Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.Er besorgte meinen Paß und alle Visa's, deren ich seit dem kurzen Eintritte in das christliche Reich schon ein halb Dutzend benöthigte, und unterhandelte für mich mit einem Tartaren, dessen Karavane nach Tiflis ging. Mit der guten deutschen Frau Alexandwer besah ich das erbärmliche, halbverfallene Städtchen und das Grabmahl Noah's. Natschivan soll nach persischen Berichten eine der größten und schönsten Städte Armeniens gewesen sein, und armenische Schriftsteller behaupten, daß Noah der Gründer dieser Stadt war. Die gegenwärtige Stadt ist ganz im orientalischen Style gebaut, nur an wenigen der neuern Häuser gehen die Fenster und Thüren der Gasse zu, meistens ist die Fronte nach den kleinen Gärten gerichtet. Auch die Tracht des Volkes ist noch ziemlich der persischen ähnlich; nur die Beamten, Kaufleute u. s. w. gehen europäisch gekleidet. Von Noah's Monument steht nur mehr ein kleines gewölbtes Gemach ohne Kuppel. Es scheint einst mit einer solchen überdeckt gewesen zu sein; allein mit Gewißheit kann man nach den wenigen vorhandenen Ruinen nicht darauf schließen. Im Innern sieht man weder einen Sarkophag noch ein Grab, nur in der Mitte steht ein gemauerter Pfeiler, der die Decke stützt. Das Ganze ist mit einer niedern Mauer umgeben. Viele Pilger, nicht nur Christen, auch Mohamedaner kommen hierher. -- Die Pilger beider Secten haben den merkwürdigen Glauben, daß, wenn sie ein Steinchen an die Wand drücken, dabei etwas denken und das Steinchen kleben bleibt, das Gedachte wahr sei oder in Erfüllung gehen werde; im entgegengesetzten Falle bleibt es nicht kleben. Die Sache verhält Er besorgte meinen Paß und alle Visa’s, deren ich seit dem kurzen Eintritte in das christliche Reich schon ein halb Dutzend benöthigte, und unterhandelte für mich mit einem Tartaren, dessen Karavane nach Tiflis ging. Mit der guten deutschen Frau Alexandwer besah ich das erbärmliche, halbverfallene Städtchen und das Grabmahl Noah’s. Natschivan soll nach persischen Berichten eine der größten und schönsten Städte Armeniens gewesen sein, und armenische Schriftsteller behaupten, daß Noah der Gründer dieser Stadt war. Die gegenwärtige Stadt ist ganz im orientalischen Style gebaut, nur an wenigen der neuern Häuser gehen die Fenster und Thüren der Gasse zu, meistens ist die Fronte nach den kleinen Gärten gerichtet. Auch die Tracht des Volkes ist noch ziemlich der persischen ähnlich; nur die Beamten, Kaufleute u. s. w. gehen europäisch gekleidet. Von Noah’s Monument steht nur mehr ein kleines gewölbtes Gemach ohne Kuppel. Es scheint einst mit einer solchen überdeckt gewesen zu sein; allein mit Gewißheit kann man nach den wenigen vorhandenen Ruinen nicht darauf schließen. Im Innern sieht man weder einen Sarkophag noch ein Grab, nur in der Mitte steht ein gemauerter Pfeiler, der die Decke stützt. Das Ganze ist mit einer niedern Mauer umgeben. Viele Pilger, nicht nur Christen, auch Mohamedaner kommen hierher. — Die Pilger beider Secten haben den merkwürdigen Glauben, daß, wenn sie ein Steinchen an die Wand drücken, dabei etwas denken und das Steinchen kleben bleibt, das Gedachte wahr sei oder in Erfüllung gehen werde; im entgegengesetzten Falle bleibt es nicht kleben. Die Sache verhält <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0253" n="245"/> Er besorgte meinen Paß und alle Visa’s, deren ich seit dem kurzen Eintritte in das christliche Reich schon ein halb Dutzend benöthigte, und unterhandelte für mich mit einem Tartaren, dessen Karavane nach <hi rendition="#aq">Tiflis</hi> ging. 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Im Innern sieht man weder einen Sarkophag noch ein Grab, nur in der Mitte steht ein gemauerter Pfeiler, der die Decke stützt. Das Ganze ist mit einer niedern Mauer umgeben. Viele Pilger, nicht nur Christen, auch Mohamedaner kommen hierher. — Die Pilger beider Secten haben den merkwürdigen Glauben, daß, wenn sie ein Steinchen an die Wand drücken, dabei etwas denken und das Steinchen kleben bleibt, das Gedachte wahr sei oder in Erfüllung gehen werde; im entgegengesetzten Falle bleibt es nicht kleben. Die Sache verhält </p> </div> </body> </text> </TEI> [245/0253]
Er besorgte meinen Paß und alle Visa’s, deren ich seit dem kurzen Eintritte in das christliche Reich schon ein halb Dutzend benöthigte, und unterhandelte für mich mit einem Tartaren, dessen Karavane nach Tiflis ging. Mit der guten deutschen Frau Alexandwer besah ich das erbärmliche, halbverfallene Städtchen und das Grabmahl Noah’s.
Natschivan soll nach persischen Berichten eine der größten und schönsten Städte Armeniens gewesen sein, und armenische Schriftsteller behaupten, daß Noah der Gründer dieser Stadt war. Die gegenwärtige Stadt ist ganz im orientalischen Style gebaut, nur an wenigen der neuern Häuser gehen die Fenster und Thüren der Gasse zu, meistens ist die Fronte nach den kleinen Gärten gerichtet. Auch die Tracht des Volkes ist noch ziemlich der persischen ähnlich; nur die Beamten, Kaufleute u. s. w. gehen europäisch gekleidet.
Von Noah’s Monument steht nur mehr ein kleines gewölbtes Gemach ohne Kuppel. Es scheint einst mit einer solchen überdeckt gewesen zu sein; allein mit Gewißheit kann man nach den wenigen vorhandenen Ruinen nicht darauf schließen. Im Innern sieht man weder einen Sarkophag noch ein Grab, nur in der Mitte steht ein gemauerter Pfeiler, der die Decke stützt. Das Ganze ist mit einer niedern Mauer umgeben. Viele Pilger, nicht nur Christen, auch Mohamedaner kommen hierher. — Die Pilger beider Secten haben den merkwürdigen Glauben, daß, wenn sie ein Steinchen an die Wand drücken, dabei etwas denken und das Steinchen kleben bleibt, das Gedachte wahr sei oder in Erfüllung gehen werde; im entgegengesetzten Falle bleibt es nicht kleben. Die Sache verhält
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Zitationshilfe: | Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/253>, abgerufen am 16.02.2025. |