Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.Prolog an Goethe zu einer Uebersetzung Hafisischer Gedichte. 1822. Erhabner Greis, der du des Hafis Tönen Zuerst geneigt, sie grüßend aufgenommen, Du magst dich noch einmal an ihn gewöhnen, Du siehst ihn wieder dir entgegen kommen, Mit frohem Klang der Zeiten Drang verschönen, Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen: Viel muß ein solcher Geist von solchen Gaben, Wenn er um Leichtsinn buhlt, gelitten haben. Im Kampfe muß er sich entgegen wagen Der eignen Liebe, wie dem fremden Hasse; Denn einem Solchen Liebe zu versagen, Ist eine Wollust für die stumpfe Masse, Und Dies und Jenes wird herbeygetragen, Daß man ihn stets bey seiner Schwäche fasse, Und fehlen ihm, so leiht man ihm Gebrechen, Ihm, der zu groß ist, um zu widersprechen. Das mochte Hafis wohl im Geist bedenken,
Und ließ getrost des Lebens Stürme rollen: Wenn in Befriedigung wir uns versenken, Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen: Beym Wein im Becher, bey dem Kuß des Schenken, Bey Liedern, die melodisch ihm entquollen, Empfand er stets im Herzen sich gesünder, Wiewohl sie schrien: Es ist ein großer Sünder! Prolog an Goethe zu einer Ueberſetzung Hafiſiſcher Gedichte. 1822. Erhabner Greis, der du des Hafis Toͤnen Zuerſt geneigt, ſie gruͤßend aufgenommen, Du magſt dich noch einmal an ihn gewoͤhnen, Du ſiehſt ihn wieder dir entgegen kommen, Mit frohem Klang der Zeiten Drang verſchoͤnen, Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen: Viel muß ein ſolcher Geiſt von ſolchen Gaben, Wenn er um Leichtſinn buhlt, gelitten haben. Im Kampfe muß er ſich entgegen wagen Der eignen Liebe, wie dem fremden Haſſe; Denn einem Solchen Liebe zu verſagen, Iſt eine Wolluſt fuͤr die ſtumpfe Maſſe, Und Dies und Jenes wird herbeygetragen, Daß man ihn ſtets bey ſeiner Schwaͤche faſſe, Und fehlen ihm, ſo leiht man ihm Gebrechen, Ihm, der zu groß iſt, um zu widerſprechen. Das mochte Hafis wohl im Geiſt bedenken,
Und ließ getroſt des Lebens Stuͤrme rollen: Wenn in Befriedigung wir uns verſenken, Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen: Beym Wein im Becher, bey dem Kuß des Schenken, Bey Liedern, die melodiſch ihm entquollen, Empfand er ſtets im Herzen ſich geſuͤnder, Wiewohl ſie ſchrien: Es iſt ein großer Suͤnder! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb n="66" facs="#f0076"/> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Prolog an Goethe</hi> </head><lb/> <p rendition="#c">zu einer Ueberſetzung Hafiſiſcher Gedichte.</p><lb/> <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">1822.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>rhabner Greis, der du des Hafis Toͤnen</l><lb/> <l>Zuerſt geneigt, ſie gruͤßend aufgenommen,</l><lb/> <l>Du magſt dich noch einmal an ihn gewoͤhnen,</l><lb/> <l>Du ſiehſt ihn wieder dir entgegen kommen,</l><lb/> <l>Mit frohem Klang der Zeiten Drang verſchoͤnen,</l><lb/> <l>Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen:</l><lb/> <l>Viel muß ein ſolcher Geiſt von ſolchen Gaben,</l><lb/> <l>Wenn er um Leichtſinn buhlt, gelitten haben.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Im Kampfe muß er ſich entgegen wagen</l><lb/> <l>Der eignen Liebe, wie dem fremden Haſſe;</l><lb/> <l>Denn einem Solchen Liebe zu verſagen,</l><lb/> <l>Iſt eine Wolluſt fuͤr die ſtumpfe Maſſe,</l><lb/> <l>Und Dies und Jenes wird herbeygetragen,</l><lb/> <l>Daß man ihn ſtets bey ſeiner Schwaͤche faſſe,</l><lb/> <l>Und fehlen ihm, ſo leiht man ihm Gebrechen,</l><lb/> <l>Ihm, der zu groß iſt, um zu widerſprechen.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Das mochte Hafis wohl im Geiſt bedenken,</l><lb/> <l>Und ließ getroſt des Lebens Stuͤrme rollen:</l><lb/> <l>Wenn in Befriedigung wir uns verſenken,</l><lb/> <l>Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen:</l><lb/> <l>Beym Wein im Becher, bey dem Kuß des Schenken,</l><lb/> <l>Bey Liedern, die melodiſch ihm entquollen,</l><lb/> <l>Empfand er ſtets im Herzen ſich geſuͤnder,</l><lb/> <l>Wiewohl ſie ſchrien: Es iſt ein großer Suͤnder!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0076]
Prolog an Goethe
zu einer Ueberſetzung Hafiſiſcher Gedichte.
1822.
Erhabner Greis, der du des Hafis Toͤnen
Zuerſt geneigt, ſie gruͤßend aufgenommen,
Du magſt dich noch einmal an ihn gewoͤhnen,
Du ſiehſt ihn wieder dir entgegen kommen,
Mit frohem Klang der Zeiten Drang verſchoͤnen,
Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen:
Viel muß ein ſolcher Geiſt von ſolchen Gaben,
Wenn er um Leichtſinn buhlt, gelitten haben.
Im Kampfe muß er ſich entgegen wagen
Der eignen Liebe, wie dem fremden Haſſe;
Denn einem Solchen Liebe zu verſagen,
Iſt eine Wolluſt fuͤr die ſtumpfe Maſſe,
Und Dies und Jenes wird herbeygetragen,
Daß man ihn ſtets bey ſeiner Schwaͤche faſſe,
Und fehlen ihm, ſo leiht man ihm Gebrechen,
Ihm, der zu groß iſt, um zu widerſprechen.
Das mochte Hafis wohl im Geiſt bedenken,
Und ließ getroſt des Lebens Stuͤrme rollen:
Wenn in Befriedigung wir uns verſenken,
Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen:
Beym Wein im Becher, bey dem Kuß des Schenken,
Bey Liedern, die melodiſch ihm entquollen,
Empfand er ſtets im Herzen ſich geſuͤnder,
Wiewohl ſie ſchrien: Es iſt ein großer Suͤnder!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/76 |
Zitationshilfe: | Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/76>, abgerufen am 03.03.2025. |