Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Leider liegt nun aber die Sache keineswegs so, daß der größeren
Kraftentwicklung immer auch das bessere Recht entspräche, und selbst
wo das der Fall ist, ist die Geneigtheit, es anzuerkennen, dadurch beim
Gegner gewiß nicht größer geworden. Also helfe, was helfen mag!
Wozu hat der Junge seit Wochen, Monden, Jahren sich im Stauch-
ballspiel geübt, ja sich im "association" die Hände und Fäuste geradezu
verbieten lassen? Unversehens fahren ihm nun seine Stoßbeine -- an
das Schienbein des Gegners, und aus der Roheit des Geschmacks ent-
spring die Roheit der Gesinnung!

In meinen Knabenjahren genügte es noch, wenn einer seine Be-
weisgründe mit Fußstößen zu unterstützen suchte, ihn bei den Kameraden
a priori ins Unrecht zu setzen, selbst wenn er recht hatte. So "unge-
bildet" waren also noch vor etlichen 30 Jahren unsere deutschen Jungen!
Das wird ja wohl nun bald von selbst anders werden. Wenn nicht,
so wird ihnen der Herr Lehrer des 20. Jahrhunderts eben ex professo
ad posteriorem
klar machen müssen, daß die Zeiten sich geändert
haben. Die argumentatio ad tibiam wird ja dann wohl bald allge-
mein als das geeignetste Mittel gelten, für seine Sache ein günstiges
Vorurteil zu erwecken*).

Das wäre nun ein Beispiel, wie außerhalb des Spieles sich aus
dem Spiel höchst unliebsame Folgen ergeben können. Aber auch im
Spiele selbst ist die Gefahr der Verrohung nicht gering. Der mit
schwerem Schuhzeug bewehrte Fuß -- in Lackschuhen spielt man nun
einmal nicht Fußball, so wenig wie barfuß -- ist keine unbedenkliche
Waffe. Nun ließe sich vielleicht durch einen raschen Stoß eine mög-
liche Niederlage abwenden, ein Erfolg erringen. Aber der Gegner ist
schon so nahe, daß er -- niemand kann das so sicher wissen -- mög-
licherweise den Stoß abkriegt, der dem Ball zugedacht war. Der Rück-
sichtsvolle hält nun zurück, weil ihm der mögliche Gewinn durch ein
mögliches Unglück zu hoch erkauft erscheint, und das Spiel verliert für
ihn an Reiz. Der Rücksichtslose aber stößt zu und ist so doppelt im
Vorteil: einmal durch die Zurückhaltung des andern, der einen mög-
lichen Erfolg schwinden läßt, weil ihm der Einsatz zu hoch erscheint,
und dann durch die eigene Rücksichtslosigkeit, die auf den Erfolg aus-
geht, sei's auch auf die Gefahr hin, den anderen tödlich oder doch schwer
zu verletzen. Durch beides wird Roheit Trumpf! Und doch ist hier

*) Der neueste "Sport", den sich meine Jungen ausersonnen haben, weil sie
bei mir nicht Fußball spielen dürfen, ist, daß sie sich gegenseitig die Hüte und die
Mützen in die Höhe stauchen. Auch nicht übel.

Leider liegt nun aber die Sache keineswegs so, daß der größeren
Kraftentwicklung immer auch das bessere Recht entspräche, und selbst
wo das der Fall ist, ist die Geneigtheit, es anzuerkennen, dadurch beim
Gegner gewiß nicht größer geworden. Also helfe, was helfen mag!
Wozu hat der Junge seit Wochen, Monden, Jahren sich im Stauch-
ballspiel geübt, ja sich im „association“ die Hände und Fäuste geradezu
verbieten lassen? Unversehens fahren ihm nun seine Stoßbeine — an
das Schienbein des Gegners, und aus der Roheit des Geschmacks ent-
spring die Roheit der Gesinnung!

In meinen Knabenjahren genügte es noch, wenn einer seine Be-
weisgründe mit Fußstößen zu unterstützen suchte, ihn bei den Kameraden
a priori ins Unrecht zu setzen, selbst wenn er recht hatte. So „unge-
bildet“ waren also noch vor etlichen 30 Jahren unsere deutschen Jungen!
Das wird ja wohl nun bald von selbst anders werden. Wenn nicht,
so wird ihnen der Herr Lehrer des 20. Jahrhunderts eben ex professo
ad posteriorem
klar machen müssen, daß die Zeiten sich geändert
haben. Die argumentatio ad tibiam wird ja dann wohl bald allge-
mein als das geeignetste Mittel gelten, für seine Sache ein günstiges
Vorurteil zu erwecken*).

Das wäre nun ein Beispiel, wie außerhalb des Spieles sich aus
dem Spiel höchst unliebsame Folgen ergeben können. Aber auch im
Spiele selbst ist die Gefahr der Verrohung nicht gering. Der mit
schwerem Schuhzeug bewehrte Fuß — in Lackschuhen spielt man nun
einmal nicht Fußball, so wenig wie barfuß — ist keine unbedenkliche
Waffe. Nun ließe sich vielleicht durch einen raschen Stoß eine mög-
liche Niederlage abwenden, ein Erfolg erringen. Aber der Gegner ist
schon so nahe, daß er — niemand kann das so sicher wissen — mög-
licherweise den Stoß abkriegt, der dem Ball zugedacht war. Der Rück-
sichtsvolle hält nun zurück, weil ihm der mögliche Gewinn durch ein
mögliches Unglück zu hoch erkauft erscheint, und das Spiel verliert für
ihn an Reiz. Der Rücksichtslose aber stößt zu und ist so doppelt im
Vorteil: einmal durch die Zurückhaltung des andern, der einen mög-
lichen Erfolg schwinden läßt, weil ihm der Einsatz zu hoch erscheint,
und dann durch die eigene Rücksichtslosigkeit, die auf den Erfolg aus-
geht, sei's auch auf die Gefahr hin, den anderen tödlich oder doch schwer
zu verletzen. Durch beides wird Roheit Trumpf! Und doch ist hier

*) Der neueste „Sport“, den sich meine Jungen ausersonnen haben, weil sie
bei mir nicht Fußball spielen dürfen, ist, daß sie sich gegenseitig die Hüte und die
Mützen in die Höhe stauchen. Auch nicht übel.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="17"/>
Leider liegt nun aber die Sache keineswegs so, daß der größeren<lb/>
Kraftentwicklung immer auch das bessere Recht entspräche, und selbst<lb/>
wo das
                     der Fall ist, ist die Geneigtheit, es anzuerkennen, dadurch beim<lb/>
Gegner
                     gewiß nicht größer geworden. Also helfe, was helfen mag!<lb/>
Wozu hat der Junge
                     seit Wochen, Monden, Jahren sich im Stauch-<lb/>
ballspiel geübt, ja sich im
                     &#x201E;association&#x201C; die Hände und Fäuste geradezu<lb/>
verbieten lassen? Unversehens
                     fahren ihm nun seine Stoßbeine &#x2014; an<lb/>
das Schienbein des Gegners, und aus der
                     Roheit des Geschmacks ent-<lb/>
spring die Roheit der Gesinnung!</p><lb/>
        <p>In meinen Knabenjahren genügte es noch, wenn einer seine Be-<lb/>
weisgründe mit
                     Fußstößen zu unterstützen suchte, ihn bei den Kameraden<lb/><hi rendition="#aq">a priori</hi> ins Unrecht zu setzen, selbst wenn er recht
                     hatte. So &#x201E;unge-<lb/>
bildet&#x201C; waren also noch vor etlichen 30 Jahren unsere
                     deutschen Jungen!<lb/>
Das wird ja wohl nun bald von selbst anders werden. Wenn
                     nicht,<lb/>
so wird ihnen der Herr Lehrer des 20. Jahrhunderts eben <hi rendition="#aq">ex professo<lb/>
ad posteriorem</hi> klar machen müssen, daß
                     die Zeiten sich geändert<lb/>
haben. Die <hi rendition="#aq">argumentatio ad
                         tibiam</hi> wird ja dann wohl bald allge-<lb/>
mein als das geeignetste
                     Mittel gelten, für seine Sache ein günstiges<lb/>
Vorurteil zu erwecken<note place="foot" n="*)">Der neueste &#x201E;Sport&#x201C;, den sich meine Jungen ausersonnen
                         haben, weil sie<lb/>
bei mir nicht Fußball spielen dürfen, ist, daß sie sich
                         gegenseitig die Hüte und die<lb/>
Mützen in die Höhe stauchen. Auch nicht
                         übel.</note>.</p><lb/>
        <p>Das wäre nun ein Beispiel, wie außerhalb des Spieles sich aus<lb/>
dem Spiel
                     höchst unliebsame Folgen ergeben können. Aber auch im<lb/>
Spiele selbst ist die
                     Gefahr der Verrohung nicht gering. Der mit<lb/>
schwerem Schuhzeug bewehrte Fuß
                     &#x2014; in Lackschuhen spielt man nun<lb/>
einmal nicht Fußball, so wenig wie barfuß &#x2014;
                     ist keine unbedenkliche<lb/>
Waffe. Nun ließe sich vielleicht durch einen
                     raschen Stoß eine mög-<lb/>
liche Niederlage abwenden, ein Erfolg erringen. Aber
                     der Gegner ist<lb/>
schon so nahe, daß er &#x2014; niemand kann das so sicher wissen &#x2014;
                     mög-<lb/>
licherweise den Stoß abkriegt, der dem Ball zugedacht war. Der
                     Rück-<lb/>
sichtsvolle hält nun zurück, weil ihm der mögliche Gewinn durch
                     ein<lb/>
mögliches Unglück zu hoch erkauft erscheint, und das Spiel verliert
                     für<lb/>
ihn an Reiz. Der Rücksichtslose aber stößt zu und ist so doppelt
                     im<lb/>
Vorteil: einmal durch die Zurückhaltung des andern, der einen
                     mög-<lb/>
lichen Erfolg schwinden läßt, weil ihm der Einsatz zu hoch
                     erscheint,<lb/>
und dann durch die eigene Rücksichtslosigkeit, die auf den
                     Erfolg aus-<lb/>
geht, sei's auch auf die Gefahr hin, den anderen tödlich oder
                     doch schwer<lb/>
zu verletzen. Durch beides wird Roheit Trumpf! Und doch ist
                         hier<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0023] Leider liegt nun aber die Sache keineswegs so, daß der größeren Kraftentwicklung immer auch das bessere Recht entspräche, und selbst wo das der Fall ist, ist die Geneigtheit, es anzuerkennen, dadurch beim Gegner gewiß nicht größer geworden. Also helfe, was helfen mag! Wozu hat der Junge seit Wochen, Monden, Jahren sich im Stauch- ballspiel geübt, ja sich im „association“ die Hände und Fäuste geradezu verbieten lassen? Unversehens fahren ihm nun seine Stoßbeine — an das Schienbein des Gegners, und aus der Roheit des Geschmacks ent- spring die Roheit der Gesinnung! In meinen Knabenjahren genügte es noch, wenn einer seine Be- weisgründe mit Fußstößen zu unterstützen suchte, ihn bei den Kameraden a priori ins Unrecht zu setzen, selbst wenn er recht hatte. So „unge- bildet“ waren also noch vor etlichen 30 Jahren unsere deutschen Jungen! Das wird ja wohl nun bald von selbst anders werden. Wenn nicht, so wird ihnen der Herr Lehrer des 20. Jahrhunderts eben ex professo ad posteriorem klar machen müssen, daß die Zeiten sich geändert haben. Die argumentatio ad tibiam wird ja dann wohl bald allge- mein als das geeignetste Mittel gelten, für seine Sache ein günstiges Vorurteil zu erwecken *). Das wäre nun ein Beispiel, wie außerhalb des Spieles sich aus dem Spiel höchst unliebsame Folgen ergeben können. Aber auch im Spiele selbst ist die Gefahr der Verrohung nicht gering. Der mit schwerem Schuhzeug bewehrte Fuß — in Lackschuhen spielt man nun einmal nicht Fußball, so wenig wie barfuß — ist keine unbedenkliche Waffe. Nun ließe sich vielleicht durch einen raschen Stoß eine mög- liche Niederlage abwenden, ein Erfolg erringen. Aber der Gegner ist schon so nahe, daß er — niemand kann das so sicher wissen — mög- licherweise den Stoß abkriegt, der dem Ball zugedacht war. Der Rück- sichtsvolle hält nun zurück, weil ihm der mögliche Gewinn durch ein mögliches Unglück zu hoch erkauft erscheint, und das Spiel verliert für ihn an Reiz. Der Rücksichtslose aber stößt zu und ist so doppelt im Vorteil: einmal durch die Zurückhaltung des andern, der einen mög- lichen Erfolg schwinden läßt, weil ihm der Einsatz zu hoch erscheint, und dann durch die eigene Rücksichtslosigkeit, die auf den Erfolg aus- geht, sei's auch auf die Gefahr hin, den anderen tödlich oder doch schwer zu verletzen. Durch beides wird Roheit Trumpf! Und doch ist hier *) Der neueste „Sport“, den sich meine Jungen ausersonnen haben, weil sie bei mir nicht Fußball spielen dürfen, ist, daß sie sich gegenseitig die Hüte und die Mützen in die Höhe stauchen. Auch nicht übel.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Texterfassung und Korrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML (2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Universitätsbibliothek Marburg: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-05-07T06:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Seiten- und Zeilenumbrüche markiert.
  • Silbentrennung entsprechend Vorlage.
  • Langes s als rundes s transkribiert.
  • Rundes r als r/et transkribiert.
  • Hervorhebungen ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/23
Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/23>, abgerufen am 24.11.2024.