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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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des "Demetrius" und "Warbeck" kreiste. In Kleists "Peter der Einsiedler", ppe_057.002
von dem wir nur den Titel überliefert haben, gewinnen wir ppe_057.003
durch den Stoffkreis eine Vorstufe zum "Robert Guiskard". Aber gar ppe_057.004
nichts anfangen können wir mit der Nachricht über einen ausgeführten ppe_057.005
zweibändigen Roman Kleists, solange das Manuskript nicht auftaucht. ppe_057.006
Das Suchen nach solcher verlorenen Handschrift zieht oft ppe_057.007
dilettantische Mißgriffe nach sich und läßt Kuckuckseier in das Nest ppe_057.008
des Dichters gelangen, wie es mit der Unterschiebung von Weidmanns ppe_057.009
"Faust" bei Lessing, des Altonaer "Josef" beim jungen Goethe oder ppe_057.010
Tiecks "Vittoria Accorombona" bei Kleist geschehen ist. Mit der ppe_057.011
Widerlegung solcher Fehlfunde hat sich die Forschung dann eine ppe_057.012
Zeitlang zu beschäftigen, und diese an sich unfruchtbare Arbeit kann, ppe_057.013
wie es beim "Josef" der Fall war, wenigstens die Methode der Verfasserbestimmung ppe_057.014
fördern. (Vgl. S. 79 f.)

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Die halb psychologistische, halb mystische Theorie, die das Sprachkunstwerk ppe_057.016
nur als Medium und Brücke zwischen der Phantasie des ppe_057.017
Dichters und dem Wiederaufbau in der Phantasie des Lesers gelten ppe_057.018
lassen will, muß die eigentliche Dichtung als unerreichbares Ding an ppe_057.019
sich auffassen. Denn wenn die Tatsache des unterschiedlichen Verstehens, ppe_057.020
die als Ungleichheit aller Konkretisierungen in Erscheinung ppe_057.021
tritt, eine vollkommene, objektive Gleichstellung zwischen Leser und ppe_057.022
Dichter ausschließt, so kann auch der Literarhistoriker bei aller Einfühlungsgabe ppe_057.023
und Fähigkeit zur Nachdichtung, die von ihm verlangt ppe_057.024
wird, nicht die Identität mit dem Schöpfer erreichen, die dazu nötig ppe_057.025
wäre, das Ideal, das in der Seele des Dichters lag, herauszuarbeiten. ppe_057.026
Er hat sich an das zu halten, was ihm zugänglich ist, und das sind ppe_057.027
zunächst die überlieferten Texte. Sie stellen Papiergeld dar, Schatzanweisungen ppe_057.028
und Wechsel, die einzulösen und als gemünzte Werte in ppe_057.029
Umlauf zu setzen sind; aus der Papierform lebloser Buchstaben, in ppe_057.030
die sie einfroren, müssen die Literaturwerke befreit werden. Die ppe_057.031
lebendige Sprachform, die ihren Sinn und Wert erschließt, ist wiederherzustellen. ppe_057.032
Die schriftliche Überlieferung ist eine Verpuppung, ein ppe_057.033
Schlummerzustand der Literatur. Die Bibliotheken sind also nicht ppe_057.034
nur Schatzkammern, sondern Schlafkammern für die Schriftwerke, ppe_057.035
die darauf warten, geweckt zu werden. Manche sind immer wach und ppe_057.036
lebendig; manche sind schlafwandelnd unterwegs; manche treten wie ppe_057.037
die Siebenschläfer der orientalischen Legende erst nach tausend ppe_057.038
Jahren aus ihrer Höhle; manche sind in ewigen Schlummer versenkt ppe_057.039
und durch den Lethestrom der Vergessenheit vom Leben getrennt.

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Der Bibliothekswissenschaft fällt der Wachdienst zu, der alles ppe_057.041
Schrifttum mit gleicher Sorgfalt betreut. Die Literaturwissenschaft,

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/81>, abgerufen am 22.11.2024.