Jn Trauer-Spielen stelle man jeden Affect so gekünstelt vor, daß man offenbar merke, der duellirende Rival habe z. E. den andern nur in eine mit Blut gefüllte Rinds-Blase gestochen; die überwältigte Schöne habe nicht mehr Ler- men gemacht, als wenn sie sich an einer Nadel geritzt hätte; der sterbende Cato habe, mitten in der Todes-Angst, noch politische Staats- Discurse von Wiederaufhelfung des verfallnen Roms vorgebracht; der tödtlich erstochene A- mant habe nach vier und zwanzig Stunden sei- ne Schöne wieder bedienet; nebst tausend an- dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.
19. Maxime.
Jn lustigen Schau-Spielen pflegen die krie- chende Poeten den Harlequin und Scharamuz die Haupt-Person seyn zu lassen; der aber nicht eben sonderlich die Leser und Zuschauer mit scharfsinnigen Spaß-Reden, sondern haupt- sächlich mit Zoten, abgeschmackten Fratzen, pö- belhaften Ausdrücken und ungeschliffenen Re- den ergötzen muß. Doch giebt es auch Sauer- töpfe unter denen kriechenden Poeten, die in keiner Oper einen Harlequin, ja sogar die Mu- sic nicht, leiden wollen, weil es nicht natürlich sey, nach der Music mit einem zu reden. Da- für bringen sie lieber weitgeholte und grillen- fängerische Reflexionen aufs Tapet, darüber die Zuschauer einschlafen, und da sie verhofft, die
Lebens-
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bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
18. Maxime.
Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der duellirende Rival habe z. E. den andern nur in eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen; die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler- men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats- Diſcurſe von Wiederaufhelfung des verfallnen Roms vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A- mant habe nach vier und zwanzig Stunden ſei- ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an- dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.
19. Maxime.
Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie- chende Poeten den Harlequin und Scharamuz die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt- ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ- belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re- den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer- toͤpfe unter denen kriechenden Poeten, die in keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu- ſic nicht, leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da- fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen- faͤngeriſche Reflexionen aufs Tapet, daruͤber die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, die
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bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
18. Maxime.
Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect
ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der
duellirende Rival habe z. E. den andern nur in
eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen;
die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler-
men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel
geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten
in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats-
Diſcurſe von Wiederaufhelfung des verfallnen
Roms vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A-
mant habe nach vier und zwanzig Stunden ſei-
ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an-
dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.
19. Maxime.
Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie-
chende Poeten den Harlequin und Scharamuz
die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht
eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit
ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt-
ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ-
belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re-
den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer-
toͤpfe unter denen kriechenden Poeten, die in
keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu-
ſic nicht, leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich
ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da-
fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen-
faͤngeriſche Reflexionen aufs Tapet, daruͤber
die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, die
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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/79>, abgerufen am 03.03.2025.
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