noch nach wie vor die Frösche ihre Beine an den Leib ziehen sehen, nachdem also die peripherischen Nervenendigungen gar nicht mehr vorhanden waren und mithin von einem für Kürsch¬ ner nachgewiesenen diese treffenden Reize keine Rede mehr sein konnte. Kürschner sagt nun aber selbst (a. a. O. p. 135.): "Alle unter der Haut gelegenen Gebilde müssen sehr (!) stark verletzt werden, wenn Bewegungen erfolgen. Bei frisch deca¬ pitirten Thieren habe ich Muskeln gebrannt, mit Schwefel- und Salpetersäure betupft, ich habe sie gezerrt und gerissen und oft ohne Erfolg." Wenn man nun trotz alle Dem und trotz der Entfernung der peripherischen Nervenendigungen die Frösche ohne jede nachweisbare Veranlassung nach wie vor ihre Beine an den Leib ziehen sieht, so erscheint die Annahme reflectori¬ scher Thätigkeit vollkommen unstatthaft, und die Bewegung centralen Ursprungs.
Man könnte gegen die Bewegung als willkürliche noch den Einwand machen, dass sie bedingt sei durch den Wundreiz des durchschnittenen Markes. Da nämlich nach Engelhardt (Müller's Archiv v. 1841 p. 260.) ein Reiz der oberen Rücken¬ markspartie vorzugsweise Beugung, der unteren vorzugsweise Streckung der Gliedmassen erzeugt, da ausserdem die Enthaup¬ tung fast immer in der oberen Rückenmarkshälfte vorgenommen wird, so dürfte dieser Einwand vorerst nicht ohne Gewicht sein. Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass auch er unhaltbar ist. Man köpfe einen Frosch dicht hinter dem Occiput; denn auch dieser entwickelt nach Bell, Hall, Grainger, Flourens, Kürschner keine sensorischen Functionen mehr durch die Vermittlung des noch vorhandenen Stückes der Medulla oblon¬ gata. Dieser Frosch zieht ebenfalls die Beine an und setzt sich zurecht. Man reize nun mit einem Drahte die Durchschnitts¬ stelle des Markes, und man wird finden, dass die Schenkel mei¬ stens ganz ruhig bleiben und nur in den Hals- und Armmuskeln bebende und zitternde Erschütterungen sichtbar werden! Zur genaueren Beobachtung enthäutet man den Frosch. Somit giebt uns auch der Wundreiz des Centralmarks keinen Aufschluss.
noch nach wie vor die Frösche ihre Beine an den Leib ziehen sehen, nachdem also die peripherischen Nervenendigungen gar nicht mehr vorhanden waren und mithin von einem für Kürsch¬ ner nachgewiesenen diese treffenden Reize keine Rede mehr sein konnte. Kürschner sagt nun aber selbst (a. a. O. p. 135.): „Alle unter der Haut gelegenen Gebilde müssen sehr (!) stark verletzt werden, wenn Bewegungen erfolgen. Bei frisch deca¬ pitirten Thieren habe ich Muskeln gebrannt, mit Schwefel- und Salpetersäure betupft, ich habe sie gezerrt und gerissen und oft ohne Erfolg.“ Wenn man nun trotz alle Dem und trotz der Entfernung der peripherischen Nervenendigungen die Frösche ohne jede nachweisbare Veranlassung nach wie vor ihre Beine an den Leib ziehen sieht, so erscheint die Annahme reflectori¬ scher Thätigkeit vollkommen unstatthaft, und die Bewegung centralen Ursprungs.
Man könnte gegen die Bewegung als willkürliche noch den Einwand machen, dass sie bedingt sei durch den Wundreiz des durchschnittenen Markes. Da nämlich nach Engelhardt (Müller's Archiv v. 1841 p. 260.) ein Reiz der oberen Rücken¬ markspartie vorzugsweise Beugung, der unteren vorzugsweise Streckung der Gliedmassen erzeugt, da ausserdem die Enthaup¬ tung fast immer in der oberen Rückenmarkshälfte vorgenommen wird, so dürfte dieser Einwand vorerst nicht ohne Gewicht sein. Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass auch er unhaltbar ist. Man köpfe einen Frosch dicht hinter dem Occiput; denn auch dieser entwickelt nach Bell, Hall, Grainger, Flourens, Kürschner keine sensorischen Functionen mehr durch die Vermittlung des noch vorhandenen Stückes der Medulla oblon¬ gata. Dieser Frosch zieht ebenfalls die Beine an und setzt sich zurecht. Man reize nun mit einem Drahte die Durchschnitts¬ stelle des Markes, und man wird finden, dass die Schenkel mei¬ stens ganz ruhig bleiben und nur in den Hals- und Armmuskeln bebende und zitternde Erschütterungen sichtbar werden! Zur genaueren Beobachtung enthäutet man den Frosch. Somit giebt uns auch der Wundreiz des Centralmarks keinen Aufschluss.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0061"n="39"/>
noch nach wie vor die Frösche ihre Beine an den Leib ziehen<lb/>
sehen, nachdem also die peripherischen Nervenendigungen gar<lb/>
nicht mehr vorhanden waren und mithin von einem für <hirendition="#g">Kürsch¬<lb/>
ner</hi> nachgewiesenen diese treffenden Reize keine Rede mehr<lb/>
sein konnte. <hirendition="#g">Kürschner</hi> sagt nun aber selbst (a. a. O. p. 135.):<lb/>„Alle unter der Haut gelegenen Gebilde müssen sehr (!) stark<lb/>
verletzt werden, wenn Bewegungen erfolgen. Bei frisch deca¬<lb/>
pitirten Thieren habe ich Muskeln gebrannt, mit Schwefel- und<lb/>
Salpetersäure betupft, ich habe sie gezerrt und gerissen und<lb/>
oft ohne Erfolg.“ Wenn man nun trotz alle Dem und trotz der<lb/>
Entfernung der peripherischen Nervenendigungen die Frösche<lb/>
ohne jede nachweisbare Veranlassung nach wie vor ihre Beine<lb/>
an den Leib ziehen sieht, so erscheint die Annahme reflectori¬<lb/>
scher Thätigkeit vollkommen unstatthaft, und die Bewegung<lb/>
centralen Ursprungs.</p><lb/><p>Man könnte gegen die Bewegung als willkürliche noch den<lb/>
Einwand machen, dass sie bedingt sei durch den Wundreiz<lb/>
des durchschnittenen Markes. Da nämlich nach <hirendition="#g">Engelhardt</hi><lb/>
(Müller's Archiv v. 1841 p. 260.) ein Reiz der oberen Rücken¬<lb/>
markspartie vorzugsweise Beugung, der unteren vorzugsweise<lb/>
Streckung der Gliedmassen erzeugt, da ausserdem die Enthaup¬<lb/>
tung fast immer in der oberen Rückenmarkshälfte vorgenommen<lb/>
wird, so dürfte dieser Einwand vorerst nicht ohne Gewicht sein.<lb/>
Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass auch er unhaltbar ist.<lb/>
Man köpfe einen Frosch dicht hinter dem Occiput; denn auch<lb/>
dieser entwickelt nach <hirendition="#g">Bell</hi>, <hirendition="#g">Hall</hi>, <hirendition="#g">Grainger</hi>, <hirendition="#g">Flourens</hi>,<lb/><hirendition="#g">Kürschner</hi> keine sensorischen Functionen mehr durch die<lb/>
Vermittlung des noch vorhandenen Stückes der Medulla oblon¬<lb/>
gata. Dieser Frosch zieht ebenfalls die Beine an und setzt sich<lb/>
zurecht. Man reize nun mit einem Drahte die Durchschnitts¬<lb/>
stelle des Markes, und man wird finden, dass die Schenkel mei¬<lb/>
stens ganz ruhig bleiben und nur in den Hals- und Armmuskeln<lb/>
bebende und zitternde Erschütterungen sichtbar werden! Zur<lb/>
genaueren Beobachtung enthäutet man den Frosch. Somit giebt<lb/>
uns auch der Wundreiz des Centralmarks keinen Aufschluss.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[39/0061]
noch nach wie vor die Frösche ihre Beine an den Leib ziehen
sehen, nachdem also die peripherischen Nervenendigungen gar
nicht mehr vorhanden waren und mithin von einem für Kürsch¬
ner nachgewiesenen diese treffenden Reize keine Rede mehr
sein konnte. Kürschner sagt nun aber selbst (a. a. O. p. 135.):
„Alle unter der Haut gelegenen Gebilde müssen sehr (!) stark
verletzt werden, wenn Bewegungen erfolgen. Bei frisch deca¬
pitirten Thieren habe ich Muskeln gebrannt, mit Schwefel- und
Salpetersäure betupft, ich habe sie gezerrt und gerissen und
oft ohne Erfolg.“ Wenn man nun trotz alle Dem und trotz der
Entfernung der peripherischen Nervenendigungen die Frösche
ohne jede nachweisbare Veranlassung nach wie vor ihre Beine
an den Leib ziehen sieht, so erscheint die Annahme reflectori¬
scher Thätigkeit vollkommen unstatthaft, und die Bewegung
centralen Ursprungs.
Man könnte gegen die Bewegung als willkürliche noch den
Einwand machen, dass sie bedingt sei durch den Wundreiz
des durchschnittenen Markes. Da nämlich nach Engelhardt
(Müller's Archiv v. 1841 p. 260.) ein Reiz der oberen Rücken¬
markspartie vorzugsweise Beugung, der unteren vorzugsweise
Streckung der Gliedmassen erzeugt, da ausserdem die Enthaup¬
tung fast immer in der oberen Rückenmarkshälfte vorgenommen
wird, so dürfte dieser Einwand vorerst nicht ohne Gewicht sein.
Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass auch er unhaltbar ist.
Man köpfe einen Frosch dicht hinter dem Occiput; denn auch
dieser entwickelt nach Bell, Hall, Grainger, Flourens,
Kürschner keine sensorischen Functionen mehr durch die
Vermittlung des noch vorhandenen Stückes der Medulla oblon¬
gata. Dieser Frosch zieht ebenfalls die Beine an und setzt sich
zurecht. Man reize nun mit einem Drahte die Durchschnitts¬
stelle des Markes, und man wird finden, dass die Schenkel mei¬
stens ganz ruhig bleiben und nur in den Hals- und Armmuskeln
bebende und zitternde Erschütterungen sichtbar werden! Zur
genaueren Beobachtung enthäutet man den Frosch. Somit giebt
uns auch der Wundreiz des Centralmarks keinen Aufschluss.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/61>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.