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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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aber eine Biographie, die geschichtliche Wirklichkeit sucht, kann sich ppe_314.002
gelegentlicher Berichtigung von "Dichtung und Wahrheit" nicht entziehen.

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Tagebücher und Briefe. Wären Tagebücher Goethes aus ppe_314.005
der von ihm dargestellten Jugendzeit erhalten, so würden sich chronologische ppe_314.006
Berichtigungen aller Art auf Schritt und Tritt einstellen; ppe_314.007
es ist aber fraglich, ob der Dichter seine Selbstbiographie unter solcher ppe_314.008
Kontrolle überhaupt geschrieben hätte. Für die Weimarer Jahre, für ppe_314.009
die er alle Stützen seines Gedächtnisses zur Hand hatte, bedeuteten ppe_314.010
sie keine Förderung. Die geplante Fortsetzung von "Dichtung und ppe_314.011
Wahrheit", deren Schema vorliegt, blieb unausgeführt, weil die allzu ppe_314.012
nahe Wirklichkeit und der bedrängende Lebensstoff keine darstellerische ppe_314.013
Distanz finden ließen. Erst mit den Reisen durch die Schweiz und ppe_314.014
nach Italien konnte Goethe die Lebensbeschreibung fortsetzen, weil ppe_314.015
er in den eigenen Reiseberichten, die in die Ferne führten, bereits ppe_314.016
geformte Unterlagen besaß. Auch Briefe sind indessen nicht immer ppe_314.017
objektive Quellen, da sie sich nach dem Verhältnis zum Empfänger ppe_314.018
richten und manchmal durch allerlei Rücksichtnahme gefärbt sind. Die ppe_314.019
Berichte, die Goethe aus Italien an Frau v. Stein und an den Herzog ppe_314.020
richtete, haben verschiedenen Charakter, und die Redaktion des Reisewerkes ppe_314.021
mußte einen Ausgleich herstellen.

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Von fremden Fälschungen müssen wir natürlich absehen, aber auch ppe_314.023
Briefe, deren Echtheit einwandfrei feststeht, geben durchaus nicht ppe_314.024
immer zuverlässige Lebensnachricht. Die Meldungen z. B., die Schiller ppe_314.025
aus Bauerbach nach Stuttgart schickte, enthalten erfundene Angaben ppe_314.026
über Aufenthalt und Reisepläne, um etwaige Verfolgung auf falsche ppe_314.027
Fährte zu lenken. Auch Goethe hat, wenn er sich selbst auf der Flucht ppe_314.028
fühlte, wie bei der winterlichen Harzreise und bei der Fahrt nach ppe_314.029
Rom, die Aufenthaltsorte verheimlicht, bis das Ziel, dessen Bezwingung ppe_314.030
eine Schicksalsfrage bedeutete, erreicht war. Heinrich v. Kleist ppe_314.031
wiederum hat über Zweck und Ergebnis seiner Reise nach Würzburg ppe_314.032
in Briefen an die Braut so dunkle Andeutungen gemacht, daß ihr Sinn ppe_314.033
noch heute umstritten ist.

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Reiseeindrücke: Beschreibungen ferner Länder, die in literarischer ppe_314.035
Form vor die Öffentlichkeit treten, können, auch wenn sie ppe_314.036
nicht von Schellmuffsky oder Münchhausen verfaßt sind, mehr enthalten, ppe_314.037
als der Verfasser sah. So hat Joseph Bedier nachgewiesen, daß ppe_314.038
Chateaubriand gar nicht alle Gegenden Amerikas, die er beschrieb, ppe_314.039
selbst zu besuchen imstande war, sondern daß er die Berichte anderer ppe_314.040
Reisender mit solcher Einfühlung und so starkem Kolorit verarbeitete, ppe_314.041
daß seine Schilderungen den Eindruck der Echtheit erwecken. Auch

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aber eine Biographie, die geschichtliche Wirklichkeit sucht, kann sich ppe_314.002
gelegentlicher Berichtigung von „Dichtung und Wahrheit“ nicht entziehen.

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Tagebücher und Briefe. Wären Tagebücher Goethes aus ppe_314.005
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richtete, haben verschiedenen Charakter, und die Redaktion des Reisewerkes ppe_314.021
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Von fremden Fälschungen müssen wir natürlich absehen, aber auch ppe_314.023
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Form vor die Öffentlichkeit treten, können, auch wenn sie ppe_314.036
nicht von Schellmuffsky oder Münchhausen verfaßt sind, mehr enthalten, ppe_314.037
als der Verfasser sah. So hat Joseph Bédier nachgewiesen, daß ppe_314.038
Châteaubriand gar nicht alle Gegenden Amerikas, die er beschrieb, ppe_314.039
selbst zu besuchen imstande war, sondern daß er die Berichte anderer ppe_314.040
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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/338>, abgerufen am 25.11.2024.