Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
O goldne Freiheit, der auch ich entstamme,
Die du den Aether, wie ein Zelt, entfaltest,
Die du, der Schönheit und des Lebens Amme,
Die Welt ernährst und immer neu gestaltest;
Vestalin, die du des Gedankens Flamme
Als ein Symbol der Ewigkeit verwaltest:
Laß uns den Blick zu dir zu heben wagen,
Lehr' uns die Wahrheit, die du kennst, ertragen!

Du wolltest gütig uns das Wort verleihen,
Das als ein Funke deinem Herd entglommen,
Du, die du gibst ihm deine sieben Weihen,
Durch die's der Menschen Herzen eingenommen,
Die du es tönen lässest und gedeihen
Vom Rednerstuhl, dem weltlichen und frommen:
Leih' auch den Genien dieses heitern Ortes
Den schönsten Ausdruck des lebend'gen Wortes!

Wer hier zum Volke spricht in stolzen Tönen,
Der sey auch würdig vor dem Volk zu sprechen;
Entnervendes zu bieten statt des Schönen,
Ist an der Zeit ein Majestätsverbrechen.
Zeigt ihr der Väter sonst'gen Ruhm den Söhnen,
So sucht, durch stille Größe zu bestechen,
Und wollt ihr treffen mit des Witzes Strale,
Kredenz' euch Anmuth erst die Zauberschale!

Doch laßt ihr stets euch voll Geduld beschenken
Mit allen Gattungen von Mißgebilden,
Die höchst possirlich jedes Glied verrenken,
Um zu gefallen euch, den Allzumilden;
O goldne Freiheit, der auch ich entſtamme,
Die du den Aether, wie ein Zelt, entfalteſt,
Die du, der Schoͤnheit und des Lebens Amme,
Die Welt ernaͤhrſt und immer neu geſtalteſt;
Veſtalin, die du des Gedankens Flamme
Als ein Symbol der Ewigkeit verwalteſt:
Laß uns den Blick zu dir zu heben wagen,
Lehr' uns die Wahrheit, die du kennſt, ertragen!

Du wollteſt guͤtig uns das Wort verleihen,
Das als ein Funke deinem Herd entglommen,
Du, die du gibſt ihm deine ſieben Weihen,
Durch die's der Menſchen Herzen eingenommen,
Die du es toͤnen laͤſſeſt und gedeihen
Vom Rednerſtuhl, dem weltlichen und frommen:
Leih' auch den Genien dieſes heitern Ortes
Den ſchoͤnſten Ausdruck des lebend'gen Wortes!

Wer hier zum Volke ſpricht in ſtolzen Toͤnen,
Der ſey auch wuͤrdig vor dem Volk zu ſprechen;
Entnervendes zu bieten ſtatt des Schoͤnen,
Iſt an der Zeit ein Majeſtaͤtsverbrechen.
Zeigt ihr der Vaͤter ſonſt'gen Ruhm den Soͤhnen,
So ſucht, durch ſtille Groͤße zu beſtechen,
Und wollt ihr treffen mit des Witzes Strale,
Kredenz' euch Anmuth erſt die Zauberſchale!

Doch laßt ihr ſtets euch voll Geduld beſchenken
Mit allen Gattungen von Mißgebilden,
Die hoͤchſt poſſirlich jedes Glied verrenken,
Um zu gefallen euch, den Allzumilden;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#SCHM">
            <pb facs="#f0061" n="55"/>
            <p>O goldne Freiheit, der auch ich ent&#x017F;tamme,<lb/>
Die du den Aether, wie ein Zelt, entfalte&#x017F;t,<lb/>
Die du, der Scho&#x0364;nheit und des Lebens Amme,<lb/>
Die Welt erna&#x0364;hr&#x017F;t und immer neu ge&#x017F;talte&#x017F;t;<lb/>
Ve&#x017F;talin, die du des Gedankens Flamme<lb/>
Als ein Symbol der Ewigkeit verwalte&#x017F;t:<lb/>
Laß uns den Blick zu dir zu heben wagen,<lb/>
Lehr' uns die Wahrheit, die du kenn&#x017F;t, ertragen!</p><lb/>
            <p>Du wollte&#x017F;t gu&#x0364;tig uns das Wort verleihen,<lb/>
Das als ein Funke deinem Herd entglommen,<lb/>
Du, die du gib&#x017F;t ihm deine &#x017F;ieben Weihen,<lb/>
Durch die's der Men&#x017F;chen Herzen eingenommen,<lb/>
Die du es to&#x0364;nen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t und gedeihen<lb/>
Vom Redner&#x017F;tuhl, dem weltlichen und frommen:<lb/>
Leih' auch den Genien die&#x017F;es heitern Ortes<lb/>
Den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ausdruck des lebend'gen Wortes!</p><lb/>
            <p>Wer hier zum Volke &#x017F;pricht in &#x017F;tolzen To&#x0364;nen,<lb/>
Der &#x017F;ey auch wu&#x0364;rdig vor dem Volk zu &#x017F;prechen;<lb/>
Entnervendes zu bieten &#x017F;tatt des Scho&#x0364;nen,<lb/>
I&#x017F;t an der Zeit ein Maje&#x017F;ta&#x0364;tsverbrechen.<lb/>
Zeigt ihr der Va&#x0364;ter &#x017F;on&#x017F;t'gen Ruhm den So&#x0364;hnen,<lb/>
So &#x017F;ucht, durch &#x017F;tille Gro&#x0364;ße zu be&#x017F;techen,<lb/>
Und wollt ihr treffen mit des Witzes Strale,<lb/>
Kredenz' euch Anmuth er&#x017F;t die Zauber&#x017F;chale!</p><lb/>
            <p>Doch laßt ihr &#x017F;tets euch voll Geduld be&#x017F;chenken<lb/>
Mit allen Gattungen von Mißgebilden,<lb/>
Die ho&#x0364;ch&#x017F;t po&#x017F;&#x017F;irlich jedes Glied verrenken,<lb/>
Um zu gefallen euch, den Allzumilden;<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0061] O goldne Freiheit, der auch ich entſtamme, Die du den Aether, wie ein Zelt, entfalteſt, Die du, der Schoͤnheit und des Lebens Amme, Die Welt ernaͤhrſt und immer neu geſtalteſt; Veſtalin, die du des Gedankens Flamme Als ein Symbol der Ewigkeit verwalteſt: Laß uns den Blick zu dir zu heben wagen, Lehr' uns die Wahrheit, die du kennſt, ertragen! Du wollteſt guͤtig uns das Wort verleihen, Das als ein Funke deinem Herd entglommen, Du, die du gibſt ihm deine ſieben Weihen, Durch die's der Menſchen Herzen eingenommen, Die du es toͤnen laͤſſeſt und gedeihen Vom Rednerſtuhl, dem weltlichen und frommen: Leih' auch den Genien dieſes heitern Ortes Den ſchoͤnſten Ausdruck des lebend'gen Wortes! Wer hier zum Volke ſpricht in ſtolzen Toͤnen, Der ſey auch wuͤrdig vor dem Volk zu ſprechen; Entnervendes zu bieten ſtatt des Schoͤnen, Iſt an der Zeit ein Majeſtaͤtsverbrechen. Zeigt ihr der Vaͤter ſonſt'gen Ruhm den Soͤhnen, So ſucht, durch ſtille Groͤße zu beſtechen, Und wollt ihr treffen mit des Witzes Strale, Kredenz' euch Anmuth erſt die Zauberſchale! Doch laßt ihr ſtets euch voll Geduld beſchenken Mit allen Gattungen von Mißgebilden, Die hoͤchſt poſſirlich jedes Glied verrenken, Um zu gefallen euch, den Allzumilden;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/61
Zitationshilfe: Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/61>, abgerufen am 24.11.2024.