Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Diagoras. Was für ein Ton? Was sehen meine Blicke? Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget, Beständig schreit und zappelnd schwebt am Stricke, Ja, wie es scheint, nach einer Brust verlanget? Habt ewig Dank, ihr himmlischen Geschicke! Ihr Arme, schließt euch, daß ihr's fest umfanget! O welch Geschenk, o welch ein Angebinde Für deine kinderlose Brust, Zelinde! (Ab mit Oedipus.) Pallast in Corinth. Zelinde (allein). Heute braucht mein Gatte lange, bis er sich zu Tisch begiebt: Dreißig Jahre sind es, seit er jeden Tag mich minder liebt; Täglich kommt zu Tisch er später: Als wir Hochzeit kaum gemacht, Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht! Zelinde, Diagoras. Zelinde. Wie? Du kommst zurück, nachdem ich dich bejammert als erhenkt? Diagoras. Ist das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geschenkt? Zelinde.
Diagoras. Was fuͤr ein Ton? Was ſehen meine Blicke? Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget, Beſtaͤndig ſchreit und zappelnd ſchwebt am Stricke, Ja, wie es ſcheint, nach einer Bruſt verlanget? Habt ewig Dank, ihr himmliſchen Geſchicke! Ihr Arme, ſchließt euch, daß ihr's feſt umfanget! O welch Geſchenk, o welch ein Angebinde Fuͤr deine kinderloſe Bruſt, Zelinde! (Ab mit Oedipus.) Pallaſt in Corinth. Zelinde (allein). Heute braucht mein Gatte lange, bis er ſich zu Tiſch begiebt: Dreißig Jahre ſind es, ſeit er jeden Tag mich minder liebt; Taͤglich kommt zu Tiſch er ſpaͤter: Als wir Hochzeit kaum gemacht, Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht! Zelinde, Diagoras. Zelinde. Wie? Du kommſt zuruͤck, nachdem ich dich bejammert als erhenkt? Diagoras. Iſt das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geſchenkt? Zelinde.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0038" n="32"/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Was fuͤr ein Ton? Was ſehen meine Blicke?<lb/> Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget,<lb/> Beſtaͤndig ſchreit und zappelnd ſchwebt am Stricke,<lb/> Ja, wie es ſcheint, nach einer Bruſt verlanget?<lb/> Habt ewig Dank, ihr himmliſchen Geſchicke!<lb/> Ihr Arme, ſchließt euch, daß ihr's feſt umfanget!<lb/> O welch Geſchenk, o welch ein Angebinde<lb/> Fuͤr deine kinderloſe Bruſt, Zelinde!</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(Ab mit <hi rendition="#g">Oedipus</hi>.)</hi> </stage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pallaſt in Corinth</hi>.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Zelinde</hi> </hi> </speaker> <stage> <hi rendition="#c">(allein).</hi> </stage><lb/> <p>Heute braucht mein Gatte lange, bis er ſich zu Tiſch begiebt:<lb/> Dreißig Jahre ſind es, ſeit er jeden Tag mich minder liebt;<lb/> Taͤglich kommt zu Tiſch er ſpaͤter: Als wir Hochzeit kaum<lb/> gemacht,<lb/> Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der<lb/> Nacht!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde, Diagoras</hi>.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Wie? Du kommſt zuruͤck, nachdem ich dich bejammert als<lb/> erhenkt?</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Iſt das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geſchenkt?</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</fw> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0038]
Diagoras.
Was fuͤr ein Ton? Was ſehen meine Blicke?
Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget,
Beſtaͤndig ſchreit und zappelnd ſchwebt am Stricke,
Ja, wie es ſcheint, nach einer Bruſt verlanget?
Habt ewig Dank, ihr himmliſchen Geſchicke!
Ihr Arme, ſchließt euch, daß ihr's feſt umfanget!
O welch Geſchenk, o welch ein Angebinde
Fuͤr deine kinderloſe Bruſt, Zelinde!
(Ab mit Oedipus.)
Pallaſt in Corinth.
Zelinde (allein).
Heute braucht mein Gatte lange, bis er ſich zu Tiſch begiebt:
Dreißig Jahre ſind es, ſeit er jeden Tag mich minder liebt;
Taͤglich kommt zu Tiſch er ſpaͤter: Als wir Hochzeit kaum
gemacht,
Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der
Nacht!
Zelinde, Diagoras.
Zelinde.
Wie? Du kommſt zuruͤck, nachdem ich dich bejammert als
erhenkt?
Diagoras.
Iſt das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geſchenkt?
Zelinde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |