Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.Versprochen hatte dem Gemahl Zelinde, Wie sehr sie schuldlos wäre, zu beweisen, Wann ihren Freund Diagoras die Winde Zurückgeführt von seinen weiten Reisen; Drum will sie schenken ihm als Angebinde Das Herz des Liebsten, und er soll es speisen; Er soll die Probe, die sie denkt zu liefern, Höchsteigen kau'n mit seinen beiden Kiefern! Sie ließ das Herz auf eine Weise kochen, Wodurch das Zähste selbst sich läßt verdauen: Der König aß es ohne Herzenspochen, Und ohne Vorgefühl und ohne Grauen; Da rief Zelinde: Was sie dir versprochen, Es hat's gethan die keuscheste der Frauen! Gegeben hab' ich dir die höchste Probe, Nun liebe mich und meinen Muth belobe! Was war Lukretia gegen mich, die rasche, Die doch dem Gatten blos zum Schmerz gestorben? Was Artemisia, welche mit der Asche Des Ehgemahls sich ihren Wein verdorben? Doch ist's vergebens, daß ich Namen hasche, Da gleichen Ruhm sich Keine hat erworben: Des Liebsten hat noch Keine sich entledigt, Wie sehr die Nachwelt ihre Namen predigt! Auf daß du könnest mein Verdienst ermessen, Und meine ganze Tugend ganz erfassest, So wisse denn, und woll' es nie vergessen, So wahr du jetzt aus Neubegier erblassest: Verſprochen hatte dem Gemahl Zelinde, Wie ſehr ſie ſchuldlos waͤre, zu beweiſen, Wann ihren Freund Diagoras die Winde Zuruͤckgefuͤhrt von ſeinen weiten Reiſen; Drum will ſie ſchenken ihm als Angebinde Das Herz des Liebſten, und er ſoll es ſpeiſen; Er ſoll die Probe, die ſie denkt zu liefern, Hoͤchſteigen kau'n mit ſeinen beiden Kiefern! Sie ließ das Herz auf eine Weiſe kochen, Wodurch das Zaͤhſte ſelbſt ſich laͤßt verdauen: Der Koͤnig aß es ohne Herzenspochen, Und ohne Vorgefuͤhl und ohne Grauen; Da rief Zelinde: Was ſie dir verſprochen, Es hat's gethan die keuſcheſte der Frauen! Gegeben hab' ich dir die hoͤchſte Probe, Nun liebe mich und meinen Muth belobe! Was war Lukretia gegen mich, die raſche, Die doch dem Gatten blos zum Schmerz geſtorben? Was Artemiſia, welche mit der Aſche Des Ehgemahls ſich ihren Wein verdorben? Doch iſt's vergebens, daß ich Namen haſche, Da gleichen Ruhm ſich Keine hat erworben: Des Liebſten hat noch Keine ſich entledigt, Wie ſehr die Nachwelt ihre Namen predigt! Auf daß du koͤnneſt mein Verdienſt ermeſſen, Und meine ganze Tugend ganz erfaſſeſt, So wiſſe denn, und woll' es nie vergeſſen, So wahr du jetzt aus Neubegier erblaſſeſt: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#BAL"> <pb facs="#f0077" n="71"/> <p>Verſprochen hatte dem Gemahl Zelinde,<lb/> Wie ſehr ſie ſchuldlos waͤre, zu beweiſen,<lb/> Wann ihren Freund Diagoras die Winde<lb/> Zuruͤckgefuͤhrt von ſeinen weiten Reiſen;<lb/> Drum will ſie ſchenken ihm als Angebinde<lb/> Das Herz des Liebſten, und er ſoll es ſpeiſen;<lb/> Er ſoll die Probe, die ſie denkt zu liefern,<lb/> Hoͤchſteigen kau'n mit ſeinen beiden Kiefern!</p><lb/> <p>Sie ließ das Herz auf eine Weiſe kochen,<lb/> Wodurch das Zaͤhſte ſelbſt ſich laͤßt verdauen:<lb/> Der Koͤnig aß es ohne Herzenspochen,<lb/> Und ohne Vorgefuͤhl und ohne Grauen;<lb/> Da rief Zelinde: Was ſie dir verſprochen,<lb/> Es hat's gethan die keuſcheſte der Frauen!<lb/> Gegeben hab' ich dir die hoͤchſte Probe,<lb/> Nun liebe mich und meinen Muth belobe!</p><lb/> <p>Was war Lukretia gegen mich, die raſche,<lb/> Die doch dem Gatten blos zum Schmerz geſtorben?<lb/> Was Artemiſia, welche mit der Aſche<lb/> Des Ehgemahls ſich ihren Wein verdorben?<lb/> Doch iſt's vergebens, daß ich Namen haſche,<lb/> Da gleichen Ruhm ſich Keine hat erworben:<lb/> Des Liebſten hat noch Keine ſich entledigt,<lb/> Wie ſehr die Nachwelt ihre Namen predigt!</p><lb/> <p>Auf daß du koͤnneſt mein Verdienſt ermeſſen,<lb/> Und meine ganze Tugend ganz erfaſſeſt,<lb/> So wiſſe denn, und woll' es nie vergeſſen,<lb/> So wahr du jetzt aus Neubegier erblaſſeſt:<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0077]
Verſprochen hatte dem Gemahl Zelinde,
Wie ſehr ſie ſchuldlos waͤre, zu beweiſen,
Wann ihren Freund Diagoras die Winde
Zuruͤckgefuͤhrt von ſeinen weiten Reiſen;
Drum will ſie ſchenken ihm als Angebinde
Das Herz des Liebſten, und er ſoll es ſpeiſen;
Er ſoll die Probe, die ſie denkt zu liefern,
Hoͤchſteigen kau'n mit ſeinen beiden Kiefern!
Sie ließ das Herz auf eine Weiſe kochen,
Wodurch das Zaͤhſte ſelbſt ſich laͤßt verdauen:
Der Koͤnig aß es ohne Herzenspochen,
Und ohne Vorgefuͤhl und ohne Grauen;
Da rief Zelinde: Was ſie dir verſprochen,
Es hat's gethan die keuſcheſte der Frauen!
Gegeben hab' ich dir die hoͤchſte Probe,
Nun liebe mich und meinen Muth belobe!
Was war Lukretia gegen mich, die raſche,
Die doch dem Gatten blos zum Schmerz geſtorben?
Was Artemiſia, welche mit der Aſche
Des Ehgemahls ſich ihren Wein verdorben?
Doch iſt's vergebens, daß ich Namen haſche,
Da gleichen Ruhm ſich Keine hat erworben:
Des Liebſten hat noch Keine ſich entledigt,
Wie ſehr die Nachwelt ihre Namen predigt!
Auf daß du koͤnneſt mein Verdienſt ermeſſen,
Und meine ganze Tugend ganz erfaſſeſt,
So wiſſe denn, und woll' es nie vergeſſen,
So wahr du jetzt aus Neubegier erblaſſeſt:
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Zitationshilfe: | Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/77>, abgerufen am 11.02.2025. |