Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Vorzug der kriechenden Poesie und die Maus wolle im Wasser leben. BeyderNatur leidets nicht. Wollte der kriechende Poete sich hoch versteigen: So würde er in der Luft nicht Athem holen können, auch bald den Schwindel bekommen. Wollte hingegen der erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wür- de ihn seine Leichtigkeit bald heben, und er der dicken ausdünstenden Erden-Luft nicht gewohnt werden können. Diesemnach wird jeder Leser erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen- den Poeten, als ihr Sachwalter und Geschäfts- führer, auf mich genommen, wenn die Sache vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro- ceß kommen sollte, wir nicht alle beyde den Pro- ceß gewinnen, sondern eine Part solchen noth- wendig verspielen müsse. § 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen ein
Vorzug der kriechenden Poeſie und die Maus wolle im Waſſer leben. BeyderNatur leidets nicht. Wollte der kriechende Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den Schwindel bekommen. Wollte hingegen der erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr- de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen- den Poeten, als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts- fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro- ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro- ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth- wendig verſpielen muͤſſe. § 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen ein
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Vorzug der kriechenden Poeſie
und die Maus wolle im Waſſer leben. Beyder
Natur leidets nicht. Wollte der kriechende
Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der
Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den
Schwindel bekommen. Wollte hingegen der
erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr-
de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der
dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt
werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer
erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen-
den Poeten, als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts-
fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache
vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro-
ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro-
ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth-
wendig verſpielen muͤſſe.
§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen
eigenen Mann nicht habe, wie jener Schwabe
im Treffen ſagte, der das Gewehr niederſtreckte,
und meynte: Man ſolle ihm ſeinen Mann wei-
ſen, mit dem er anbilden ſolle, da er denn ſich
vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde ſetzen koͤnnen,
daß es des Schieſſens, Hauens und Stechens
nicht beduͤrfe: So gleiche ich alſo einem Par-
theygaͤnger oder Huſaren, der da eine Streife-
rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei-
nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was
er geſchwinde niederſchlagen oder erbeuten kann,
fuͤr ſich ſelbſt behaͤlt. Sollte ich aber von vie-
len dieſerhalb angefochten werden: So iſt es
denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchſtens nur
ein
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/134>, abgerufen am 16.02.2025. |