Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

nach mathematischer Lehr-Art.
dem vornehmen Patron, dessen Zimmer sie be-
schreibet.

4. Anmerkung.

§ 27. Der Unterschied zwischen einem poeti-
schen Frosch und Maus ist dieser. Der Frosch
quäcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus
aber springt die Kreuz und die Quehre. Sie
quäcket auch nicht, sondern fispelt. Ein quäc-
kender
Poete bleibt bey seiner alten Leyer; er
bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti-
sche Maus aber erschnappt bald hie bald da ei-
nen andern Speck, und in Satyren bringt sie
beissende Stiche an; jener aber plumpt von
der Erde in den Teich, oder mit der Thüre ins
Haus.

5. Anmerkung.

§ 28. Was die neuen Poeten einen Phöbus
und Galimathias nennen, gehöret unter die
größten Zierlichkeiten der kriechenden Poesie
und Reimschmiede-Kunst. Denn damit der
niedrige Gedanke verstecket werde, bläset man
die Worte auf, daß er fein groß und erhaben
aussiehet. Jch gestehe es, wir sind hier Nach-
äffer
der neuen Poeten. Wir wollen gern so
hoch
dichten, als wie sie. Weil uns aber die
Adlers-Flügel mangeln: So borgen wir dem
Jcarus seine wächserne ab, und denken bis an
die Sonne zu steigen. Rings um uns ist lau-
ter Dunst,
und der versteckte Gedanke gleicht
einem geschwollnen Cörper, der oft für eine

natür-

nach mathematiſcher Lehr-Art.
dem vornehmen Patron, deſſen Zimmer ſie be-
ſchreibet.

4. Anmerkung.

§ 27. Der Unterſchied zwiſchen einem poeti-
ſchen Froſch und Maus iſt dieſer. Der Froſch
quaͤcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus
aber ſpringt die Kreuz und die Quehre. Sie
quaͤcket auch nicht, ſondern fiſpelt. Ein quaͤc-
kender
Poete bleibt bey ſeiner alten Leyer; er
bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti-
ſche Maus aber erſchnappt bald hie bald da ei-
nen andern Speck, und in Satyren bringt ſie
beiſſende Stiche an; jener aber plumpt von
der Erde in den Teich, oder mit der Thuͤre ins
Haus.

5. Anmerkung.

§ 28. Was die neuen Poeten einen Phoͤbus
und Galimathias nennen, gehoͤret unter die
groͤßten Zierlichkeiten der kriechenden Poeſie
und Reimſchmiede-Kunſt. Denn damit der
niedrige Gedanke verſtecket werde, blaͤſet man
die Worte auf, daß er fein groß und erhaben
ausſiehet. Jch geſtehe es, wir ſind hier Nach-
aͤffer
der neuen Poeten. Wir wollen gern ſo
hoch
dichten, als wie ſie. Weil uns aber die
Adlers-Fluͤgel mangeln: So borgen wir dem
Jcarus ſeine waͤchſerne ab, und denken bis an
die Sonne zu ſteigen. Rings um uns iſt lau-
ter Dunſt,
und der verſteckte Gedanke gleicht
einem geſchwollnen Coͤrper, der oft fuͤr eine

natuͤr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0039" n="31"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nach mathemati&#x017F;cher Lehr-Art.</hi></fw><lb/>
dem <hi rendition="#fr">vornehmen Patron,</hi> de&#x017F;&#x017F;en Zimmer &#x017F;ie be-<lb/>
&#x017F;chreibet.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">4. Anmerkung.</hi> </head><lb/>
              <p>§ 27. Der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen einem poeti-<lb/>
&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Fro&#x017F;ch</hi> und <hi rendition="#fr">Maus</hi> i&#x017F;t die&#x017F;er. Der <hi rendition="#fr">Fro&#x017F;ch</hi><lb/>
qua&#x0364;cket, und thut Satz vor Satz. Die <hi rendition="#fr">Maus</hi><lb/>
aber &#x017F;pringt die Kreuz und die Quehre. Sie<lb/>
qua&#x0364;cket auch nicht, &#x017F;ondern <hi rendition="#fr">fi&#x017F;pelt.</hi> Ein <hi rendition="#fr">qua&#x0364;c-<lb/>
kender</hi> Poete bleibt bey &#x017F;einer <hi rendition="#fr">alten Leyer;</hi> er<lb/>
bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti-<lb/>
&#x017F;che <hi rendition="#fr">Maus</hi> aber er&#x017F;chnappt bald hie bald da ei-<lb/>
nen <hi rendition="#fr">andern Speck,</hi> und in <hi rendition="#fr">Satyren</hi> bringt &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#fr">bei&#x017F;&#x017F;ende Stiche</hi> an; jener aber plumpt von<lb/>
der Erde in den Teich, oder mit der Thu&#x0364;re ins<lb/>
Haus.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">5. Anmerkung.</hi> </head><lb/>
              <p>§ 28. Was die neuen Poeten einen <hi rendition="#fr">Pho&#x0364;bus</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Galimathias</hi> nennen, geho&#x0364;ret unter die<lb/><hi rendition="#fr">gro&#x0364;ßten Zierlichkeiten</hi> der <hi rendition="#fr">kriechenden Poe&#x017F;ie</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Reim&#x017F;chmiede-Kun&#x017F;t.</hi> Denn damit der<lb/><hi rendition="#fr">niedrige Gedanke</hi> ver&#x017F;tecket werde, bla&#x0364;&#x017F;et man<lb/>
die Worte auf, daß er fein groß und erhaben<lb/>
aus&#x017F;iehet. Jch ge&#x017F;tehe es, wir &#x017F;ind hier <hi rendition="#fr">Nach-<lb/>
a&#x0364;ffer</hi> der neuen Poeten. Wir wollen gern <hi rendition="#fr">&#x017F;o<lb/>
hoch</hi> dichten, als wie &#x017F;ie. Weil uns aber die<lb/><hi rendition="#fr">Adlers-Flu&#x0364;gel</hi> mangeln: So borgen wir dem<lb/>
Jcarus &#x017F;eine <hi rendition="#fr">wa&#x0364;ch&#x017F;erne</hi> ab, und denken bis an<lb/>
die Sonne zu &#x017F;teigen. Rings um uns i&#x017F;t <hi rendition="#fr">lau-<lb/>
ter Dun&#x017F;t,</hi> und der ver&#x017F;teckte Gedanke gleicht<lb/>
einem <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chwollnen</hi> Co&#x0364;rper, der oft fu&#x0364;r eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">natu&#x0364;r-</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0039] nach mathematiſcher Lehr-Art. dem vornehmen Patron, deſſen Zimmer ſie be- ſchreibet. 4. Anmerkung. § 27. Der Unterſchied zwiſchen einem poeti- ſchen Froſch und Maus iſt dieſer. Der Froſch quaͤcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus aber ſpringt die Kreuz und die Quehre. Sie quaͤcket auch nicht, ſondern fiſpelt. Ein quaͤc- kender Poete bleibt bey ſeiner alten Leyer; er bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti- ſche Maus aber erſchnappt bald hie bald da ei- nen andern Speck, und in Satyren bringt ſie beiſſende Stiche an; jener aber plumpt von der Erde in den Teich, oder mit der Thuͤre ins Haus. 5. Anmerkung. § 28. Was die neuen Poeten einen Phoͤbus und Galimathias nennen, gehoͤret unter die groͤßten Zierlichkeiten der kriechenden Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt. Denn damit der niedrige Gedanke verſtecket werde, blaͤſet man die Worte auf, daß er fein groß und erhaben ausſiehet. Jch geſtehe es, wir ſind hier Nach- aͤffer der neuen Poeten. Wir wollen gern ſo hoch dichten, als wie ſie. Weil uns aber die Adlers-Fluͤgel mangeln: So borgen wir dem Jcarus ſeine waͤchſerne ab, und denken bis an die Sonne zu ſteigen. Rings um uns iſt lau- ter Dunſt, und der verſteckte Gedanke gleicht einem geſchwollnen Coͤrper, der oft fuͤr eine natuͤr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/39
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/39>, abgerufen am 03.12.2024.