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Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

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verkrüppelten Gestalt so wahrhaft schöne Glied wieder zu der Ehre käme,
die es seit den Tagen des Phayllus und des Phidias fast ausnahmslos
entbehrt? Aber soll es dies deswegen, weil es mit den Hauern des
Wildschweins, mit den Hörnern des Auerochsen, mit dem Nashorn des
afrikanischen Untiers, das mit Negerleibern Fangball spielt, erfolgreich
den Wettkampf aufnimmt?

Freilich geschieht das ja nur spielweise, und darum wird mancher
zunächst kaum verstehen, wie man sich darob ernstlich ereifern mag.
Indessen wer so denkt, wird in seiner Sicherheit vielleicht doch etwas
irre, wenn er sich der Worte Schillers erinnert, der im 15. seiner
"Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" also schreibt:
"Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines
Menschen auf dem nämlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb
befriedigt."

So? Und wenn nun das richtig ist, wo wäre denn dann das
Schönheitsideal unserer Fußballhelden und -Schwärmer zu finden? Doch
wohl in der Bethätigungsform, die dem Spiel seinen Namen ge-
geben, die aber der Sprachsinn des Volkes wenigstens bei uns im Süden
weit feinfühliger herausgefunden und weit treffender bezeichnet hat, wenn
er vom "Stauchballspiel" redet. Das Stauchen, der Fußtritt, der ganz
gemeine "Hundstritt" ist es ja, der hier den Ausschlag gibt! Er ist
es, der bald stärker, bald schwächer, bald in die Höhe, bald in die Weite,
sei's mit der möglichsten Wucht, sei's mit der möglichsten Schärfe aufs
Ziel geführt, das Spiel entscheidet, den Sieg gewinnt. Was bedeutet
aber der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, daß der Gegenstand, die
Person nicht wert sei, daß man auch nur die Hand um ihretwillen
rührte. Er ist ein Zeichen der Wegwerfung, der Geringschätzung, der
Verachtung, des Ekels, des Abscheus. So wurde und wird er immer
und überall verstanden, wenn er ohne Not angewendet wird. Wer's
nicht glaubt, kann ja in Betschuanaland in Hinterindien oder bei den
Botokuden die Probe darauf machen. Der Lappländer wäre gewiß
erst zu finden, der einen Fußstoß ans Schienbein für eine Schmeichelei
und einen Tritt unters Gesäß für eine Ehrenbezeugung hielte. Und nun
eine solche Bethätigungsform planmäßig, schulmäßig, selbst aus höheren
Gründen der Geschmacks- und Willensbildung zum Gegenstand der
Lieblingserholung, ja der ernsteren Leibes- und Geisteserziehung zu
machen, -- in der That, ist das nicht recht eigentümlich?

Zunächst ist jede Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin
angesehen, häßlich. Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die
Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt

verkrüppelten Gestalt so wahrhaft schöne Glied wieder zu der Ehre käme,
die es seit den Tagen des Phayllus und des Phidias fast ausnahmslos
entbehrt? Aber soll es dies deswegen, weil es mit den Hauern des
Wildschweins, mit den Hörnern des Auerochsen, mit dem Nashorn des
afrikanischen Untiers, das mit Negerleibern Fangball spielt, erfolgreich
den Wettkampf aufnimmt?

Freilich geschieht das ja nur spielweise, und darum wird mancher
zunächst kaum verstehen, wie man sich darob ernstlich ereifern mag.
Indessen wer so denkt, wird in seiner Sicherheit vielleicht doch etwas
irre, wenn er sich der Worte Schillers erinnert, der im 15. seiner
„Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ also schreibt:
„Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines
Menschen auf dem nämlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb
befriedigt.“

So? Und wenn nun das richtig ist, wo wäre denn dann das
Schönheitsideal unserer Fußballhelden und -Schwärmer zu finden? Doch
wohl in der Bethätigungsform, die dem Spiel seinen Namen ge-
geben, die aber der Sprachsinn des Volkes wenigstens bei uns im Süden
weit feinfühliger herausgefunden und weit treffender bezeichnet hat, wenn
er vom „Stauchballspiel“ redet. Das Stauchen, der Fußtritt, der ganz
gemeine „Hundstritt“ ist es ja, der hier den Ausschlag gibt! Er ist
es, der bald stärker, bald schwächer, bald in die Höhe, bald in die Weite,
sei's mit der möglichsten Wucht, sei's mit der möglichsten Schärfe aufs
Ziel geführt, das Spiel entscheidet, den Sieg gewinnt. Was bedeutet
aber der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, daß der Gegenstand, die
Person nicht wert sei, daß man auch nur die Hand um ihretwillen
rührte. Er ist ein Zeichen der Wegwerfung, der Geringschätzung, der
Verachtung, des Ekels, des Abscheus. So wurde und wird er immer
und überall verstanden, wenn er ohne Not angewendet wird. Wer's
nicht glaubt, kann ja in Betschuanaland in Hinterindien oder bei den
Botokuden die Probe darauf machen. Der Lappländer wäre gewiß
erst zu finden, der einen Fußstoß ans Schienbein für eine Schmeichelei
und einen Tritt unters Gesäß für eine Ehrenbezeugung hielte. Und nun
eine solche Bethätigungsform planmäßig, schulmäßig, selbst aus höheren
Gründen der Geschmacks- und Willensbildung zum Gegenstand der
Lieblingserholung, ja der ernsteren Leibes- und Geisteserziehung zu
machen, — in der That, ist das nicht recht eigentümlich?

Zunächst ist jede Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin
angesehen, häßlich. Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die
Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt

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[6/0012] verkrüppelten Gestalt so wahrhaft schöne Glied wieder zu der Ehre käme, die es seit den Tagen des Phayllus und des Phidias fast ausnahmslos entbehrt? Aber soll es dies deswegen, weil es mit den Hauern des Wildschweins, mit den Hörnern des Auerochsen, mit dem Nashorn des afrikanischen Untiers, das mit Negerleibern Fangball spielt, erfolgreich den Wettkampf aufnimmt? Freilich geschieht das ja nur spielweise, und darum wird mancher zunächst kaum verstehen, wie man sich darob ernstlich ereifern mag. Indessen wer so denkt, wird in seiner Sicherheit vielleicht doch etwas irre, wenn er sich der Worte Schillers erinnert, der im 15. seiner „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ also schreibt: „Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines Menschen auf dem nämlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt.“ So? Und wenn nun das richtig ist, wo wäre denn dann das Schönheitsideal unserer Fußballhelden und -Schwärmer zu finden? Doch wohl in der Bethätigungsform, die dem Spiel seinen Namen ge- geben, die aber der Sprachsinn des Volkes wenigstens bei uns im Süden weit feinfühliger herausgefunden und weit treffender bezeichnet hat, wenn er vom „Stauchballspiel“ redet. Das Stauchen, der Fußtritt, der ganz gemeine „Hundstritt“ ist es ja, der hier den Ausschlag gibt! Er ist es, der bald stärker, bald schwächer, bald in die Höhe, bald in die Weite, sei's mit der möglichsten Wucht, sei's mit der möglichsten Schärfe aufs Ziel geführt, das Spiel entscheidet, den Sieg gewinnt. Was bedeutet aber der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, daß der Gegenstand, die Person nicht wert sei, daß man auch nur die Hand um ihretwillen rührte. Er ist ein Zeichen der Wegwerfung, der Geringschätzung, der Verachtung, des Ekels, des Abscheus. So wurde und wird er immer und überall verstanden, wenn er ohne Not angewendet wird. Wer's nicht glaubt, kann ja in Betschuanaland in Hinterindien oder bei den Botokuden die Probe darauf machen. Der Lappländer wäre gewiß erst zu finden, der einen Fußstoß ans Schienbein für eine Schmeichelei und einen Tritt unters Gesäß für eine Ehrenbezeugung hielte. Und nun eine solche Bethätigungsform planmäßig, schulmäßig, selbst aus höheren Gründen der Geschmacks- und Willensbildung zum Gegenstand der Lieblingserholung, ja der ernsteren Leibes- und Geisteserziehung zu machen, — in der That, ist das nicht recht eigentümlich? Zunächst ist jede Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin angesehen, häßlich. Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt

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Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/12>, abgerufen am 23.11.2024.