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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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II. Stockfisch.
oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der
W .... Buchhandlung aufstieß, meine
Verwunderung dem nächsten Nachbar zu er-
kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht
in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn
es auch die allersauberste und magnifiqueste Kü-
che
wäre, einen Tempel des guten Geschmacks
zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge-
malte Schild, das der curieuse Baumeister des
Tempels vom guten Geschmacke sich selber er-
dacht, soll ihm bey dem Pöbel ein Ansehen ma-
chen, oder die großen Geister sollen denken: Hier
ist des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge-
schmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine
Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und
meine aufgesetzten Gerichte sich wohl schmek-
ken
lassen, kehren sie sich nicht an diesen neuen
Windbeutel.
Sein vorgegebener Tempel des
guten Geschmacks ist ein bloßes Karten-Haus,
von ohngefehr vierzehn Blättern zusammenge-
setzet; ich schwöre aber drauf, er wird kein Pri-
vilegium
auswirken können, seinen zusammen-
geraffelten Küchen-Kram und Melange-Bou-
tique
einen Tempel vom guten Geschmacke
nennen zu dürfen. Wer von fürtrefflichem
Geschmacke
ist, der denke nicht, in einem Tem-
pel
einen bessern Geschmack bekommen zu wol-
len; und wer noch gar nicht weiß, was gut
schmecke,
oder was dazu gehöre, ein Mann
von gutem Geschmacke
genannt zu werden,
der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge-

hen

II. Stockfiſch.
oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der
W .... Buchhandlung aufſtieß, meine
Verwunderung dem naͤchſten Nachbar zu er-
kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht
in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn
es auch die allerſauberſte und magnifiqueſte Kuͤ-
che
waͤre, einen Tempel des guten Geſchmacks
zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge-
malte Schild, das der curieuſe Baumeiſter des
Tempels vom guten Geſchmacke ſich ſelber er-
dacht, ſoll ihm bey dem Poͤbel ein Anſehen ma-
chen, oder die großen Geiſter ſollen denken: Hier
iſt des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge-
ſchmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine
Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und
meine aufgeſetzten Gerichte ſich wohl ſchmek-
ken
laſſen, kehren ſie ſich nicht an dieſen neuen
Windbeutel.
Sein vorgegebener Tempel des
guten Geſchmacks iſt ein bloßes Karten-Haus,
von ohngefehr vierzehn Blaͤttern zuſammenge-
ſetzet; ich ſchwoͤre aber drauf, er wird kein Pri-
vilegium
auswirken koͤnnen, ſeinen zuſammen-
geraffelten Kuͤchen-Kram und Melange-Bou-
tique
einen Tempel vom guten Geſchmacke
nennen zu duͤrfen. Wer von fuͤrtrefflichem
Geſchmacke
iſt, der denke nicht, in einem Tem-
pel
einen beſſern Geſchmack bekommen zu wol-
len; und wer noch gar nicht weiß, was gut
ſchmecke,
oder was dazu gehoͤre, ein Mann
von gutem Geſchmacke
genannt zu werden,
der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge-

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[262/0270] II. Stockfiſch. oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der W .... Buchhandlung aufſtieß, meine Verwunderung dem naͤchſten Nachbar zu er- kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn es auch die allerſauberſte und magnifiqueſte Kuͤ- che waͤre, einen Tempel des guten Geſchmacks zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge- malte Schild, das der curieuſe Baumeiſter des Tempels vom guten Geſchmacke ſich ſelber er- dacht, ſoll ihm bey dem Poͤbel ein Anſehen ma- chen, oder die großen Geiſter ſollen denken: Hier iſt des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge- ſchmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und meine aufgeſetzten Gerichte ſich wohl ſchmek- ken laſſen, kehren ſie ſich nicht an dieſen neuen Windbeutel. Sein vorgegebener Tempel des guten Geſchmacks iſt ein bloßes Karten-Haus, von ohngefehr vierzehn Blaͤttern zuſammenge- ſetzet; ich ſchwoͤre aber drauf, er wird kein Pri- vilegium auswirken koͤnnen, ſeinen zuſammen- geraffelten Kuͤchen-Kram und Melange-Bou- tique einen Tempel vom guten Geſchmacke nennen zu duͤrfen. Wer von fuͤrtrefflichem Geſchmacke iſt, der denke nicht, in einem Tem- pel einen beſſern Geſchmack bekommen zu wol- len; und wer noch gar nicht weiß, was gut ſchmecke, oder was dazu gehoͤre, ein Mann von gutem Geſchmacke genannt zu werden, der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge- hen

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/270>, abgerufen am 24.11.2024.