Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

für einen Froschmäusler.
getriebene anmuthige Fantaseyen hinaus: So
hat der Poete in ecstasi oder Entzückung gele-
gen. Fängt er aber an zu strampeln, zu schnau-
ben, zu toben, und treibet die Ausdrückungen
unangenehmer Empfindungen aufs höchste:
So saget man, er habe den poetischen Koller
gehabt.

29. Frage.
Sind nicht die froschmäuslerischen Abend-
Ständgen eine Mischung der poetischen
Entzückung und des poetischen Kollers?
Antwort.

Es scheinet beym ersten Anblicke sehr schwer,
ja ohnmöglich zu seyn, daß zwey so widerwärti-
ge Affecten, als die Entzückung und der Kol-
ler,
sollten zugleich Statt finden. Aber weil
in solchen Fällen eine Mischung des Angenehmen
und Unangenehmen öfters bey dem ist, der das
Ständgen bringet; indem es ihm angenehm,
wenn er seine Schöne am Fenster siehet; unan-
genehm,
daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer
ist: So lassen sich also in solchen Fällen die poe-
tische Entzückung und der poetische Koller ganz
wohl zusammen reimen. Ja eines bietet dem
andern die Hand. Denn wenn dem Amanten
der Koller einkömmt, daß er nicht bey seiner
Schöne im Bette seyn kann: So macht er sich,
wenn solches geschähe, zum voraus die süßesten
Vorstellungen, und geräth also in eine poetische
Entzückung. Erholt er sich aber daraus, und
überlegt, daß die kleine Gefälligkeit, da seine

Schöne
H 3

fuͤr einen Froſchmaͤusler.
getriebene anmuthige Fantaſeyen hinaus: So
hat der Poete in ecſtaſi oder Entzuͤckung gele-
gen. Faͤngt er aber an zu ſtrampeln, zu ſchnau-
ben, zu toben, und treibet die Ausdruͤckungen
unangenehmer Empfindungen aufs hoͤchſte:
So ſaget man, er habe den poetiſchen Koller
gehabt.

29. Frage.
Sind nicht die froſchmaͤusleriſchen Abend-
Staͤndgen eine Miſchung der poetiſchen
Entzuͤckung und des poetiſchen Kollers?
Antwort.

Es ſcheinet beym erſten Anblicke ſehr ſchwer,
ja ohnmoͤglich zu ſeyn, daß zwey ſo widerwaͤrti-
ge Affecten, als die Entzuͤckung und der Kol-
ler,
ſollten zugleich Statt finden. Aber weil
in ſolchen Faͤllen eine Miſchung des Angenehmen
und Unangenehmen oͤfters bey dem iſt, der das
Staͤndgen bringet; indem es ihm angenehm,
wenn er ſeine Schoͤne am Fenſter ſiehet; unan-
genehm,
daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer
iſt: So laſſen ſich alſo in ſolchen Faͤllen die poe-
tiſche Entzuͤckung und der poetiſche Koller ganz
wohl zuſammen reimen. Ja eines bietet dem
andern die Hand. Denn wenn dem Amanten
der Koller einkoͤmmt, daß er nicht bey ſeiner
Schoͤne im Bette ſeyn kann: So macht er ſich,
wenn ſolches geſchaͤhe, zum voraus die ſuͤßeſten
Vorſtellungen, und geraͤth alſo in eine poetiſche
Entzuͤckung. Erholt er ſich aber daraus, und
uͤberlegt, daß die kleine Gefaͤlligkeit, da ſeine

Schoͤne
H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0125" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">fu&#x0364;r einen Fro&#x017F;chma&#x0364;usler.</hi></fw><lb/>
getriebene <hi rendition="#fr">anmuthige</hi> Fanta&#x017F;eyen hinaus: So<lb/>
hat der Poete <hi rendition="#aq">in ec&#x017F;ta&#x017F;i</hi> oder Entzu&#x0364;ckung gele-<lb/>
gen. Fa&#x0364;ngt er aber an zu &#x017F;trampeln, zu &#x017F;chnau-<lb/>
ben, zu toben, und treibet die Ausdru&#x0364;ckungen<lb/><hi rendition="#fr">unangenehmer</hi> Empfindungen aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te:<lb/>
So &#x017F;aget man, er habe den <hi rendition="#fr">poeti&#x017F;chen Koller</hi><lb/>
gehabt.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">29. Frage.</hi> </head><lb/>
          <list>
            <item> <hi rendition="#fr">Sind nicht die fro&#x017F;chma&#x0364;usleri&#x017F;chen Abend-<lb/>
Sta&#x0364;ndgen eine Mi&#x017F;chung der poeti&#x017F;chen<lb/>
Entzu&#x0364;ckung und des poeti&#x017F;chen Kollers?</hi> </item>
          </list><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Antwort.</hi> </head><lb/>
            <p>Es &#x017F;cheinet beym er&#x017F;ten Anblicke &#x017F;ehr &#x017F;chwer,<lb/>
ja ohnmo&#x0364;glich zu &#x017F;eyn, daß zwey &#x017F;o widerwa&#x0364;rti-<lb/>
ge Affecten, als die <hi rendition="#fr">Entzu&#x0364;ckung</hi> und der <hi rendition="#fr">Kol-<lb/>
ler,</hi> &#x017F;ollten <hi rendition="#fr">zugleich</hi> Statt finden. Aber weil<lb/>
in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen eine Mi&#x017F;chung des Angenehmen<lb/>
und Unangenehmen o&#x0364;fters bey dem i&#x017F;t, der das<lb/>
Sta&#x0364;ndgen bringet; indem es ihm <hi rendition="#fr">angenehm,</hi><lb/>
wenn er &#x017F;eine Scho&#x0364;ne am Fen&#x017F;ter &#x017F;iehet; <hi rendition="#fr">unan-<lb/>
genehm,</hi> daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer<lb/>
i&#x017F;t: So la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich al&#x017F;o in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen die poe-<lb/>
ti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Entzu&#x0364;ckung</hi> und der poeti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Koller</hi> ganz<lb/>
wohl zu&#x017F;ammen reimen. Ja eines bietet dem<lb/>
andern die Hand. Denn wenn dem Amanten<lb/>
der <hi rendition="#fr">Koller</hi> einko&#x0364;mmt, daß er nicht bey &#x017F;einer<lb/>
Scho&#x0364;ne im Bette &#x017F;eyn kann: So macht er &#x017F;ich,<lb/>
wenn &#x017F;olches ge&#x017F;cha&#x0364;he, zum voraus die &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, und gera&#x0364;th al&#x017F;o in eine poeti&#x017F;che<lb/>
Entzu&#x0364;ckung. Erholt er &#x017F;ich aber daraus, und<lb/>
u&#x0364;berlegt, daß die kleine Gefa&#x0364;lligkeit, da &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Scho&#x0364;ne</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] fuͤr einen Froſchmaͤusler. getriebene anmuthige Fantaſeyen hinaus: So hat der Poete in ecſtaſi oder Entzuͤckung gele- gen. Faͤngt er aber an zu ſtrampeln, zu ſchnau- ben, zu toben, und treibet die Ausdruͤckungen unangenehmer Empfindungen aufs hoͤchſte: So ſaget man, er habe den poetiſchen Koller gehabt. 29. Frage. Sind nicht die froſchmaͤusleriſchen Abend- Staͤndgen eine Miſchung der poetiſchen Entzuͤckung und des poetiſchen Kollers? Antwort. Es ſcheinet beym erſten Anblicke ſehr ſchwer, ja ohnmoͤglich zu ſeyn, daß zwey ſo widerwaͤrti- ge Affecten, als die Entzuͤckung und der Kol- ler, ſollten zugleich Statt finden. Aber weil in ſolchen Faͤllen eine Miſchung des Angenehmen und Unangenehmen oͤfters bey dem iſt, der das Staͤndgen bringet; indem es ihm angenehm, wenn er ſeine Schoͤne am Fenſter ſiehet; unan- genehm, daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer iſt: So laſſen ſich alſo in ſolchen Faͤllen die poe- tiſche Entzuͤckung und der poetiſche Koller ganz wohl zuſammen reimen. Ja eines bietet dem andern die Hand. Denn wenn dem Amanten der Koller einkoͤmmt, daß er nicht bey ſeiner Schoͤne im Bette ſeyn kann: So macht er ſich, wenn ſolches geſchaͤhe, zum voraus die ſuͤßeſten Vorſtellungen, und geraͤth alſo in eine poetiſche Entzuͤckung. Erholt er ſich aber daraus, und uͤberlegt, daß die kleine Gefaͤlligkeit, da ſeine Schoͤne H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/125
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/125>, abgerufen am 23.12.2024.