Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergleichung kriechender Thiere
versichert, daß solches nur eine Parodie und ein
Modell der edlen Hans-Sachsen-Poesie sey,
hingegen es in der Religion weder auf einen gu-
ten noch schlechten Poeten ankomme, also einer
in der, bey verwöhnten Ohren fast lächerlich
klingenden, Hans-Sachsischen Poesie das höch-
ste Wesen vielleicht mit mehrerer Demuth und
Aufrichtigkeit anreden könne, als mit hochtra-
benden pharisäischen
Gesängen; folglich die
Absicht nicht sey, andächtige Seelen zu spotten,
wenn sie gleich alle Tage süngen: Ein Kinde-
lein so löbelich
ist uns gebohren heute, etc.:
So lasse ichs hiebey bewenden, und werde in
dem Nachspiele denen gegen uns Eingenomme-
nen alle weitere Scrupel benehmen, daß sie eine
unschuldige Parodie eines andern ehrwürdigen
alten Liedes nicht für ein Gespötte desselben an-
sehen werden. Wir müßten uns ja sonst selbst
widersprechen. Denn wir eifern ja in rechtem
Ernste für die Beybehaltung der altdeutschen
Poesie. Also müßten eher unsere Gegner, die
neuen Poeten, ein Gespötte mit diesem Gesan-
ge treiben, wenn ihnen unser Gedächtniß-Lied-
gen
auf Hans Sachsen und den Froschmäusler,
das doch in denen vornehmsten Touren jenem
nachgeahmet ist, lächerlich vorkommen sollte:
Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen
kein Schmetterling ist: So lasse ich auch die
poetischen Schmetterlinge, wo sie weiter we-
gen dieses Lust-Gesanges angefochten würden,
solches selbst verantworten.

§ 16.

Vergleichung kriechender Thiere
verſichert, daß ſolches nur eine Parodie und ein
Modell der edlen Hans-Sachſen-Poeſie ſey,
hingegen es in der Religion weder auf einen gu-
ten noch ſchlechten Poeten ankomme, alſo einer
in der, bey verwoͤhnten Ohren faſt laͤcherlich
klingenden, Hans-Sachſiſchen Poeſie das hoͤch-
ſte Weſen vielleicht mit mehrerer Demuth und
Aufrichtigkeit anreden koͤnne, als mit hochtra-
benden phariſaͤiſchen
Geſaͤngen; folglich die
Abſicht nicht ſey, andaͤchtige Seelen zu ſpotten,
wenn ſie gleich alle Tage ſuͤngen: Ein Kinde-
lein ſo loͤbelich
iſt uns gebohren heute, ꝛc.:
So laſſe ichs hiebey bewenden, und werde in
dem Nachſpiele denen gegen uns Eingenomme-
nen alle weitere Scrupel benehmen, daß ſie eine
unſchuldige Parodie eines andern ehrwuͤrdigen
alten Liedes nicht fuͤr ein Geſpoͤtte deſſelben an-
ſehen werden. Wir muͤßten uns ja ſonſt ſelbſt
widerſprechen. Denn wir eifern ja in rechtem
Ernſte fuͤr die Beybehaltung der altdeutſchen
Poeſie. Alſo muͤßten eher unſere Gegner, die
neuen Poeten, ein Geſpoͤtte mit dieſem Geſan-
ge treiben, wenn ihnen unſer Gedaͤchtniß-Lied-
gen
auf Hans Sachſen und den Froſchmaͤusler,
das doch in denen vornehmſten Touren jenem
nachgeahmet iſt, laͤcherlich vorkommen ſollte:
Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen
kein Schmetterling iſt: So laſſe ich auch die
poetiſchen Schmetterlinge, wo ſie weiter we-
gen dieſes Luſt-Geſanges angefochten wuͤrden,
ſolches ſelbſt verantworten.

§ 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vergleichung kriechender Thiere</hi></fw><lb/>
ver&#x017F;ichert, daß &#x017F;olches nur eine <hi rendition="#fr">Parodie</hi> und ein<lb/>
Modell der edlen <hi rendition="#fr">Hans-Sach&#x017F;en-Poe&#x017F;ie</hi> &#x017F;ey,<lb/>
hingegen es in der Religion weder auf einen gu-<lb/>
ten noch &#x017F;chlechten Poeten ankomme, al&#x017F;o einer<lb/>
in der, bey verwo&#x0364;hnten Ohren fa&#x017F;t la&#x0364;cherlich<lb/>
klingenden, <hi rendition="#fr">Hans-Sach&#x017F;i&#x017F;chen Poe&#x017F;ie</hi> das ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;te We&#x017F;en vielleicht mit mehrerer Demuth und<lb/>
Aufrichtigkeit anreden ko&#x0364;nne, als mit <hi rendition="#fr">hochtra-<lb/>
benden phari&#x017F;a&#x0364;i&#x017F;chen</hi> Ge&#x017F;a&#x0364;ngen; folglich die<lb/>
Ab&#x017F;icht nicht &#x017F;ey, anda&#x0364;chtige Seelen zu &#x017F;potten,<lb/>
wenn &#x017F;ie gleich alle Tage &#x017F;u&#x0364;ngen: <hi rendition="#fr">Ein Kinde-<lb/>
lein &#x017F;o lo&#x0364;belich</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#fr">uns gebohren heute, &#xA75B;c.:</hi><lb/>
So la&#x017F;&#x017F;e ichs hiebey bewenden, und werde in<lb/>
dem <hi rendition="#fr">Nach&#x017F;piele</hi> denen gegen uns Eingenomme-<lb/>
nen alle weitere Scrupel benehmen, daß &#x017F;ie eine<lb/><hi rendition="#fr">un&#x017F;chuldige Parodie</hi> eines andern ehrwu&#x0364;rdigen<lb/>
alten Liedes nicht fu&#x0364;r ein Ge&#x017F;po&#x0364;tte de&#x017F;&#x017F;elben an-<lb/>
&#x017F;ehen werden. Wir mu&#x0364;ßten uns ja &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wider&#x017F;prechen. Denn wir eifern ja in rechtem<lb/>
Ern&#x017F;te fu&#x0364;r die Beybehaltung der altdeut&#x017F;chen<lb/>
Poe&#x017F;ie. Al&#x017F;o mu&#x0364;ßten eher un&#x017F;ere Gegner, die<lb/><hi rendition="#fr">neuen Poeten,</hi> ein Ge&#x017F;po&#x0364;tte mit die&#x017F;em Ge&#x017F;an-<lb/>
ge treiben, wenn ihnen un&#x017F;er <hi rendition="#fr">Geda&#x0364;chtniß-Lied-<lb/>
gen</hi> auf Hans Sach&#x017F;en und den Fro&#x017F;chma&#x0364;usler,<lb/>
das doch in denen vornehm&#x017F;ten Touren jenem<lb/>
nachgeahmet i&#x017F;t, la&#x0364;cherlich vorkommen &#x017F;ollte:<lb/>
Weil aber das mir zugedachte <hi rendition="#fr">Wahrzeichen</hi><lb/>
kein Schmetterling i&#x017F;t: So la&#x017F;&#x017F;e ich auch die<lb/><hi rendition="#fr">poeti&#x017F;chen Schmetterlinge,</hi> wo &#x017F;ie weiter we-<lb/>
gen die&#x017F;es <hi rendition="#fr">Lu&#x017F;t-Ge&#x017F;anges</hi> angefochten wu&#x0364;rden,<lb/>
&#x017F;olches &#x017F;elb&#x017F;t verantworten.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">§ 16.</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] Vergleichung kriechender Thiere verſichert, daß ſolches nur eine Parodie und ein Modell der edlen Hans-Sachſen-Poeſie ſey, hingegen es in der Religion weder auf einen gu- ten noch ſchlechten Poeten ankomme, alſo einer in der, bey verwoͤhnten Ohren faſt laͤcherlich klingenden, Hans-Sachſiſchen Poeſie das hoͤch- ſte Weſen vielleicht mit mehrerer Demuth und Aufrichtigkeit anreden koͤnne, als mit hochtra- benden phariſaͤiſchen Geſaͤngen; folglich die Abſicht nicht ſey, andaͤchtige Seelen zu ſpotten, wenn ſie gleich alle Tage ſuͤngen: Ein Kinde- lein ſo loͤbelich iſt uns gebohren heute, ꝛc.: So laſſe ichs hiebey bewenden, und werde in dem Nachſpiele denen gegen uns Eingenomme- nen alle weitere Scrupel benehmen, daß ſie eine unſchuldige Parodie eines andern ehrwuͤrdigen alten Liedes nicht fuͤr ein Geſpoͤtte deſſelben an- ſehen werden. Wir muͤßten uns ja ſonſt ſelbſt widerſprechen. Denn wir eifern ja in rechtem Ernſte fuͤr die Beybehaltung der altdeutſchen Poeſie. Alſo muͤßten eher unſere Gegner, die neuen Poeten, ein Geſpoͤtte mit dieſem Geſan- ge treiben, wenn ihnen unſer Gedaͤchtniß-Lied- gen auf Hans Sachſen und den Froſchmaͤusler, das doch in denen vornehmſten Touren jenem nachgeahmet iſt, laͤcherlich vorkommen ſollte: Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen kein Schmetterling iſt: So laſſe ich auch die poetiſchen Schmetterlinge, wo ſie weiter we- gen dieſes Luſt-Geſanges angefochten wuͤrden, ſolches ſelbſt verantworten. § 16.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/62
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/62>, abgerufen am 22.11.2024.