Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.vorläufig zum Abdanken wenig Lust zeigte, zu übernehmen; bezüglich Gestalt und Sitten gehörte er zu jener großen Mittelklasse, welche im Guten wie in Schlechten am wenigsten durch die Mäuler der Leute läuft. Angerer konnte seine Arme leicht entbehren, er und die Töchter reichten für Haus und Feld aus, und so ging er mit Freuden auf den Antrag Nidinger's ein, ihm den Burschen als Knecht zu schicken. Schon am nächsten Morgen lief dieser freudestrahlend, das Bündel unter dem Arm, daher; war ihm doch nichts erwünschter, als mit Walburg unter Einem Dache zu wohnen. Die Wonne währte aber gar nicht lange. Sie trumpfte ihn, als er sich ihr nähern wollte, so scharf ab, daß ihm die Lust verging, sie noch einmal anzureden. Einige Tage darauf, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt, lief bei dem Gemeindevorsteher ein Schreiben mit dem bayerischen Amtssiegel ein. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß bis zum ersten November 1808 eine Truppenaushebung stattfinden solle, wobei alle Bursche vom vollendeten neunzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahre loosen müßten. Das war ein großer Jammer, nicht blos im Thal, sondern durch ganz Tirol, wo bisher kein Zwang zum Waffendienste galt. Was half aber das Murren? Man tröstete sich auf den nächsten Frühling, und ballte vorläufig die Faust im Sack. Der Gemeindevorsteher vollendete die Listen, ein Anschlag am schwarzen Brett lud die Pflichtigen auf den Sonntag zum Riederer vorläufig zum Abdanken wenig Lust zeigte, zu übernehmen; bezüglich Gestalt und Sitten gehörte er zu jener großen Mittelklasse, welche im Guten wie in Schlechten am wenigsten durch die Mäuler der Leute läuft. Angerer konnte seine Arme leicht entbehren, er und die Töchter reichten für Haus und Feld aus, und so ging er mit Freuden auf den Antrag Nidinger's ein, ihm den Burschen als Knecht zu schicken. Schon am nächsten Morgen lief dieser freudestrahlend, das Bündel unter dem Arm, daher; war ihm doch nichts erwünschter, als mit Walburg unter Einem Dache zu wohnen. Die Wonne währte aber gar nicht lange. Sie trumpfte ihn, als er sich ihr nähern wollte, so scharf ab, daß ihm die Lust verging, sie noch einmal anzureden. Einige Tage darauf, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt, lief bei dem Gemeindevorsteher ein Schreiben mit dem bayerischen Amtssiegel ein. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß bis zum ersten November 1808 eine Truppenaushebung stattfinden solle, wobei alle Bursche vom vollendeten neunzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahre loosen müßten. Das war ein großer Jammer, nicht blos im Thal, sondern durch ganz Tirol, wo bisher kein Zwang zum Waffendienste galt. Was half aber das Murren? Man tröstete sich auf den nächsten Frühling, und ballte vorläufig die Faust im Sack. Der Gemeindevorsteher vollendete die Listen, ein Anschlag am schwarzen Brett lud die Pflichtigen auf den Sonntag zum Riederer <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028"/> vorläufig zum Abdanken wenig Lust zeigte, zu übernehmen; bezüglich Gestalt und Sitten gehörte er zu jener großen Mittelklasse, welche im Guten wie in Schlechten am wenigsten durch die Mäuler der Leute läuft. Angerer konnte seine Arme leicht entbehren, er und die Töchter reichten für Haus und Feld aus, und so ging er mit Freuden auf den Antrag Nidinger's ein, ihm den Burschen als Knecht zu schicken. Schon am nächsten Morgen lief dieser freudestrahlend, das Bündel unter dem Arm, daher; war ihm doch nichts erwünschter, als mit Walburg unter Einem Dache zu wohnen. Die Wonne währte aber gar nicht lange. Sie trumpfte ihn, als er sich ihr nähern wollte, so scharf ab, daß ihm die Lust verging, sie noch einmal anzureden.</p><lb/> <p>Einige Tage darauf, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt, lief bei dem Gemeindevorsteher ein Schreiben mit dem bayerischen Amtssiegel ein. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß bis zum ersten November 1808 eine Truppenaushebung stattfinden solle, wobei alle Bursche vom vollendeten neunzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahre loosen müßten. Das war ein großer Jammer, nicht blos im Thal, sondern durch ganz Tirol, wo bisher kein Zwang zum Waffendienste galt. Was half aber das Murren? Man tröstete sich auf den nächsten Frühling, und ballte vorläufig die Faust im Sack. Der Gemeindevorsteher vollendete die Listen, ein Anschlag am schwarzen Brett lud die Pflichtigen auf den Sonntag zum Riederer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
vorläufig zum Abdanken wenig Lust zeigte, zu übernehmen; bezüglich Gestalt und Sitten gehörte er zu jener großen Mittelklasse, welche im Guten wie in Schlechten am wenigsten durch die Mäuler der Leute läuft. Angerer konnte seine Arme leicht entbehren, er und die Töchter reichten für Haus und Feld aus, und so ging er mit Freuden auf den Antrag Nidinger's ein, ihm den Burschen als Knecht zu schicken. Schon am nächsten Morgen lief dieser freudestrahlend, das Bündel unter dem Arm, daher; war ihm doch nichts erwünschter, als mit Walburg unter Einem Dache zu wohnen. Die Wonne währte aber gar nicht lange. Sie trumpfte ihn, als er sich ihr nähern wollte, so scharf ab, daß ihm die Lust verging, sie noch einmal anzureden.
Einige Tage darauf, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt, lief bei dem Gemeindevorsteher ein Schreiben mit dem bayerischen Amtssiegel ein. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß bis zum ersten November 1808 eine Truppenaushebung stattfinden solle, wobei alle Bursche vom vollendeten neunzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahre loosen müßten. Das war ein großer Jammer, nicht blos im Thal, sondern durch ganz Tirol, wo bisher kein Zwang zum Waffendienste galt. Was half aber das Murren? Man tröstete sich auf den nächsten Frühling, und ballte vorläufig die Faust im Sack. Der Gemeindevorsteher vollendete die Listen, ein Anschlag am schwarzen Brett lud die Pflichtigen auf den Sonntag zum Riederer
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Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/28>, abgerufen am 16.02.2025. |