Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in den See stürzen. Nur an Einer Stelle, fast in der Mitte des Sees, lagern zwei mächtige Schuttkegel; sie bestehen aus den Steintrümmern, welche die Lawinen niederrissen, und es dürfte wohl einmal eine Zeit eintreten, wo sie mit der Zunge des Einfangs verschmelzen und den See in zwei Theile zerschneiden. Sehen Sie das Hüttchen dort mitten im Mahd, das wie ein Smaragd herüberleuchtet? Sie kennen es ja durch den schwarzen Hans und haben im Grase nebenan unter dem Ahorn manches Stündlein verduselt. Dort auf der Geisalm zogen sie die Kähne auf den Kies des Ufers und gingen, nachdem sie die Ketten um Pflöcke gewunden, zur Hütte. Einer klopfte dreimal; von innen erscholl eine Stimme: Was soll sein auf Erden? Jener, welcher geklopft hatte, entgegnete: Gerechtigkeit muß werden! Behutsam wurde geöffnet, -- der Aschbacher Anton bot Jedem schweigend die Hand und führte sie an das Feuer, welches auf dem Herd loderte. In der Mitte des Blockhauses stand ein Tisch aus ungehobelten Brettern kunstos gezimmert mit dem blanken Säbel darauf, -- dessen Griff das österreichische Portepee schmückte. In einem Winkel lehnten mehrere Stutzen, den Hahn aufgezogen; über dem Schragen, wo ein Strohsack lag, hing die Uniform des Majors: ein Hut mit grünweißem Federbusch, ein hechtgrauer Frack in den See stürzen. Nur an Einer Stelle, fast in der Mitte des Sees, lagern zwei mächtige Schuttkegel; sie bestehen aus den Steintrümmern, welche die Lawinen niederrissen, und es dürfte wohl einmal eine Zeit eintreten, wo sie mit der Zunge des Einfangs verschmelzen und den See in zwei Theile zerschneiden. Sehen Sie das Hüttchen dort mitten im Mahd, das wie ein Smaragd herüberleuchtet? Sie kennen es ja durch den schwarzen Hans und haben im Grase nebenan unter dem Ahorn manches Stündlein verduselt. Dort auf der Geisalm zogen sie die Kähne auf den Kies des Ufers und gingen, nachdem sie die Ketten um Pflöcke gewunden, zur Hütte. Einer klopfte dreimal; von innen erscholl eine Stimme: Was soll sein auf Erden? Jener, welcher geklopft hatte, entgegnete: Gerechtigkeit muß werden! Behutsam wurde geöffnet, — der Aschbacher Anton bot Jedem schweigend die Hand und führte sie an das Feuer, welches auf dem Herd loderte. In der Mitte des Blockhauses stand ein Tisch aus ungehobelten Brettern kunstos gezimmert mit dem blanken Säbel darauf, — dessen Griff das österreichische Portepee schmückte. In einem Winkel lehnten mehrere Stutzen, den Hahn aufgezogen; über dem Schragen, wo ein Strohsack lag, hing die Uniform des Majors: ein Hut mit grünweißem Federbusch, ein hechtgrauer Frack <TEI> <text> <body> <div n="6"> <p><pb facs="#f0062"/> in den See stürzen. Nur an Einer Stelle, fast in der Mitte des Sees, lagern zwei mächtige Schuttkegel; sie bestehen aus den Steintrümmern, welche die Lawinen niederrissen, und es dürfte wohl einmal eine Zeit eintreten, wo sie mit der Zunge des Einfangs verschmelzen und den See in zwei Theile zerschneiden. Sehen Sie das Hüttchen dort mitten im Mahd, das wie ein Smaragd herüberleuchtet? Sie kennen es ja durch den schwarzen Hans und haben im Grase nebenan unter dem Ahorn manches Stündlein verduselt.</p><lb/> <p>Dort auf der Geisalm zogen sie die Kähne auf den Kies des Ufers und gingen, nachdem sie die Ketten um Pflöcke gewunden, zur Hütte. Einer klopfte dreimal; von innen erscholl eine Stimme:</p><lb/> <p>Was soll sein auf Erden?</p><lb/> <p>Jener, welcher geklopft hatte, entgegnete: Gerechtigkeit muß werden!</p><lb/> <p>Behutsam wurde geöffnet, — der Aschbacher Anton bot Jedem schweigend die Hand und führte sie an das Feuer, welches auf dem Herd loderte. In der Mitte des Blockhauses stand ein Tisch aus ungehobelten Brettern kunstos gezimmert mit dem blanken Säbel darauf, — dessen Griff das österreichische Portepee schmückte. In einem Winkel lehnten mehrere Stutzen, den Hahn aufgezogen; über dem Schragen, wo ein Strohsack lag, hing die Uniform des Majors: ein Hut mit grünweißem Federbusch, ein hechtgrauer Frack<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
in den See stürzen. Nur an Einer Stelle, fast in der Mitte des Sees, lagern zwei mächtige Schuttkegel; sie bestehen aus den Steintrümmern, welche die Lawinen niederrissen, und es dürfte wohl einmal eine Zeit eintreten, wo sie mit der Zunge des Einfangs verschmelzen und den See in zwei Theile zerschneiden. Sehen Sie das Hüttchen dort mitten im Mahd, das wie ein Smaragd herüberleuchtet? Sie kennen es ja durch den schwarzen Hans und haben im Grase nebenan unter dem Ahorn manches Stündlein verduselt.
Dort auf der Geisalm zogen sie die Kähne auf den Kies des Ufers und gingen, nachdem sie die Ketten um Pflöcke gewunden, zur Hütte. Einer klopfte dreimal; von innen erscholl eine Stimme:
Was soll sein auf Erden?
Jener, welcher geklopft hatte, entgegnete: Gerechtigkeit muß werden!
Behutsam wurde geöffnet, — der Aschbacher Anton bot Jedem schweigend die Hand und führte sie an das Feuer, welches auf dem Herd loderte. In der Mitte des Blockhauses stand ein Tisch aus ungehobelten Brettern kunstos gezimmert mit dem blanken Säbel darauf, — dessen Griff das österreichische Portepee schmückte. In einem Winkel lehnten mehrere Stutzen, den Hahn aufgezogen; über dem Schragen, wo ein Strohsack lag, hing die Uniform des Majors: ein Hut mit grünweißem Federbusch, ein hechtgrauer Frack
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Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/62>, abgerufen am 01.07.2024. |