Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.XXXVI. Wie stürzte sonst mich in so viel Gefahr Ein krausgelocktes Haar, Und eines Feuerauges dunkler Blitz, Und ach, zum Lächeln stets bereit, Der Rede holder Sitz, Ein süßer Mund voll schöner Sinnlichkeit! Da wähnt' ich noch, als wäre der Besitz Das einz'ge Gut auf diesem Lebensgang, Und nach ihm rang Mein junger Sinn und mein bethörter Witz. Da sah ich bald im Wandel der Gestalt Vor mir die Jugend alt, Und jede schön geschwung'ne Form verschwand; Und ach, wonach ich griff in Hast, Entfloh dem Unverstand, Und nie Besess'nes wurde mir zur Last: Bis ich zulezt, nicht ohne Schmerz, empfand, Daß alles Schöne, was der Welt gehört, Sich selbst zerstört, Und nicht erträgt die rohe Menschenhand. So ward ich ruhiger und kalt zulezt, Und gerne möcht' ich jezt Die Welt, wie außer ihr, von ferne schau'n: Erlitten hat das bange Herz Begier und Furcht und Grau'n, Erlitten hat es seinen Theil von Schmerz, Und in das Leben sezt es kein Vertrau'n; Ihm werde die gewaltige Natur Zum Mittel nur, Aus eigner Kraft sich eine Welt zu bau'n. XXXVI. Wie ſtuͤrzte ſonſt mich in ſo viel Gefahr Ein krausgelocktes Haar, Und eines Feuerauges dunkler Blitz, Und ach, zum Laͤcheln ſtets bereit, Der Rede holder Sitz, Ein ſuͤßer Mund voll ſchoͤner Sinnlichkeit! Da waͤhnt' ich noch, als waͤre der Beſitz Das einz'ge Gut auf dieſem Lebensgang, Und nach ihm rang Mein junger Sinn und mein bethoͤrter Witz. Da ſah ich bald im Wandel der Geſtalt Vor mir die Jugend alt, Und jede ſchoͤn geſchwung'ne Form verſchwand; Und ach, wonach ich griff in Haſt, Entfloh dem Unverſtand, Und nie Beſeſſ'nes wurde mir zur Laſt: Bis ich zulezt, nicht ohne Schmerz, empfand, Daß alles Schoͤne, was der Welt gehoͤrt, Sich ſelbſt zerſtoͤrt, Und nicht ertraͤgt die rohe Menſchenhand. So ward ich ruhiger und kalt zulezt, Und gerne moͤcht' ich jezt Die Welt, wie außer ihr, von ferne ſchau'n: Erlitten hat das bange Herz Begier und Furcht und Grau'n, Erlitten hat es ſeinen Theil von Schmerz, Und in das Leben ſezt es kein Vertrau'n; Ihm werde die gewaltige Natur Zum Mittel nur, Aus eigner Kraft ſich eine Welt zu bau'n. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0062" n="52"/> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq">XXXVI.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">W</hi>ie ſtuͤrzte ſonſt mich in ſo viel Gefahr</l><lb/> <l>Ein krausgelocktes Haar,</l><lb/> <l>Und eines Feuerauges dunkler Blitz,</l><lb/> <l>Und ach, zum Laͤcheln ſtets bereit,</l><lb/> <l>Der Rede holder Sitz,</l><lb/> <l>Ein ſuͤßer Mund voll ſchoͤner Sinnlichkeit!</l><lb/> <l>Da waͤhnt' ich noch, als waͤre der Beſitz</l><lb/> <l>Das einz'ge Gut auf dieſem Lebensgang,</l><lb/> <l>Und nach ihm rang</l><lb/> <l>Mein junger Sinn und mein bethoͤrter Witz.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Da ſah ich bald im Wandel der Geſtalt</l><lb/> <l>Vor mir die Jugend alt,</l><lb/> <l>Und jede ſchoͤn geſchwung'ne Form verſchwand;</l><lb/> <l>Und ach, wonach ich griff in Haſt,</l><lb/> <l>Entfloh dem Unverſtand,</l><lb/> <l>Und nie Beſeſſ'nes wurde mir zur Laſt:</l><lb/> <l>Bis ich zulezt, nicht ohne Schmerz, empfand,</l><lb/> <l>Daß alles Schoͤne, was der Welt gehoͤrt,</l><lb/> <l>Sich ſelbſt zerſtoͤrt,</l><lb/> <l>Und nicht ertraͤgt die rohe Menſchenhand.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>So ward ich ruhiger und kalt zulezt,</l><lb/> <l>Und gerne moͤcht' ich jezt</l><lb/> <l>Die Welt, wie außer ihr, von ferne ſchau'n:</l><lb/> <l>Erlitten hat das bange Herz</l><lb/> <l>Begier und Furcht und Grau'n,</l><lb/> <l>Erlitten hat es ſeinen Theil von Schmerz,</l><lb/> <l>Und in das Leben ſezt es kein Vertrau'n;</l><lb/> <l>Ihm werde die gewaltige Natur</l><lb/> <l>Zum Mittel nur,</l><lb/> <l>Aus eigner Kraft ſich eine Welt zu bau'n.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0062]
XXXVI.
Wie ſtuͤrzte ſonſt mich in ſo viel Gefahr
Ein krausgelocktes Haar,
Und eines Feuerauges dunkler Blitz,
Und ach, zum Laͤcheln ſtets bereit,
Der Rede holder Sitz,
Ein ſuͤßer Mund voll ſchoͤner Sinnlichkeit!
Da waͤhnt' ich noch, als waͤre der Beſitz
Das einz'ge Gut auf dieſem Lebensgang,
Und nach ihm rang
Mein junger Sinn und mein bethoͤrter Witz.
Da ſah ich bald im Wandel der Geſtalt
Vor mir die Jugend alt,
Und jede ſchoͤn geſchwung'ne Form verſchwand;
Und ach, wonach ich griff in Haſt,
Entfloh dem Unverſtand,
Und nie Beſeſſ'nes wurde mir zur Laſt:
Bis ich zulezt, nicht ohne Schmerz, empfand,
Daß alles Schoͤne, was der Welt gehoͤrt,
Sich ſelbſt zerſtoͤrt,
Und nicht ertraͤgt die rohe Menſchenhand.
So ward ich ruhiger und kalt zulezt,
Und gerne moͤcht' ich jezt
Die Welt, wie außer ihr, von ferne ſchau'n:
Erlitten hat das bange Herz
Begier und Furcht und Grau'n,
Erlitten hat es ſeinen Theil von Schmerz,
Und in das Leben ſezt es kein Vertrau'n;
Ihm werde die gewaltige Natur
Zum Mittel nur,
Aus eigner Kraft ſich eine Welt zu bau'n.
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