Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850.daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch besondere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske Ansicht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr landeinwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder ausgetrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels. Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl; aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausgenommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wieder so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem Flusse gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer erblickt. Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird, wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt verweilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz, die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten tief beschämt. Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis 400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die Stadt die reichste im Lande wurde. Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch besondere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske Ansicht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr landeinwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder ausgetrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels. Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl; aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausgenommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wieder so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem Flusse gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer erblickt. Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird, wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt verweilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz, die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten tief beschämt. Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis 400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die Stadt die reichste im Lande wurde. Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0169" n="162"/> daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch besondere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske Ansicht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr landeinwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder ausgetrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels. Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl; aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausgenommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wieder so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem Flusse gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer erblickt. </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird, wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt verweilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz, die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten tief beschämt.</p> <p>Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis 400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die Stadt die reichste im Lande wurde.</p> <p>Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0169]
daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch besondere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske Ansicht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr landeinwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder ausgetrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels. Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl; aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausgenommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wieder so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem Flusse gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer erblickt.
Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird, wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt verweilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz, die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten tief beschämt.
Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis 400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die Stadt die reichste im Lande wurde.
Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige
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Zitationshilfe: | Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt02_1850/169>, abgerufen am 16.07.2024. |