ppe_007.001 auffallend, wie selten solche Darstellungen bester Kenner, die ppe_007.002 in ihrem eigenen Lande klassische Geltung besitzen, in fremde ppe_007.003 Sprachen übersetzt werden. Ganz anders ist es bei philosophischen ppe_007.004 oder geschichtlichen Werken und vor allem bei den Dichtungen ppe_007.005 selbst. Die nationalen Literaturgeschichten fremder Völker leisten ppe_007.006 den Ansprüchen der Leserkreise, die jene fremde Literatur vom ppe_007.007 eigenen Standort aus sehen wollen, nicht Genüge. Damit erledigt ppe_007.008 sich auch der Gedanke, etwa eine Geschichte der Weltliteratur ppe_007.009 dadurch zu gewinnen, daß jede Nationalliteratur von einem Forscher ppe_007.010 dieser Nation dargestellt würde. Auch wenn das polyglotte ppe_007.011 Sammelwerk schließlich in eine einheitliche Sprache übersetzt ppe_007.012 würde, wäre es doch keine Einheit, sondern das, was Ernst ppe_007.013 Troeltsch einmal "Buchbindersynthese" genannt hat: ein Nebeneinander ppe_007.014 verschiedener Literaturgeschichten, die keinen Organismus ppe_007.015 bilden und nicht ineinander gefügt werden können, weil sie alle ppe_007.016 von verschiedenem Standort aus geschrieben sind. Der Standort, der ppe_007.017 den Mittelpunkt bildet, ist der des Eigenerlebnisses. Das ist der ppe_007.018 Sinn des Goetheschen Ausspruches: "Über Geschichte kann niemand ppe_007.019 urteilen, als wer an sich selbst Geschichte erlebt hat. So geht es ppe_007.020 ganzen Nationen. Die Deutschen können erst über Literatur urteilen, ppe_007.021 seitdem sie selbst eine Literatur haben."
ppe_007.022 Jede Darstellung einer fremden Literatur ist eine Art vergleichender ppe_007.023 Literaturgeschichte, indem sie bewußt oder unbewußt Maßstäbe ppe_007.024 des eigenen Geisteslebens zur Beurteilung heranzieht. Die "allgemeine ppe_007.025 Literaturgeschichte" oder "Literaturvergleichung", die in ppe_007.026 den meisten außerdeutschen Ländern neben den Philologien als ppe_007.027 eigenes Hochschulfach gelehrt wird, will mehr. Sie wird in der ppe_007.028 Regel als ein Überblick über das zeitgenössische Schrifttum aller ppe_007.029 Kulturländer betrieben, also als Literaturkritik und angewandte ppe_007.030 Ästhetik. Oder sie erscheint als europäische Literaturgeschichte der ppe_007.031 Neuzeit, wobei die eigene Nationalliteratur als gebend und empfangend ppe_007.032 so sehr im Mittelpunkt steht, daß das Gebiet sich beinahe ppe_007.033 mit Geschichte der Nationalliteratur und ihren Ausstrahlungen ppe_007.034 deckt. Beispielsweise überträgt die französische "litterature comparee" ppe_007.035 das Prinzip des Völkerbundes auf die Wissenschaft, wobei ppe_007.036 die Geltung des Französischen als Verhandlungssprache und die ppe_007.037 Anerkennung der französischen Literatur als Repräsentantin des ppe_007.038 europäischen Geistes Voraussetzung ist. Gleiches können andere ppe_007.039 nationale Literaturgeschichten von ihrem Felde aus ebenfalls leisten, ppe_007.040 z. B. hat Adolf Bartels für eine allgemeine Literaturgeschichte die ppe_007.041 Beziehungen Goethes zur Weltliteratur als Leitfaden benutzt, wodurch
ppe_007.001 auffallend, wie selten solche Darstellungen bester Kenner, die ppe_007.002 in ihrem eigenen Lande klassische Geltung besitzen, in fremde ppe_007.003 Sprachen übersetzt werden. Ganz anders ist es bei philosophischen ppe_007.004 oder geschichtlichen Werken und vor allem bei den Dichtungen ppe_007.005 selbst. Die nationalen Literaturgeschichten fremder Völker leisten ppe_007.006 den Ansprüchen der Leserkreise, die jene fremde Literatur vom ppe_007.007 eigenen Standort aus sehen wollen, nicht Genüge. Damit erledigt ppe_007.008 sich auch der Gedanke, etwa eine Geschichte der Weltliteratur ppe_007.009 dadurch zu gewinnen, daß jede Nationalliteratur von einem Forscher ppe_007.010 dieser Nation dargestellt würde. Auch wenn das polyglotte ppe_007.011 Sammelwerk schließlich in eine einheitliche Sprache übersetzt ppe_007.012 würde, wäre es doch keine Einheit, sondern das, was Ernst ppe_007.013 Troeltsch einmal „Buchbindersynthese“ genannt hat: ein Nebeneinander ppe_007.014 verschiedener Literaturgeschichten, die keinen Organismus ppe_007.015 bilden und nicht ineinander gefügt werden können, weil sie alle ppe_007.016 von verschiedenem Standort aus geschrieben sind. Der Standort, der ppe_007.017 den Mittelpunkt bildet, ist der des Eigenerlebnisses. Das ist der ppe_007.018 Sinn des Goetheschen Ausspruches: „Über Geschichte kann niemand ppe_007.019 urteilen, als wer an sich selbst Geschichte erlebt hat. So geht es ppe_007.020 ganzen Nationen. Die Deutschen können erst über Literatur urteilen, ppe_007.021 seitdem sie selbst eine Literatur haben.“
ppe_007.022 Jede Darstellung einer fremden Literatur ist eine Art vergleichender ppe_007.023 Literaturgeschichte, indem sie bewußt oder unbewußt Maßstäbe ppe_007.024 des eigenen Geisteslebens zur Beurteilung heranzieht. Die „allgemeine ppe_007.025 Literaturgeschichte“ oder „Literaturvergleichung“, die in ppe_007.026 den meisten außerdeutschen Ländern neben den Philologien als ppe_007.027 eigenes Hochschulfach gelehrt wird, will mehr. Sie wird in der ppe_007.028 Regel als ein Überblick über das zeitgenössische Schrifttum aller ppe_007.029 Kulturländer betrieben, also als Literaturkritik und angewandte ppe_007.030 Ästhetik. Oder sie erscheint als europäische Literaturgeschichte der ppe_007.031 Neuzeit, wobei die eigene Nationalliteratur als gebend und empfangend ppe_007.032 so sehr im Mittelpunkt steht, daß das Gebiet sich beinahe ppe_007.033 mit Geschichte der Nationalliteratur und ihren Ausstrahlungen ppe_007.034 deckt. Beispielsweise überträgt die französische „littérature comparée“ ppe_007.035 das Prinzip des Völkerbundes auf die Wissenschaft, wobei ppe_007.036 die Geltung des Französischen als Verhandlungssprache und die ppe_007.037 Anerkennung der französischen Literatur als Repräsentantin des ppe_007.038 europäischen Geistes Voraussetzung ist. Gleiches können andere ppe_007.039 nationale Literaturgeschichten von ihrem Felde aus ebenfalls leisten, ppe_007.040 z. B. hat Adolf Bartels für eine allgemeine Literaturgeschichte die ppe_007.041 Beziehungen Goethes zur Weltliteratur als Leitfaden benutzt, wodurch
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Troeltsch einmal „Buchbindersynthese“ genannt hat: ein Nebeneinander ppe_007.014
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/31>, abgerufen am 24.11.2024.
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