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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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IV. Ein Gehacktes.
Noten gescheidt, die Verse aber ungereimt wa-
ren, man den Text konnte fahren lassen, und
sich an die Noten halten; waren aber die Ver-
se gut, und die darunter stehende Anmerkung
so, als des Verfassers der Noten über die Zer-
stöhrung Jerusalems:
So konnte man die
andächtige Geschichte in einem Striche fortle-
sen, ohne sich an die Noten zu kehren. Aber
der neue Traiteur im Tempel des guten Ge-
schmacks
ist listig. Damit man durchaus den
Text seiner Verse nebst den Noten lese, hat er
die Sterngen, Zahlen und Buchstaben, wo-
durch man sonst die Noten oder Anmerkungen
vom Texte unterscheidet, meistens weggelassen;
hingegen prosam und ligatam glatt an einander
gesetzet, und sein Gedichte also zerhackt, daß itzt
ein Fleck Verse, gleich darauf ein Fleckgen An-
merkungen
kömmt, jedoch ohne Kennzeichen,
daß es Noten sind, sondern beydes wie Text
aussiehet, und noch dazu mit großen Lettern
gedruckt ist, damit der Autor es durchaus nicht
verrathe, daß es Text-Noten sind, als dazu
man sonst kleinern Druck zu nehmen pfleget.
Aufdaß sich aber der Verleger nicht etwa be-
schweren mögte, daß dieser verkappte Noten-
Druck
zu viel Platz nehme: So ist dafür der
Text, oder das ganze Gedichte, mit sehr kleiner
Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß
die Verse doch das eigentliche Corpus, die dran
geflickte prosaische Flecke aber so gut als An-
merkungen
sind. Wenn also künftig ein Dich-

ter,

IV. Ein Gehacktes.
Noten geſcheidt, die Verſe aber ungereimt wa-
ren, man den Text konnte fahren laſſen, und
ſich an die Noten halten; waren aber die Ver-
ſe gut, und die darunter ſtehende Anmerkung
ſo, als des Verfaſſers der Noten uͤber die Zer-
ſtoͤhrung Jeruſalems:
So konnte man die
andaͤchtige Geſchichte in einem Striche fortle-
ſen, ohne ſich an die Noten zu kehren. Aber
der neue Traiteur im Tempel des guten Ge-
ſchmacks
iſt liſtig. Damit man durchaus den
Text ſeiner Verſe nebſt den Noten leſe, hat er
die Sterngen, Zahlen und Buchſtaben, wo-
durch man ſonſt die Noten oder Anmerkungen
vom Texte unterſcheidet, meiſtens weggelaſſen;
hingegen proſam und ligatam glatt an einander
geſetzet, und ſein Gedichte alſo zerhackt, daß itzt
ein Fleck Verſe, gleich darauf ein Fleckgen An-
merkungen
koͤmmt, jedoch ohne Kennzeichen,
daß es Noten ſind, ſondern beydes wie Text
ausſiehet, und noch dazu mit großen Lettern
gedruckt iſt, damit der Autor es durchaus nicht
verrathe, daß es Text-Noten ſind, als dazu
man ſonſt kleinern Druck zu nehmen pfleget.
Aufdaß ſich aber der Verleger nicht etwa be-
ſchweren moͤgte, daß dieſer verkappte Noten-
Druck
zu viel Platz nehme: So iſt dafuͤr der
Text, oder das ganze Gedichte, mit ſehr kleiner
Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß
die Verſe doch das eigentliche Corpus, die dran
geflickte proſaiſche Flecke aber ſo gut als An-
merkungen
ſind. Wenn alſo kuͤnftig ein Dich-

ter,
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[267/0275] IV. Ein Gehacktes. Noten geſcheidt, die Verſe aber ungereimt wa- ren, man den Text konnte fahren laſſen, und ſich an die Noten halten; waren aber die Ver- ſe gut, und die darunter ſtehende Anmerkung ſo, als des Verfaſſers der Noten uͤber die Zer- ſtoͤhrung Jeruſalems: So konnte man die andaͤchtige Geſchichte in einem Striche fortle- ſen, ohne ſich an die Noten zu kehren. Aber der neue Traiteur im Tempel des guten Ge- ſchmacks iſt liſtig. Damit man durchaus den Text ſeiner Verſe nebſt den Noten leſe, hat er die Sterngen, Zahlen und Buchſtaben, wo- durch man ſonſt die Noten oder Anmerkungen vom Texte unterſcheidet, meiſtens weggelaſſen; hingegen proſam und ligatam glatt an einander geſetzet, und ſein Gedichte alſo zerhackt, daß itzt ein Fleck Verſe, gleich darauf ein Fleckgen An- merkungen koͤmmt, jedoch ohne Kennzeichen, daß es Noten ſind, ſondern beydes wie Text ausſiehet, und noch dazu mit großen Lettern gedruckt iſt, damit der Autor es durchaus nicht verrathe, daß es Text-Noten ſind, als dazu man ſonſt kleinern Druck zu nehmen pfleget. Aufdaß ſich aber der Verleger nicht etwa be- ſchweren moͤgte, daß dieſer verkappte Noten- Druck zu viel Platz nehme: So iſt dafuͤr der Text, oder das ganze Gedichte, mit ſehr kleiner Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß die Verſe doch das eigentliche Corpus, die dran geflickte proſaiſche Flecke aber ſo gut als An- merkungen ſind. Wenn alſo kuͤnftig ein Dich- ter,

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/275>, abgerufen am 24.11.2024.