Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Salome.
Um zwölf Uhr blos, jetzt blos, in der Mitte der Nacht blos.
Doch wird mir auch dieß zur entsetzlichen Qual, denn die
Nacht ist schrecklich um die Zeit!
Mopsus.
Zwar hört' ich das oft, doch glaubt' ich es nicht, ich hielt's
für chimärischen Wahnsinn;
Auch hielt ich mich nicht für ein Sonntagskind, denn ich
bin ja geboren am Samstag.
Salome.
Thut nichts, da der Sabbath als Sonntag gilt, wir füh-
ren den Judenkalender,
Seitdem durch Geist uns Geister bestach der berüchtigte
Jude Spinoza.
Mopsus.
Was wälzt sich denn in der Mitte der Nacht so Entsetzli-
ches über den Erdkreis?
Salome.
O glückliches Auge des Menschengeschlechts, das nicht ins
Dunkel der Nacht dringt!
Doch erscheint auch euch voll Grauen die Nacht, durch Ah-
nung mehr als Gewißheit.
O könntet ihr schau'n in den Kern der Natur mit erleuchte-
ten Augen um zwölf Uhr!
Da bewegt sich die subtellurische Macht als Windsbraut
unter der Erde,
Und sie weht als Dunst von der Hölle herauf, kohlschwarz
wie die Säule des Dampfboots.
Das ist's, was eben verheert die Natur, sonst hättet ihr
ewiges Wachsthum:
Die verhängnißvolle Gabel. 4
Salome.
Um zwoͤlf Uhr blos, jetzt blos, in der Mitte der Nacht blos.
Doch wird mir auch dieß zur entſetzlichen Qual, denn die
Nacht iſt ſchrecklich um die Zeit!
Mopſus.
Zwar hoͤrt' ich das oft, doch glaubt' ich es nicht, ich hielt's
fuͤr chimaͤriſchen Wahnſinn;
Auch hielt ich mich nicht fuͤr ein Sonntagskind, denn ich
bin ja geboren am Samſtag.
Salome.
Thut nichts, da der Sabbath als Sonntag gilt, wir fuͤh-
ren den Judenkalender,
Seitdem durch Geiſt uns Geiſter beſtach der beruͤchtigte
Jude Spinoza.
Mopſus.
Was waͤlzt ſich denn in der Mitte der Nacht ſo Entſetzli-
ches uͤber den Erdkreis?
Salome.
O gluͤckliches Auge des Menſchengeſchlechts, das nicht ins
Dunkel der Nacht dringt!
Doch erſcheint auch euch voll Grauen die Nacht, durch Ah-
nung mehr als Gewißheit.
O koͤnntet ihr ſchau'n in den Kern der Natur mit erleuchte-
ten Augen um zwoͤlf Uhr!
Da bewegt ſich die ſubtelluriſche Macht als Windsbraut
unter der Erde,
Und ſie weht als Dunſt von der Hoͤlle herauf, kohlſchwarz
wie die Saͤule des Dampfboots.
Das iſt's, was eben verheert die Natur, ſonſt haͤttet ihr
ewiges Wachsthum:
Die verhaͤngnißvolle Gabel. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0055" n="49"/>
          <sp who="#SAL">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Salome</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Um zwo&#x0364;lf Uhr blos, jetzt blos, in der Mitte der Nacht blos.<lb/>
Doch wird mir auch dieß zur ent&#x017F;etzlichen Qual, denn die<lb/>
Nacht i&#x017F;t &#x017F;chrecklich um <hi rendition="#g">die</hi> Zeit!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOP">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Mop&#x017F;us</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Zwar ho&#x0364;rt' ich das oft, doch glaubt' ich es nicht, ich hielt's<lb/>
fu&#x0364;r chima&#x0364;ri&#x017F;chen Wahn&#x017F;inn;<lb/>
Auch hielt ich mich nicht fu&#x0364;r ein Sonntagskind, denn ich<lb/>
bin ja geboren am Sam&#x017F;tag.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#SAL">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Salome</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Thut nichts, da der Sabbath als Sonntag gilt, wir fu&#x0364;h-<lb/>
ren den Judenkalender,<lb/>
Seitdem durch Gei&#x017F;t uns Gei&#x017F;ter be&#x017F;tach der beru&#x0364;chtigte<lb/>
Jude Spinoza.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOP">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Mop&#x017F;us</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Was wa&#x0364;lzt &#x017F;ich denn in der Mitte der Nacht &#x017F;o Ent&#x017F;etzli-<lb/>
ches u&#x0364;ber den Erdkreis?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#SAL">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Salome</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>O glu&#x0364;ckliches Auge des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts, das nicht ins<lb/>
Dunkel der Nacht dringt!<lb/>
Doch er&#x017F;cheint auch euch voll Grauen die Nacht, durch Ah-<lb/>
nung mehr als Gewißheit.<lb/>
O ko&#x0364;nntet ihr &#x017F;chau'n in den Kern der Natur mit erleuchte-<lb/>
ten Augen um zwo&#x0364;lf Uhr!<lb/>
Da bewegt &#x017F;ich die &#x017F;ubtelluri&#x017F;che Macht als Windsbraut<lb/>
unter der Erde,<lb/>
Und &#x017F;ie weht als Dun&#x017F;t von der Ho&#x0364;lle herauf, kohl&#x017F;chwarz<lb/>
wie die Sa&#x0364;ule des Dampfboots.<lb/>
Das i&#x017F;t's, was eben verheert die Natur, &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;ttet ihr<lb/>
ewiges Wachsthum:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die verha&#x0364;ngnißvolle Gabel. 4</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0055] Salome. Um zwoͤlf Uhr blos, jetzt blos, in der Mitte der Nacht blos. Doch wird mir auch dieß zur entſetzlichen Qual, denn die Nacht iſt ſchrecklich um die Zeit! Mopſus. Zwar hoͤrt' ich das oft, doch glaubt' ich es nicht, ich hielt's fuͤr chimaͤriſchen Wahnſinn; Auch hielt ich mich nicht fuͤr ein Sonntagskind, denn ich bin ja geboren am Samſtag. Salome. Thut nichts, da der Sabbath als Sonntag gilt, wir fuͤh- ren den Judenkalender, Seitdem durch Geiſt uns Geiſter beſtach der beruͤchtigte Jude Spinoza. Mopſus. Was waͤlzt ſich denn in der Mitte der Nacht ſo Entſetzli- ches uͤber den Erdkreis? Salome. O gluͤckliches Auge des Menſchengeſchlechts, das nicht ins Dunkel der Nacht dringt! Doch erſcheint auch euch voll Grauen die Nacht, durch Ah- nung mehr als Gewißheit. O koͤnntet ihr ſchau'n in den Kern der Natur mit erleuchte- ten Augen um zwoͤlf Uhr! Da bewegt ſich die ſubtelluriſche Macht als Windsbraut unter der Erde, Und ſie weht als Dunſt von der Hoͤlle herauf, kohlſchwarz wie die Saͤule des Dampfboots. Das iſt's, was eben verheert die Natur, ſonſt haͤttet ihr ewiges Wachsthum: Die verhaͤngnißvolle Gabel. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/55
Zitationshilfe: Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/55>, abgerufen am 22.11.2024.