Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwey hundert Maximen
Kützel und übersteigenden Geschmack viel Un-
gelegenheit zuziehen.
LXV. Ein übertriebener Geschmack, der
in die Pedanterey und Grillenfängerey verfällt,
ist derjenige, wenn einer die klärsten Grund-
Wahrheiten noch erst durch spitzfindige Beweise
weiter durchtreiben, oder durch viele Umschweife
und allotria sich auf sein Haupt-Thema spielen
will. Diesen Fehler trifft man in vielen Reden
des Cicero, und vielen Stellen des Virgils,
Horazens
und anderer poetischen Helden an.
LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na-
türlichen
abweichet, je mehr entfernt er sich vom
guten Geschmacke. Je tiefer auch einer in das
Bathos, oder in niederträchtige, vulgaire, pö-
belhafte und nichts importirende Gedanken ver-
sinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit-
hin auch den guten Geschmack.
LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent-
weder ein sehr großer bel Esprit seyn; oder aber,
wenn er selbst so ofte schlägelt, als der Verfas-
ser der Schrift vom Tempel des guten Ge-
schmacks,
wird man von ihm sagen: Er ver-
stehe selber noch nicht,
was gut oder übel
schmecke.
LXVIII. Eine Wissenschaft durch Maximen,
ungezwungene Regeln und kurze deutliche Sätze
vorzutragen, reizet den Geschmack der Leser und
Zuhörer.
LXIX. Sinnbilder, Devisen, Ueberschriften
und Apophthegmata vergnügen den Geschmack;
nur
Zwey hundert Maximen
Kuͤtzel und uͤberſteigenden Geſchmack viel Un-
gelegenheit zuziehen.
LXV. Ein uͤbertriebener Geſchmack, der
in die Pedanterey und Grillenfaͤngerey verfaͤllt,
iſt derjenige, wenn einer die klaͤrſten Grund-
Wahrheiten noch erſt durch ſpitzfindige Beweiſe
weiter durchtreiben, oder durch viele Umſchweife
und allotria ſich auf ſein Haupt-Thema ſpielen
will. Dieſen Fehler trifft man in vielen Reden
des Cicero, und vielen Stellen des Virgils,
Horazens
und anderer poetiſchen Helden an.
LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na-
tuͤrlichen
abweichet, je mehr entfernt er ſich vom
guten Geſchmacke. Je tiefer auch einer in das
Bathos, oder in niedertraͤchtige, vulgaire, poͤ-
belhafte und nichts importirende Gedanken ver-
ſinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit-
hin auch den guten Geſchmack.
LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent-
weder ein ſehr großer bel Eſprit ſeyn; oder aber,
wenn er ſelbſt ſo ofte ſchlaͤgelt, als der Verfaſ-
ſer der Schrift vom Tempel des guten Ge-
ſchmacks,
wird man von ihm ſagen: Er ver-
ſtehe ſelber noch nicht,
was gut oder uͤbel
ſchmecke.
LXVIII. Eine Wiſſenſchaft durch Maximen,
ungezwungene Regeln und kurze deutliche Saͤtze
vorzutragen, reizet den Geſchmack der Leſer und
Zuhoͤrer.
LXIX. Sinnbilder, Deviſen, Ueberſchriften
und Apophthegmata vergnuͤgen den Geſchmack;
nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0210" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zwey hundert Maximen</hi></fw><lb/>
Ku&#x0364;tzel und <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber&#x017F;teigenden Ge&#x017F;chmack</hi> viel Un-<lb/>
gelegenheit zuziehen.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXV.</hi> Ein <hi rendition="#fr">u&#x0364;bertriebener Ge&#x017F;chmack,</hi> der<lb/>
in die <hi rendition="#fr">Pedanterey</hi> und Grillenfa&#x0364;ngerey verfa&#x0364;llt,<lb/>
i&#x017F;t derjenige, wenn einer die kla&#x0364;r&#x017F;ten Grund-<lb/>
Wahrheiten noch er&#x017F;t durch &#x017F;pitzfindige Bewei&#x017F;e<lb/>
weiter durchtreiben, oder durch viele <hi rendition="#fr">Um&#x017F;chweife</hi><lb/>
und <hi rendition="#aq">allotria</hi> &#x017F;ich auf &#x017F;ein Haupt-Thema &#x017F;pielen<lb/>
will. Die&#x017F;en Fehler trifft man in vielen Reden<lb/>
des <hi rendition="#fr">Cicero,</hi> und vielen Stellen des <hi rendition="#fr">Virgils,<lb/>
Horazens</hi> und anderer <hi rendition="#fr">poeti&#x017F;chen Helden</hi> an.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXVI.</hi> Je mehr der Vortrag von dem <hi rendition="#fr">Na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen</hi> abweichet, je mehr entfernt er &#x017F;ich vom<lb/><hi rendition="#fr">guten Ge&#x017F;chmacke.</hi> Je tiefer auch einer in das<lb/>
Bathos, oder in <hi rendition="#fr">niedertra&#x0364;chtige,</hi> <hi rendition="#aq">vulgaire,</hi> po&#x0364;-<lb/>
belhafte und <hi rendition="#fr">nichts importirende</hi> Gedanken ver-<lb/>
&#x017F;inket, je mehr verletzet er den <hi rendition="#fr">Wohlklang,</hi> mit-<lb/>
hin auch den <hi rendition="#fr">guten Ge&#x017F;chmack.</hi></item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXVII.</hi> Ein <hi rendition="#fr">Jedermanns-Tadler</hi> muß ent-<lb/>
weder ein &#x017F;ehr großer <hi rendition="#aq">bel E&#x017F;prit</hi> &#x017F;eyn; oder aber,<lb/>
wenn er &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o ofte &#x017F;chla&#x0364;gelt, als der <hi rendition="#fr">Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er der Schrift vom Tempel des guten Ge-<lb/>
&#x017F;chmacks,</hi> wird man von ihm &#x017F;agen: Er <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
&#x017F;tehe &#x017F;elber noch nicht,</hi> was gut oder u&#x0364;bel<lb/>
&#x017F;chmecke.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXVIII.</hi> Eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft durch Maximen,<lb/>
ungezwungene Regeln und kurze deutliche Sa&#x0364;tze<lb/>
vorzutragen, <hi rendition="#fr">reizet</hi> den <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chmack</hi> der Le&#x017F;er und<lb/>
Zuho&#x0364;rer.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXIX.</hi> Sinnbilder, Devi&#x017F;en, Ueber&#x017F;chriften<lb/>
und <hi rendition="#aq">Apophthegmata</hi> vergnu&#x0364;gen den Ge&#x017F;chmack;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nur</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0210] Zwey hundert Maximen Kuͤtzel und uͤberſteigenden Geſchmack viel Un- gelegenheit zuziehen. LXV. Ein uͤbertriebener Geſchmack, der in die Pedanterey und Grillenfaͤngerey verfaͤllt, iſt derjenige, wenn einer die klaͤrſten Grund- Wahrheiten noch erſt durch ſpitzfindige Beweiſe weiter durchtreiben, oder durch viele Umſchweife und allotria ſich auf ſein Haupt-Thema ſpielen will. Dieſen Fehler trifft man in vielen Reden des Cicero, und vielen Stellen des Virgils, Horazens und anderer poetiſchen Helden an. LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na- tuͤrlichen abweichet, je mehr entfernt er ſich vom guten Geſchmacke. Je tiefer auch einer in das Bathos, oder in niedertraͤchtige, vulgaire, poͤ- belhafte und nichts importirende Gedanken ver- ſinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit- hin auch den guten Geſchmack. LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent- weder ein ſehr großer bel Eſprit ſeyn; oder aber, wenn er ſelbſt ſo ofte ſchlaͤgelt, als der Verfaſ- ſer der Schrift vom Tempel des guten Ge- ſchmacks, wird man von ihm ſagen: Er ver- ſtehe ſelber noch nicht, was gut oder uͤbel ſchmecke. LXVIII. Eine Wiſſenſchaft durch Maximen, ungezwungene Regeln und kurze deutliche Saͤtze vorzutragen, reizet den Geſchmack der Leſer und Zuhoͤrer. LXIX. Sinnbilder, Deviſen, Ueberſchriften und Apophthegmata vergnuͤgen den Geſchmack; nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/210
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/210>, abgerufen am 24.11.2024.