltung der dichterischen Form durchaus ppo_111.032 nicht die trunkene Begeisterung bezeichnet, welche ppo_111.033 in der Dithyrambe vorherrschen muß. ppo_111.001 Lob des Weingottes (Bruchstück). * ppo_111.002 O Vater Bacchus komm, mein Geist der reget sich ppo_111.003
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Absichtlich ist dieses Bruchstück unter die Hymnen, ppo_111.029 und nicht unter die Dithyramben aufgenommen, wohin ppo_111.030 es der Ueberschrift nach gehört hätte, weil ppo_111.031 der Ton und die Haltung der dichterischen Form durchaus ppo_111.032 nicht die trunkene Begeisterung bezeichnet, welche ppo_111.033 in der Dithyrambe vorherrschen muß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0123" n="111"/> <lb n="ppo_111.001"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lob des Weingottes</hi> (Bruchstück). <note xml:id="PPO_111_a" place="foot" n="*"><lb n="ppo_111.028"/> Absichtlich ist dieses Bruchstück unter die Hymnen, <lb n="ppo_111.029"/>und nicht unter die Dithyramben aufgenommen, wohin <lb n="ppo_111.030"/>es <hi rendition="#g">der Ueberschrift nach</hi> gehört hätte, weil <lb n="ppo_111.031"/>der Ton und die Haltung der dichterischen Form durchaus <lb n="ppo_111.032"/>nicht die trunkene Begeisterung bezeichnet, welche <lb n="ppo_111.033"/>in der Dithyrambe vorherrschen muß.</note></hi> </p> <lb n="ppo_111.002"/> <lg> <l> O Vater Bacchus komm, mein Geist der reget sich</l> <lb n="ppo_111.003"/> <l>Zu fliegen in dein Lob. Komm her, ich singe dich,</l> <lb n="ppo_111.004"/> <l>Du edles Blitzen-Kind. Jch mag nicht letzter bleiben,</l> <lb n="ppo_111.005"/> <l>Da Teutschland diesen Tag sich unter dir läßt schreiben,</l> <lb n="ppo_111.006"/> <l>Und stellt die Feier an. Du Geber aller Lust</l> <lb n="ppo_111.007"/> <l>Giebst meiner Zunge Kraft, erquickest mir die Brust.</l> <lb n="ppo_111.008"/> <l>Jch singe noch so gut, wann du mir in die Stirne</l> <lb n="ppo_111.009"/> <l>Mit rechtem Maaße zeuchst. Ein nüchternes Gehirne</l> <lb n="ppo_111.010"/> <l>Singt etwas, so doch nicht in langer Zeit besteht,</l> <lb n="ppo_111.011"/> <l>Das mit dem Meister lebt, mit ihm auch untergeht.</l> <lb n="ppo_111.012"/> <l>Was wäre doch das Pfand des Lebens ohne dich?</l> <lb n="ppo_111.013"/> <l>Was hätten wir für Lust? Mit Weinen hebet sich</l> <lb n="ppo_111.014"/> <l>Dies kurze Leben an, mit Hoffen und mit Zagen</l> <lb n="ppo_111.015"/> <l>Vollführt man seine Zeit, mit Seufzen, Ach und Klagen</l> <lb n="ppo_111.016"/> <l>Gesegnen wir die Welt. Da hilft kein Widerstehn!</l> <lb n="ppo_111.017"/> <l>Jm Fall ich gut nicht will, so muß ich böse gehn.</l> <lb n="ppo_111.018"/> <l>Drumb handelt dieser wohl, der seiner Zeit gebraucht,</l> <lb n="ppo_111.019"/> <l>Der Zeit, die als ein Dampf in freier Luft verraucht,</l> <lb n="ppo_111.020"/> <l>Und reißt uns mit sich hin; der auch mit großem Herzen</l> <lb n="ppo_111.021"/> <l>Bleibt immer, wie er ist, verlachet Noth und Schmerzen,</l> <lb n="ppo_111.022"/> <l>Stirbt ab der Sterblichkeit, und härtet seinen Muth.</l> <lb n="ppo_111.023"/> <l>Hierzu, du Hüfte-Kind, sind deine Reben gut.</l> <lb n="ppo_111.024"/> <l>Du starker Liber, du entzückst uns von der Erden,</l> <lb n="ppo_111.025"/> <l>Du weckst die Sinnen auf, daß sie voll Geistes werden,</l> <lb n="ppo_111.026"/> <l>Gehn allzeit über sich, bestehn wann alles fällt,</l> <lb n="ppo_111.027"/> <l>Und schlügen auf sie zu auch Stücke von der Welt.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0123]
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/123>, abgerufen am 16.07.2024. |