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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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schen Kunstgriff halten wollen, so muss bemerkt werden, dass
Prochaska so gut wie Legallois sagt, dass die Nerven im
Rückenmarke, gleich einem "Centrum" (!!) ("tanquam centro"),
endigen, communiciren und auf einander einwirken. Wie kann
also behauptet werden, dass der Wiener Physiologe das Rük¬
kenmark blos als einen Nervenstrang betrachtet hätte. Was
aber die "wichtige" Unterscheidung Legallois' betrifft, dass
nur das Rückenmark das Prinzip des Lebens trage, welches
den Nerven nur mitgetheilt werde, keineswegs aber diesen
eigentümlich sei, so bemerken wir hiergegen, dass diese Frage
heut noch des Beweises der Entscheidung harrt und Legallois
nirgends einen Schatten von einem Beweise für oder gegen
erbracht hat.

Eine interessante Entdeckung Fodera's schien die Lehre
Prochaska's und Legallois' zu bestätigen. (Longet, Sy¬
steme nerveux. Tom. I. p. 313-314.)

"Bei einem mit Strychnin narkotisirten Thiere kann man
nach Willen die Convulsionen in diesem oder jenem Theile des
Körpers aufhören machen, wenn man das blossgelegte Rücken¬
mark an den entsprechenden Stellen comprimirt".

Marshall Hall und Grainger werden indessen sagen,
dass weder die ächte Empfindungsfaser, noch auch die ächte
Willensfaser an der Erzeugung dieser tetanischen Erscheinun¬
gen betheiligt sei, sondern im Gegentheile nur das excito-mo¬
torische System. Da dieses in der That seine Centralstätte im
Rückenmarke habe, so erkläre sich hieraus das Experiment
Fodera's zur Genüge.

Kölliker wird wohl sagen, dass an der Stelle der Com¬
pression die hier abtretenden Nerven zwar paralysirt würden,
dass aber dennoch die weiter im Rückenmark verlaufende mo¬
torische Faser von der grauen Substanz erregt werde.

Zu ähnlichen Ansichten mit Legallois ist Calmeil durch
seine Experimente gekommen. (Recherches sur la structure,
les fonctions et le ramolissement de la moelle epiniere. Dans
Journal des progres. Tom. XI. p. 87 etc. 1828 und Traite d'ana¬

schen Kunstgriff halten wollen, so muss bemerkt werden, dass
Prochaska so gut wie Legallois sagt, dass die Nerven im
Rückenmarke, gleich einem „Centrum“ (!!) („tanquam centro“),
endigen, communiciren und auf einander einwirken. Wie kann
also behauptet werden, dass der Wiener Physiologe das Rük¬
kenmark blos als einen Nervenstrang betrachtet hätte. Was
aber die „wichtige“ Unterscheidung Legallois' betrifft, dass
nur das Rückenmark das Prinzip des Lebens trage, welches
den Nerven nur mitgetheilt werde, keineswegs aber diesen
eigentümlich sei, so bemerken wir hiergegen, dass diese Frage
heut noch des Beweises der Entscheidung harrt und Legallois
nirgends einen Schatten von einem Beweise für oder gegen
erbracht hat.

Eine interessante Entdeckung Fodéra's schien die Lehre
Prochaska's und Legallois' zu bestätigen. (Longet, Sy¬
stème nerveux. Tom. I. p. 313–314.)

„Bei einem mit Strychnin narkotisirten Thiere kann man
nach Willen die Convulsionen in diesem oder jenem Theile des
Körpers aufhören machen, wenn man das blossgelegte Rücken¬
mark an den entsprechenden Stellen comprimirt“.

Marshall Hall und Grainger werden indessen sagen,
dass weder die ächte Empfindungsfaser, noch auch die ächte
Willensfaser an der Erzeugung dieser tetanischen Erscheinun¬
gen betheiligt sei, sondern im Gegentheile nur das excito-mo¬
torische System. Da dieses in der That seine Centralstätte im
Rückenmarke habe, so erkläre sich hieraus das Experiment
Fodéra's zur Genüge.

Kölliker wird wohl sagen, dass an der Stelle der Com¬
pression die hier abtretenden Nerven zwar paralysirt würden,
dass aber dennoch die weiter im Rückenmark verlaufende mo¬
torische Faser von der grauen Substanz erregt werde.

Zu ähnlichen Ansichten mit Legallois ist Calmeil durch
seine Experimente gekommen. (Recherches sur la structure,
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[7/0029] schen Kunstgriff halten wollen, so muss bemerkt werden, dass Prochaska so gut wie Legallois sagt, dass die Nerven im Rückenmarke, gleich einem „Centrum“ (!!) („tanquam centro“), endigen, communiciren und auf einander einwirken. Wie kann also behauptet werden, dass der Wiener Physiologe das Rük¬ kenmark blos als einen Nervenstrang betrachtet hätte. Was aber die „wichtige“ Unterscheidung Legallois' betrifft, dass nur das Rückenmark das Prinzip des Lebens trage, welches den Nerven nur mitgetheilt werde, keineswegs aber diesen eigentümlich sei, so bemerken wir hiergegen, dass diese Frage heut noch des Beweises der Entscheidung harrt und Legallois nirgends einen Schatten von einem Beweise für oder gegen erbracht hat. Eine interessante Entdeckung Fodéra's schien die Lehre Prochaska's und Legallois' zu bestätigen. (Longet, Sy¬ stème nerveux. Tom. I. p. 313–314.) „Bei einem mit Strychnin narkotisirten Thiere kann man nach Willen die Convulsionen in diesem oder jenem Theile des Körpers aufhören machen, wenn man das blossgelegte Rücken¬ mark an den entsprechenden Stellen comprimirt“. Marshall Hall und Grainger werden indessen sagen, dass weder die ächte Empfindungsfaser, noch auch die ächte Willensfaser an der Erzeugung dieser tetanischen Erscheinun¬ gen betheiligt sei, sondern im Gegentheile nur das excito-mo¬ torische System. Da dieses in der That seine Centralstätte im Rückenmarke habe, so erkläre sich hieraus das Experiment Fodéra's zur Genüge. Kölliker wird wohl sagen, dass an der Stelle der Com¬ pression die hier abtretenden Nerven zwar paralysirt würden, dass aber dennoch die weiter im Rückenmark verlaufende mo¬ torische Faser von der grauen Substanz erregt werde. Zu ähnlichen Ansichten mit Legallois ist Calmeil durch seine Experimente gekommen. (Recherches sur la structure, les fonctions et le ramolissement de la moëlle épinière. Dans Journal des progrès. Tom. XI. p. 87 etc. 1828 und Traité d'ana¬

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/29>, abgerufen am 23.11.2024.