Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874."Sonderbunds- und Secessionsgelüste" mehr oder weniger immer Das Gemeingefühl der Glieder in einem solchen Ganzen, der In der That, eine Gesinnung von hohem sittlichem Werth Aber freilich, wie alles Sittliche läßt sich auch die patriotische „Sonderbunds- und Seceſſionsgelüſte“ mehr oder weniger immer Das Gemeingefühl der Glieder in einem ſolchen Ganzen, der In der That, eine Geſinnung von hohem ſittlichem Werth Aber freilich, wie alles Sittliche läßt ſich auch die patriotiſche <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0031" n="21"/> „Sonderbunds- und Seceſſionsgelüſte“ mehr oder weniger immer<lb/> vorhanden. Deßhalb bleibt trotzdem ſtets das Geſündeſte, wo Staat<lb/> und Nation ſich im Weſentlichen decken.</p><lb/> <p>Das Gemeingefühl der Glieder in einem ſolchen Ganzen, der<lb/> vom Gedanken ſtärker oder leichter verklärte natürliche und lebens¬<lb/> kräftige Inſtinkt der Zuſammengehörigkeit, oder die <hi rendition="#g">Pietät</hi> gegen<lb/> Vaterland und Mutterſprache ſammt Allem, was ſie einſchließend<lb/> repräſentiren — das eben iſt <hi rendition="#g">Patriotismus</hi>. Auch ſeine Wiege<lb/> ſteht daher, wie die von allem Guten, im häuslichen Kreis der<lb/> Familie, im Hort des elterlich-geſchwiſterlichen Zuſammenlebens.<lb/> Wie ſich dieſes einſt ſachlich zum Volksſtaat erweiterte, ſo dehnt<lb/> ſich in mikrokosmiſcher Wiederholung bei geſunder Entwicklung die<lb/> anhängliche Liebe, der treue Gehorſam vom häuslichen Heerde in<lb/> immer weitere Kreiſe als ächter Bürgerſinn aus, um an ſeinem<lb/> Platz im Leben zu üben, was er in jener Pflanzſchule gelernt hat.</p><lb/> <p>In der That, eine Geſinnung von hohem <hi rendition="#g">ſittlichem Werth<lb/> und Gehalt</hi>! Stellen wir friſchweg in erſte Linie, daß ſie eine<lb/> ernſte <hi rendition="#g">Pflicht</hi> iſt. Denn wie gerne überſehen die Menſchen aller<lb/> Zeiten <hi rendition="#g">dieß</hi> Moment des Moraliſchen, weil ſie nur ein Auge ha¬<lb/> ben für ihre trotzig reklamirten Rechte. Wie wenn Rechte in der<lb/> Stellung des Endlichen zum Unendlichen oder ſogar des Einzelnen<lb/> zu einem größeren Ganzen überhaupt anders einen Sinn und<lb/> ſelbſt ein Recht hätten, denn als Baſis oder Ermöglichung der<lb/> Pflicht, dieſes weit höher ſtehenden Faktors. Der ſchlaffe Eudämo¬<lb/> nismus, der wie ein nervenlähmender Föhn durch unſre Zeit geht,<lb/> will freilich, und zwar nicht bloß als begehrlicher Sozialismus, da¬<lb/> von Nichts wiſſen; was Wunder, daß er ſich überall als gekränkte<lb/> und verkürzte Unſchuld fühlt, daß er zum philoſophiſchen und<lb/> praktiſchen Peſſimismus wird, der mit Gott und Welt hadert!</p><lb/> <p>Aber freilich, wie alles Sittliche läßt ſich auch die patriotiſche<lb/> Pflicht nicht beweiſen, ſondern nur darlegen und nachfühlen, ſchlie߬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [21/0031]
„Sonderbunds- und Seceſſionsgelüſte“ mehr oder weniger immer
vorhanden. Deßhalb bleibt trotzdem ſtets das Geſündeſte, wo Staat
und Nation ſich im Weſentlichen decken.
Das Gemeingefühl der Glieder in einem ſolchen Ganzen, der
vom Gedanken ſtärker oder leichter verklärte natürliche und lebens¬
kräftige Inſtinkt der Zuſammengehörigkeit, oder die Pietät gegen
Vaterland und Mutterſprache ſammt Allem, was ſie einſchließend
repräſentiren — das eben iſt Patriotismus. Auch ſeine Wiege
ſteht daher, wie die von allem Guten, im häuslichen Kreis der
Familie, im Hort des elterlich-geſchwiſterlichen Zuſammenlebens.
Wie ſich dieſes einſt ſachlich zum Volksſtaat erweiterte, ſo dehnt
ſich in mikrokosmiſcher Wiederholung bei geſunder Entwicklung die
anhängliche Liebe, der treue Gehorſam vom häuslichen Heerde in
immer weitere Kreiſe als ächter Bürgerſinn aus, um an ſeinem
Platz im Leben zu üben, was er in jener Pflanzſchule gelernt hat.
In der That, eine Geſinnung von hohem ſittlichem Werth
und Gehalt! Stellen wir friſchweg in erſte Linie, daß ſie eine
ernſte Pflicht iſt. Denn wie gerne überſehen die Menſchen aller
Zeiten dieß Moment des Moraliſchen, weil ſie nur ein Auge ha¬
ben für ihre trotzig reklamirten Rechte. Wie wenn Rechte in der
Stellung des Endlichen zum Unendlichen oder ſogar des Einzelnen
zu einem größeren Ganzen überhaupt anders einen Sinn und
ſelbſt ein Recht hätten, denn als Baſis oder Ermöglichung der
Pflicht, dieſes weit höher ſtehenden Faktors. Der ſchlaffe Eudämo¬
nismus, der wie ein nervenlähmender Föhn durch unſre Zeit geht,
will freilich, und zwar nicht bloß als begehrlicher Sozialismus, da¬
von Nichts wiſſen; was Wunder, daß er ſich überall als gekränkte
und verkürzte Unſchuld fühlt, daß er zum philoſophiſchen und
praktiſchen Peſſimismus wird, der mit Gott und Welt hadert!
Aber freilich, wie alles Sittliche läßt ſich auch die patriotiſche
Pflicht nicht beweiſen, ſondern nur darlegen und nachfühlen, ſchlie߬
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Zitationshilfe: | Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/31>, abgerufen am 17.02.2025. |