ppe_538.001 des Gleichzeitigen", die aus der Gleichzeitigkeit verschiedener ppe_538.002 Altersgruppen folgt, sagt an sich nichts Neues, ist aber ppe_538.003 von besonderer Bedeutung für den kunstgeschichtlichen Wissenschaftsbetrieb, ppe_538.004 für den allzu leicht Stilbestimmung und Datierung auf ppe_538.005 ein und dasselbe hinauskam. Demgegenüber wird auf die Erkenntnis ppe_538.006 Wert gelegt, daß jeder Zeitpunkt mehreren Generationen angehört, ppe_538.007 von denen jede in einem anderen Zeitalter ihrer selbst steht. Historisches ppe_538.008 Verstehen ist Erfassen der Polyphonie verschiedener Altersschichten ppe_538.009 in mehrdimensionalem Zeitdenken. In musikalischen Bildern ppe_538.010 wird dieses Zusammenklingen verdeutlicht: was als einheitliche ppe_538.011 Zeitfarbe erscheint, ist die Scheinakkordik des vertikalen Zusammentreffens ppe_538.012 einzelner Töne, die jedoch verschiedenen Horizontalsystemen ppe_538.013 einer Fuge angehören. Es handelt sich also um einen Dualismus von ppe_538.014 Zeit und Generation. Zeitcharakter liegt in der Einheit der Mittel, ppe_538.015 aber bei dieser Einheit der Mittel gibt es Problemverschiedenheit, ppe_538.016 und nur die Problemeinheit bringt den Generationscharakter zum ppe_538.017 Ausdruck.
ppe_538.018 Bezeichnend für die Einseitigkeit des Prädestinationsstandpunktes ppe_538.019 ist es nun, daß die Probleme nicht an den Werdenden herangetragen ppe_538.020 werden, sondern daß sie schicksalsbestimmt mit ihm geboren sein ppe_538.021 sollen. Jedem einzelnen ist die Möglichkeit seiner Entfaltung als Mitgift ppe_538.022 in die Wiege gelegt, und die Übereinstimmung dieser Möglichkeiten ppe_538.023 ist die Entelechie der Generation. Was an Reibungen und Erfahrungen, ppe_538.024 Einflüssen und Beziehungen auf die lebendige Entwicklung ppe_538.025 der geprägten Form einwirkt, ist sekundär. Wie wenig von ppe_538.026 solchen Bildungseinflüssen gehalten wird, kommt etwa in dem Satz ppe_538.027 zum Ausdruck: "Der Philosoph einer Maler-Generation ist nicht der, ppe_538.028 den sie etwa liest (vielleicht glaubt sie an diesen), sondern der, mit ppe_538.029 dem sie geboren ist (vielleicht weiß sie nichts von ihm)." In diesem ppe_538.030 Sinne wird nun zwischen Vermeer und Spinoza (1632), zwischen ppe_538.031 Watteau und Berkley (1684), zwischen Manet und Wundt (1832) ein ppe_538.032 Zusammenhang erblickt.
ppe_538.033 Geburt geht vor Gleichzeitigkeit des Daseins. Der Generationsrhythmus ppe_538.034 aber und seine Dynamik entstehen durch den Wurf der ppe_538.035 Natur. Anders als es etwa Ibsens aufklärerische Meinung war, ppe_538.036 wonach zu jeder Zeit gleichviel Gescheitheit in der Welt herrsche ppe_538.037 und die verschwenderische Verausgabung besonderer Klugheit immer ppe_538.038 an ein paar Durchschnittsintelligenzen wieder eingespart werden ppe_538.039 müsse, kommt bei Pinder die Ökonomie darin zum Ausdruck, daß die ppe_538.040 Natur gewissermaßen Quartalsverschwenderin ist, daß sie in Reihen ppe_538.041 sich verausgabt und die Geburt großer Meister auf ein paar Jahre
ppe_538.001 des Gleichzeitigen“, die aus der Gleichzeitigkeit verschiedener ppe_538.002 Altersgruppen folgt, sagt an sich nichts Neues, ist aber ppe_538.003 von besonderer Bedeutung für den kunstgeschichtlichen Wissenschaftsbetrieb, ppe_538.004 für den allzu leicht Stilbestimmung und Datierung auf ppe_538.005 ein und dasselbe hinauskam. Demgegenüber wird auf die Erkenntnis ppe_538.006 Wert gelegt, daß jeder Zeitpunkt mehreren Generationen angehört, ppe_538.007 von denen jede in einem anderen Zeitalter ihrer selbst steht. Historisches ppe_538.008 Verstehen ist Erfassen der Polyphonie verschiedener Altersschichten ppe_538.009 in mehrdimensionalem Zeitdenken. In musikalischen Bildern ppe_538.010 wird dieses Zusammenklingen verdeutlicht: was als einheitliche ppe_538.011 Zeitfarbe erscheint, ist die Scheinakkordik des vertikalen Zusammentreffens ppe_538.012 einzelner Töne, die jedoch verschiedenen Horizontalsystemen ppe_538.013 einer Fuge angehören. Es handelt sich also um einen Dualismus von ppe_538.014 Zeit und Generation. Zeitcharakter liegt in der Einheit der Mittel, ppe_538.015 aber bei dieser Einheit der Mittel gibt es Problemverschiedenheit, ppe_538.016 und nur die Problemeinheit bringt den Generationscharakter zum ppe_538.017 Ausdruck.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/562>, abgerufen am 25.11.2024.
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