Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.Mit keiner Blumenkette mehr umschlinget Die Erde mich, und mancher Thor verlachte Mich als Betrüg'rin, welche Mährchen singet: O schnöder Pöbel, den ich ganz verachte, Der gern mir möchte jedes Wort verpönen, Als ob er könnte denken, was ich dachte! Er läßt ein bloßes Rabenlied ertönen; Doch wenn ich öffne meine blassen Lippen, So ist's, als öffne sich der Quell des Schönen! Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen, Doch läßt er sich vom Wellentanz ergötzen, Bis er zu Grunde geht an Felsenrippen. Was sing' ich Wahrheit diesem Volk von Klötzen, Das kaum ertragen kann ein Bischen Lüge, Denn selbst die Götter sind ihm nichts als Götzen! Ich winde Kränze blos um Aschenkrüge. (Ab in den Tempel.) Oedipus, späterhin Lajus und Melchior. Oedipus. Heil'ge Stätte, wo zu schwachem, sterblich eingeschränktem Sinn Unerschaffne Wesen reden durch den Mund der Priesterin! Dich begrüß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbüsche Nacht, Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht! Lehre mich mein eignes Wesen kennen, lehre mich verstehn, Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn! (Ab in den Tempel.) Mit keiner Blumenkette mehr umſchlinget Die Erde mich, und mancher Thor verlachte Mich als Betruͤg'rin, welche Maͤhrchen ſinget: O ſchnoͤder Poͤbel, den ich ganz verachte, Der gern mir moͤchte jedes Wort verpoͤnen, Als ob er koͤnnte denken, was ich dachte! Er laͤßt ein bloßes Rabenlied ertoͤnen; Doch wenn ich oͤffne meine blaſſen Lippen, So iſt's, als oͤffne ſich der Quell des Schoͤnen! Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen, Doch laͤßt er ſich vom Wellentanz ergoͤtzen, Bis er zu Grunde geht an Felſenrippen. Was ſing' ich Wahrheit dieſem Volk von Kloͤtzen, Das kaum ertragen kann ein Bischen Luͤge, Denn ſelbſt die Goͤtter ſind ihm nichts als Goͤtzen! Ich winde Kraͤnze blos um Aſchenkruͤge. (Ab in den Tempel.) Oedipus, ſpaͤterhin Lajus und Melchior. Oedipus. Heil'ge Staͤtte, wo zu ſchwachem, ſterblich eingeſchraͤnktem Sinn Unerſchaffne Weſen reden durch den Mund der Prieſterin! Dich begruͤß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbuͤſche Nacht, Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht! Lehre mich mein eignes Weſen kennen, lehre mich verſtehn, Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn! (Ab in den Tempel.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#PYTH"> <pb facs="#f0050" n="44"/> <p>Mit keiner Blumenkette mehr umſchlinget<lb/> Die Erde mich, und mancher Thor verlachte<lb/> Mich als Betruͤg'rin, welche Maͤhrchen ſinget:</p><lb/> <p>O ſchnoͤder Poͤbel, den ich ganz verachte,<lb/> Der gern mir moͤchte jedes Wort verpoͤnen,<lb/> Als ob er koͤnnte denken, was ich dachte!</p><lb/> <p>Er laͤßt ein bloßes Rabenlied ertoͤnen;<lb/> Doch wenn ich oͤffne meine blaſſen Lippen,<lb/> So iſt's, als oͤffne ſich der Quell des Schoͤnen!</p><lb/> <p>Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen,<lb/> Doch laͤßt er ſich vom Wellentanz ergoͤtzen,<lb/> Bis er zu Grunde geht an Felſenrippen.</p><lb/> <p>Was ſing' ich Wahrheit dieſem Volk von Kloͤtzen,<lb/> Das kaum ertragen kann ein Bischen Luͤge,<lb/> Denn ſelbſt die Goͤtter ſind ihm nichts als Goͤtzen!</p><lb/> <p>Ich winde Kraͤnze blos um Aſchenkruͤge.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(Ab in den Tempel.)</hi> </stage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oedipus</hi>, ſpaͤterhin <hi rendition="#g">Lajus</hi> und <hi rendition="#g">Melchior</hi>.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#OED"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oedipus</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Heil'ge Staͤtte, wo zu ſchwachem, ſterblich eingeſchraͤnktem<lb/> Sinn<lb/> Unerſchaffne Weſen reden durch den Mund der Prieſterin!<lb/> Dich begruͤß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbuͤſche Nacht,<lb/> Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht!<lb/> Lehre mich mein eignes Weſen kennen, lehre mich verſtehn,<lb/> Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn!</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(Ab in den Tempel.)</hi> </stage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0050]
Mit keiner Blumenkette mehr umſchlinget
Die Erde mich, und mancher Thor verlachte
Mich als Betruͤg'rin, welche Maͤhrchen ſinget:
O ſchnoͤder Poͤbel, den ich ganz verachte,
Der gern mir moͤchte jedes Wort verpoͤnen,
Als ob er koͤnnte denken, was ich dachte!
Er laͤßt ein bloßes Rabenlied ertoͤnen;
Doch wenn ich oͤffne meine blaſſen Lippen,
So iſt's, als oͤffne ſich der Quell des Schoͤnen!
Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen,
Doch laͤßt er ſich vom Wellentanz ergoͤtzen,
Bis er zu Grunde geht an Felſenrippen.
Was ſing' ich Wahrheit dieſem Volk von Kloͤtzen,
Das kaum ertragen kann ein Bischen Luͤge,
Denn ſelbſt die Goͤtter ſind ihm nichts als Goͤtzen!
Ich winde Kraͤnze blos um Aſchenkruͤge.
(Ab in den Tempel.)
Oedipus, ſpaͤterhin Lajus und Melchior.
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Heil'ge Staͤtte, wo zu ſchwachem, ſterblich eingeſchraͤnktem
Sinn
Unerſchaffne Weſen reden durch den Mund der Prieſterin!
Dich begruͤß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbuͤſche Nacht,
Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht!
Lehre mich mein eignes Weſen kennen, lehre mich verſtehn,
Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn!
(Ab in den Tempel.)
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