Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.durchnäßt war, -- die Zähne klapperten mir im Munde, der Frost schüttelte mich durch und durch, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder zurück in die Kajüte zu gehen, mir die Ohren zu verhalten und in der Nähe des Sterbenden zu verbleiben. Dieser war, ohngeachtet aller angewandten Hülfe, nach acht Stunden eine Leiche. Des Morgens bei der ersten Ladung zu Bschada wurde der Todte ausgeschifft. Man verpackte ihn unter einem Haufen Segeltuch und hielt den Fall vor dem reisenden Publikum geheim. Die Kajüte wurde mit Essig tüchtig gewaschen und gescheuert, und kein zweiter Fall hatte statt. Daß sich Krankheiten auf dem Schiffe einstellten, wunderte mich gar nicht; nur hätte ich selbe unter den armen Soldaten vermuthet, die Tag und Nacht auf dem Decke lagen, keine andere Nahrung hatten, als trockenes, schwarzes Brod, und nicht einmal mit Mänteln oder Decken versehen waren. Wie viele sah ich vor Kälte halb erstarrt, vom Regen triefend, an einem Stückchen Brode nagend, und wie steigt dies Elend erst in der kalten Jahreszeit, im Winter. Da währt, wie man mir sagte, die Reise von Redutkale bis Kertsch oft bei zwanzig Tage. Das Meer ist nämlich so bewegt, daß man sich den Stationen nicht nahen kann und manchmal Tage lang vor ihnen liegen bleibt. Trifft es nun einen armen Soldaten, die ganze Reise machen zu müssen, so ist es wahrhaftig ein Wunder, wenn er den Ort seiner Bestimmung lebend erreicht. Nach russischem System ist freilich der gemeine Mann keiner Beachtung werth. Die Matrosen sind zwar besser, aber auch nicht sehr durchnäßt war, — die Zähne klapperten mir im Munde, der Frost schüttelte mich durch und durch, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder zurück in die Kajüte zu gehen, mir die Ohren zu verhalten und in der Nähe des Sterbenden zu verbleiben. Dieser war, ohngeachtet aller angewandten Hülfe, nach acht Stunden eine Leiche. Des Morgens bei der ersten Ladung zu Bschada wurde der Todte ausgeschifft. Man verpackte ihn unter einem Haufen Segeltuch und hielt den Fall vor dem reisenden Publikum geheim. Die Kajüte wurde mit Essig tüchtig gewaschen und gescheuert, und kein zweiter Fall hatte statt. Daß sich Krankheiten auf dem Schiffe einstellten, wunderte mich gar nicht; nur hätte ich selbe unter den armen Soldaten vermuthet, die Tag und Nacht auf dem Decke lagen, keine andere Nahrung hatten, als trockenes, schwarzes Brod, und nicht einmal mit Mänteln oder Decken versehen waren. Wie viele sah ich vor Kälte halb erstarrt, vom Regen triefend, an einem Stückchen Brode nagend, und wie steigt dies Elend erst in der kalten Jahreszeit, im Winter. Da währt, wie man mir sagte, die Reise von Redutkale bis Kertsch oft bei zwanzig Tage. Das Meer ist nämlich so bewegt, daß man sich den Stationen nicht nahen kann und manchmal Tage lang vor ihnen liegen bleibt. Trifft es nun einen armen Soldaten, die ganze Reise machen zu müssen, so ist es wahrhaftig ein Wunder, wenn er den Ort seiner Bestimmung lebend erreicht. Nach russischem System ist freilich der gemeine Mann keiner Beachtung werth. Die Matrosen sind zwar besser, aber auch nicht sehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0291" n="283"/> durchnäßt war, — die Zähne klapperten mir im Munde, der Frost schüttelte mich durch und durch, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder zurück in die Kajüte zu gehen, mir die Ohren zu verhalten und in der Nähe des Sterbenden zu verbleiben. Dieser war, ohngeachtet aller angewandten Hülfe, nach acht Stunden eine Leiche. Des Morgens bei der ersten Ladung zu <hi rendition="#aq">Bschada</hi> wurde der Todte ausgeschifft. Man verpackte ihn unter einem Haufen Segeltuch und hielt den Fall vor dem reisenden Publikum geheim. Die Kajüte wurde mit Essig tüchtig gewaschen und gescheuert, und kein zweiter Fall hatte statt.</p> <p>Daß sich Krankheiten auf dem Schiffe einstellten, wunderte mich gar nicht; nur hätte ich selbe unter den armen Soldaten vermuthet, die Tag und Nacht auf dem Decke lagen, keine andere Nahrung hatten, als trockenes, schwarzes Brod, und nicht einmal mit Mänteln oder Decken versehen waren. Wie viele sah ich vor Kälte halb erstarrt, vom Regen triefend, an einem Stückchen Brode nagend, und wie steigt dies Elend erst in der kalten Jahreszeit, im Winter. Da währt, wie man mir sagte, die Reise von <hi rendition="#aq">Redutkale</hi> bis <hi rendition="#aq">Kertsch</hi> oft bei zwanzig Tage. Das Meer ist nämlich so bewegt, daß man sich den Stationen nicht nahen kann und manchmal Tage lang vor ihnen liegen bleibt. Trifft es nun einen armen Soldaten, die ganze Reise machen zu müssen, so ist es wahrhaftig ein Wunder, wenn er den Ort seiner Bestimmung lebend erreicht.</p> <p>Nach russischem System ist freilich der gemeine Mann keiner Beachtung werth.</p> <p>Die Matrosen sind zwar besser, aber auch nicht sehr </p> </div> </body> </text> </TEI> [283/0291]
durchnäßt war, — die Zähne klapperten mir im Munde, der Frost schüttelte mich durch und durch, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder zurück in die Kajüte zu gehen, mir die Ohren zu verhalten und in der Nähe des Sterbenden zu verbleiben. Dieser war, ohngeachtet aller angewandten Hülfe, nach acht Stunden eine Leiche. Des Morgens bei der ersten Ladung zu Bschada wurde der Todte ausgeschifft. Man verpackte ihn unter einem Haufen Segeltuch und hielt den Fall vor dem reisenden Publikum geheim. Die Kajüte wurde mit Essig tüchtig gewaschen und gescheuert, und kein zweiter Fall hatte statt.
Daß sich Krankheiten auf dem Schiffe einstellten, wunderte mich gar nicht; nur hätte ich selbe unter den armen Soldaten vermuthet, die Tag und Nacht auf dem Decke lagen, keine andere Nahrung hatten, als trockenes, schwarzes Brod, und nicht einmal mit Mänteln oder Decken versehen waren. Wie viele sah ich vor Kälte halb erstarrt, vom Regen triefend, an einem Stückchen Brode nagend, und wie steigt dies Elend erst in der kalten Jahreszeit, im Winter. Da währt, wie man mir sagte, die Reise von Redutkale bis Kertsch oft bei zwanzig Tage. Das Meer ist nämlich so bewegt, daß man sich den Stationen nicht nahen kann und manchmal Tage lang vor ihnen liegen bleibt. Trifft es nun einen armen Soldaten, die ganze Reise machen zu müssen, so ist es wahrhaftig ein Wunder, wenn er den Ort seiner Bestimmung lebend erreicht.
Nach russischem System ist freilich der gemeine Mann keiner Beachtung werth.
Die Matrosen sind zwar besser, aber auch nicht sehr
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Zitationshilfe: | Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/291>, abgerufen am 16.02.2025. |