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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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im Gleichgewicht zu halten, ließ er die Gelegenheit nicht unbenützt und stahl rasch ein Küßchen. Er hatte nicht bemerkt, daß ihm der Alte folgte, im weichen Gras hörte er auch dessen Schritte nicht; dieser sah die liebliche Scene, sie erfreute ihn aber weniger, als vielleicht einen Maler, wär' einer dagewesen. Schweigend nahm er den Hut ab, kratzte im Haar und ging, ohne sich bemerkbar zu machen, rasch zurück. Auch während des ganzen Nachmittags verrieth er mit keinem Laute, was er beobachtet.

Klaus lag Nachts schon in tiefem Schlafe, und wohl auch im ganzen Hause mochte kein Auge mehr offen sein, da wurde er plötzlich von einer rauhen Hand gerüttelt. Erschrocken fuhr er auf, neben seinem Bette stand der alte Nidinger und forderte ihn auf, sich rasch anzukleiden. Willig gehorchte Klaus, welcher glaubte, er müsse vielleicht noch irgend ein Geräth zum Schmiede tragen, damit man es morgen zeitlich erhalte. Als er fertig war, stellte der Bauer die Lampe auf den Tisch und zog einen Schlüssel aus dem Sack. Du hast mit der Burgel angebandelt? begann er.

Klaus schwieg.

Du brauchst nicht zu läugnen, ich habe es ja selbst gesehen, gesehen mit diesen Augen.

Und ich hab' sie mit diesem Mund geküßt! Wer sagt dir denn, daß ich leugnen will? Wo hab' ich je gelogen?

im Gleichgewicht zu halten, ließ er die Gelegenheit nicht unbenützt und stahl rasch ein Küßchen. Er hatte nicht bemerkt, daß ihm der Alte folgte, im weichen Gras hörte er auch dessen Schritte nicht; dieser sah die liebliche Scene, sie erfreute ihn aber weniger, als vielleicht einen Maler, wär' einer dagewesen. Schweigend nahm er den Hut ab, kratzte im Haar und ging, ohne sich bemerkbar zu machen, rasch zurück. Auch während des ganzen Nachmittags verrieth er mit keinem Laute, was er beobachtet.

Klaus lag Nachts schon in tiefem Schlafe, und wohl auch im ganzen Hause mochte kein Auge mehr offen sein, da wurde er plötzlich von einer rauhen Hand gerüttelt. Erschrocken fuhr er auf, neben seinem Bette stand der alte Nidinger und forderte ihn auf, sich rasch anzukleiden. Willig gehorchte Klaus, welcher glaubte, er müsse vielleicht noch irgend ein Geräth zum Schmiede tragen, damit man es morgen zeitlich erhalte. Als er fertig war, stellte der Bauer die Lampe auf den Tisch und zog einen Schlüssel aus dem Sack. Du hast mit der Burgel angebandelt? begann er.

Klaus schwieg.

Du brauchst nicht zu läugnen, ich habe es ja selbst gesehen, gesehen mit diesen Augen.

Und ich hab' sie mit diesem Mund geküßt! Wer sagt dir denn, daß ich leugnen will? Wo hab' ich je gelogen?

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[0023] im Gleichgewicht zu halten, ließ er die Gelegenheit nicht unbenützt und stahl rasch ein Küßchen. Er hatte nicht bemerkt, daß ihm der Alte folgte, im weichen Gras hörte er auch dessen Schritte nicht; dieser sah die liebliche Scene, sie erfreute ihn aber weniger, als vielleicht einen Maler, wär' einer dagewesen. Schweigend nahm er den Hut ab, kratzte im Haar und ging, ohne sich bemerkbar zu machen, rasch zurück. Auch während des ganzen Nachmittags verrieth er mit keinem Laute, was er beobachtet. Klaus lag Nachts schon in tiefem Schlafe, und wohl auch im ganzen Hause mochte kein Auge mehr offen sein, da wurde er plötzlich von einer rauhen Hand gerüttelt. Erschrocken fuhr er auf, neben seinem Bette stand der alte Nidinger und forderte ihn auf, sich rasch anzukleiden. Willig gehorchte Klaus, welcher glaubte, er müsse vielleicht noch irgend ein Geräth zum Schmiede tragen, damit man es morgen zeitlich erhalte. Als er fertig war, stellte der Bauer die Lampe auf den Tisch und zog einen Schlüssel aus dem Sack. Du hast mit der Burgel angebandelt? begann er. Klaus schwieg. Du brauchst nicht zu läugnen, ich habe es ja selbst gesehen, gesehen mit diesen Augen. Und ich hab' sie mit diesem Mund geküßt! Wer sagt dir denn, daß ich leugnen will? Wo hab' ich je gelogen?

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/23>, abgerufen am 21.11.2024.