Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Zwey hundert Maximen men. Wer aber in diesen allgemeinen Begrif-fen bestehen bleiben, und nicht die Wahrheiten vom öbersten und andern Range fassen wollte, der wäre wie einer, der sich immer mit einer Meß-Schnure schleppte, ohne solche wirklich an- zulegen, noch etwas darnach auszumessen. CLXVII. Die künstliche Logic, in so fern sie Vortheile anweiset, sich von den Sachen de- sto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu- fassen, und Schlüsse auszusinnen, oder zu be- urtheilen, gehört auch zu den Wahrheiten vom untersten Range. Jn so ferne aber darinn selbst die wesentlichen Kräfte des menschlichen Verstandes und die Regeln der Rechtdenkung vorgetragen werden, gehöret sie zu den Wahr- heiten vom öbersten Range. Es sind aber vie- le tausend Menschen, die richtig denken und ur- theilen, wenn sie gleich ihr Lebtage keine künst- liche Logic erlernet haben. CLXVIII. Wer in der künstlichen Logic die abstrahirten Begriffe übertreibet, und, anstatt einer vernünftigen Anatomie des Verstandes, ihn gleichsam zersplittert und zerpitzelt, der hat einen so lächerlichen Geschmack, als wenn ei- ner, bey Beschreibung eines Pallastes, alle Qua- dersteine und Balken daran zehlen wollte. Sol- che Stäubleins-Grübler und Zerlästerer des gesunden Witzes muß man für Würmer hal- ten, die in ihren eigenen Grillen sich selber ver- graben, und in ihrem eigenen Spinnegewebe sich versitzen. Lernt er aber die Logic gar deswegen, um
Zwey hundert Maximen men. Wer aber in dieſen allgemeinen Begrif-fen beſtehen bleiben, und nicht die Wahrheiten vom oͤberſten und andern Range faſſen wollte, der waͤre wie einer, der ſich immer mit einer Meß-Schnure ſchleppte, ohne ſolche wirklich an- zulegen, noch etwas darnach auszumeſſen. CLXVII. Die kuͤnſtliche Logic, in ſo fern ſie Vortheile anweiſet, ſich von den Sachen de- ſto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu- faſſen, und Schluͤſſe auszuſinnen, oder zu be- urtheilen, gehoͤrt auch zu den Wahrheiten vom unterſten Range. Jn ſo ferne aber darinn ſelbſt die weſentlichen Kraͤfte des menſchlichen Verſtandes und die Regeln der Rechtdenkung vorgetragen werden, gehoͤret ſie zu den Wahr- heiten vom oͤberſten Range. Es ſind aber vie- le tauſend Menſchen, die richtig denken und ur- theilen, wenn ſie gleich ihr Lebtage keine kuͤnſt- liche Logic erlernet haben. CLXVIII. Wer in der kuͤnſtlichen Logic die abſtrahirten Begriffe uͤbertreibet, und, anſtatt einer vernuͤnftigen Anatomie des Verſtandes, ihn gleichſam zerſplittert und zerpitzelt, der hat einen ſo laͤcherlichen Geſchmack, als wenn ei- ner, bey Beſchreibung eines Pallaſtes, alle Qua- derſteine und Balken daran zehlen wollte. Sol- che Staͤubleins-Gruͤbler und Zerlaͤſterer des geſunden Witzes muß man fuͤr Wuͤrmer hal- ten, die in ihren eigenen Grillen ſich ſelber ver- graben, und in ihrem eigenen Spinnegewebe ſich verſitzen. Lernt er aber die Logic gar deswegen, um
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Zwey hundert Maximen
men. Wer aber in dieſen allgemeinen Begrif-
fen beſtehen bleiben, und nicht die Wahrheiten
vom oͤberſten und andern Range faſſen wollte,
der waͤre wie einer, der ſich immer mit einer
Meß-Schnure ſchleppte, ohne ſolche wirklich an-
zulegen, noch etwas darnach auszumeſſen.
CLXVII. Die kuͤnſtliche Logic, in ſo fern
ſie Vortheile anweiſet, ſich von den Sachen de-
ſto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu-
faſſen, und Schluͤſſe auszuſinnen, oder zu be-
urtheilen, gehoͤrt auch zu den Wahrheiten vom
unterſten Range. Jn ſo ferne aber darinn
ſelbſt die weſentlichen Kraͤfte des menſchlichen
Verſtandes und die Regeln der Rechtdenkung
vorgetragen werden, gehoͤret ſie zu den Wahr-
heiten vom oͤberſten Range. Es ſind aber vie-
le tauſend Menſchen, die richtig denken und ur-
theilen, wenn ſie gleich ihr Lebtage keine kuͤnſt-
liche Logic erlernet haben.
CLXVIII. Wer in der kuͤnſtlichen Logic die
abſtrahirten Begriffe uͤbertreibet, und, anſtatt
einer vernuͤnftigen Anatomie des Verſtandes,
ihn gleichſam zerſplittert und zerpitzelt, der hat
einen ſo laͤcherlichen Geſchmack, als wenn ei-
ner, bey Beſchreibung eines Pallaſtes, alle Qua-
derſteine und Balken daran zehlen wollte. Sol-
che Staͤubleins-Gruͤbler und Zerlaͤſterer des
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ten, die in ihren eigenen Grillen ſich ſelber ver-
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/250>, abgerufen am 16.02.2025. |