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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vor der erhabenen Dichterey.
thue, als habe er noch was vergessen, das ihm
nun wieder erst beyfalle, wie jenem Gesandten,
der den Kayser so lange aufhielte, daß, als der
Redner eine neue Tour vom Alexander dem
Großen vorbrachte, der Kayser sagte: Er glau-
be, Alexander werde unterdeß wol gespeiset
haben, ehe er was weiters vorgenommen.

Aber kein Reim-Schmied bindet sich an so enge
Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul fällt.
Er fragt nicht: Obs klappt? ob sichs schickt?
ob der Gedanke nicht verfänglich?
Es ist
genug, wenn sichs nur reimt, der Leser möge
sich das beste herausnehmen, wie es jener Pfar-
rer
thun sollte, der eine Leichen-Predigt im
Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte:
Was seines Vaters letzte Worte gewesen?
Worauf dieser lange herum sanne, endlich her-
ausplatzte, und sagte: Je, Herr Magister, mein
Vater sprach: Hans, gib mir den Nachtschir-
bel
her! Kann sich nun der Herr Magister,
fuhr Hans fort, was draus nehmen, so thue
ers! So wenig ich nun darnach frage, weil
ich mich in die Stelle und den Character krie-
chender Poeten
einmal gesetzet, ob dieses Hi-
störgen allhier seine rechte Stelle habe, und sich
zu meiner vorhabenden Abhandlung schicke: So
deutlich werden daraus meine Leser abnehmen,
wie ich durch die wirkliche That meinen über-
nommenen Character auszudrücken suche, näm-
lich so kauderwelsch unter einander allhier zu
schreiben, als es die Reim-Schmiede in ihren

Gedich-
K 3

vor der erhabenen Dichterey.
thue, als habe er noch was vergeſſen, das ihm
nun wieder erſt beyfalle, wie jenem Geſandten,
der den Kayſer ſo lange aufhielte, daß, als der
Redner eine neue Tour vom Alexander dem
Großen vorbrachte, der Kayſer ſagte: Er glau-
be, Alexander werde unterdeß wol geſpeiſet
haben, ehe er was weiters vorgenommen.

Aber kein Reim-Schmied bindet ſich an ſo enge
Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul faͤllt.
Er fragt nicht: Obs klappt? ob ſichs ſchickt?
ob der Gedanke nicht verfaͤnglich?
Es iſt
genug, wenn ſichs nur reimt, der Leſer moͤge
ſich das beſte herausnehmen, wie es jener Pfar-
rer
thun ſollte, der eine Leichen-Predigt im
Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte:
Was ſeines Vaters letzte Worte geweſen?
Worauf dieſer lange herum ſanne, endlich her-
ausplatzte, und ſagte: Je, Herr Magiſter, mein
Vater ſprach: Hans, gib mir den Nachtſchir-
bel
her! Kann ſich nun der Herr Magiſter,
fuhr Hans fort, was draus nehmen, ſo thue
ers! So wenig ich nun darnach frage, weil
ich mich in die Stelle und den Character krie-
chender Poeten
einmal geſetzet, ob dieſes Hi-
ſtoͤrgen allhier ſeine rechte Stelle habe, und ſich
zu meiner vorhabenden Abhandlung ſchicke: So
deutlich werden daraus meine Leſer abnehmen,
wie ich durch die wirkliche That meinen uͤber-
nommenen Character auszudruͤcken ſuche, naͤm-
lich ſo kauderwelſch unter einander allhier zu
ſchreiben, als es die Reim-Schmiede in ihren

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K 3
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[149/0157] vor der erhabenen Dichterey. thue, als habe er noch was vergeſſen, das ihm nun wieder erſt beyfalle, wie jenem Geſandten, der den Kayſer ſo lange aufhielte, daß, als der Redner eine neue Tour vom Alexander dem Großen vorbrachte, der Kayſer ſagte: Er glau- be, Alexander werde unterdeß wol geſpeiſet haben, ehe er was weiters vorgenommen. Aber kein Reim-Schmied bindet ſich an ſo enge Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul faͤllt. Er fragt nicht: Obs klappt? ob ſichs ſchickt? ob der Gedanke nicht verfaͤnglich? Es iſt genug, wenn ſichs nur reimt, der Leſer moͤge ſich das beſte herausnehmen, wie es jener Pfar- rer thun ſollte, der eine Leichen-Predigt im Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte: Was ſeines Vaters letzte Worte geweſen? Worauf dieſer lange herum ſanne, endlich her- ausplatzte, und ſagte: Je, Herr Magiſter, mein Vater ſprach: Hans, gib mir den Nachtſchir- bel her! Kann ſich nun der Herr Magiſter, fuhr Hans fort, was draus nehmen, ſo thue ers! So wenig ich nun darnach frage, weil ich mich in die Stelle und den Character krie- chender Poeten einmal geſetzet, ob dieſes Hi- ſtoͤrgen allhier ſeine rechte Stelle habe, und ſich zu meiner vorhabenden Abhandlung ſchicke: So deutlich werden daraus meine Leſer abnehmen, wie ich durch die wirkliche That meinen uͤber- nommenen Character auszudruͤcken ſuche, naͤm- lich ſo kauderwelſch unter einander allhier zu ſchreiben, als es die Reim-Schmiede in ihren Gedich- K 3

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/157>, abgerufen am 23.11.2024.