ppe_247.001 Die Idee braucht nicht als Zitat, als geflügeltes Wort, als zum Mitnehmen ppe_247.002 eingewickelter Gebrauchsgegenstand dargereicht zu werden, ppe_247.003 wie der moralische Satz in der Aufklärungspoetik. Mit Recht sagt ppe_247.004 Ermatinger, die Idee sei nicht Grundgedanke, Lehrsatz, sichtbare ppe_247.005 Moral, sondern als seelische Schau und Triebhraft "ein imaginärer ppe_247.006 Punkt, der im Unsichtbaren wirkt". Man könnte sie also dem Augenpunkt ppe_247.007 eines perspektivischen Gemäldes vergleichen, auf den alle ppe_247.008 Linien in ihrer Verkürzung hinführen. Es bleibt dabei eine Stilfrage, ppe_247.009 ob die Lage dieses Punktes, der im Unendlichen zu denken ist, sichtbar ppe_247.010 wird, wie es bei klassischer zentraler Komposition der Fall ist, ppe_247.011 oder ob, wie bei der Winkelperspektive der Barockmalerei, die Linien ppe_247.012 sich seitwärts verlieren, so daß der imaginäre Punkt außerhalb des ppe_247.013 Bildes zu denken ist.
ppe_247.014 10. Synthesen
ppe_247.015 Wenn die Idee allen Elementen der Dichtung übergeordnet ist, so ppe_247.016 wäre zu zeigen, wie sie zu dieser Suprematie gekommen ist, wie sie ppe_247.017 aus dem Stoff aufsteigt, nach der Form blickt, Erlebnis und Stimmung ppe_247.018 bildet, die Wahl der Gattung entscheidet, die Fabel prägt, die Absicht ppe_247.019 klärt, an die Technik Bedingungen stellt, die Psychologie in Bewegung ppe_247.020 setzt, in Selbstdarstellung sich ausspricht, die Charaktere unter sich ppe_247.021 zwingt, die Motive wählt, mit der Wirklichkeitsauffassung sich in ppe_247.022 Übereinstimmung setzt, die Sprachform und den Rhythmus beseelt, im ppe_247.023 Stil ihr Gewand webt, in der Weltanschauung ihren Boden hat, in ppe_247.024 den Problemen ihr Sprungbrett findet, und wie sie so sich aufschwingt ppe_247.025 zum Thron, der ihr die Herrschaft gibt, unter der allen Untertanen ppe_247.026 ein harmonisches Einvernehmen gewährt ist.
ppe_247.027 Diese neue Bindung aller in der Analyse voneinander gelösten ppe_247.028 Glieder bedarf aber der Tragkraft des Hauptelementes, das in dem ppe_247.029 bisher zugrunde gelegten Schema eingeklammert war, nämlich der ppe_247.030 Persönlichkeit des Dichters. Ohne ihn ist keine Kausalität möglich. ppe_247.031 Die Idee kann nicht aus dem Stoff geboren werden, ohne daß der ppe_247.032 Dichter sie in den Stoff gelegt hat. So wenig der Stoff ohne den ppe_247.033 Keim der Idee zu lebendiger Gestaltung gelangte, ebensowenig kann ppe_247.034 die Idee konkrete Existenz gewinnen, ohne daß der Dichter sie persönlich ppe_247.035 aus dem Reich der Mütter heraufgeholt und sich angeeignet ppe_247.036 hat. Nicht von einer abstrakten Idee, sondern nur von der lebendigen ppe_247.037 Kraft des Dichters aus ist die Genesis des Werkes darzustellen und ppe_247.038 das Geschaffene nachzuschaffen. Einer Wiederholung des Entstehungsvorganges ppe_247.039 in allen seinen Phasen, den günstigen Falles der Einblick
ppe_247.001 Die Idee braucht nicht als Zitat, als geflügeltes Wort, als zum Mitnehmen ppe_247.002 eingewickelter Gebrauchsgegenstand dargereicht zu werden, ppe_247.003 wie der moralische Satz in der Aufklärungspoetik. Mit Recht sagt ppe_247.004 Ermatinger, die Idee sei nicht Grundgedanke, Lehrsatz, sichtbare ppe_247.005 Moral, sondern als seelische Schau und Triebhraft „ein imaginärer ppe_247.006 Punkt, der im Unsichtbaren wirkt“. Man könnte sie also dem Augenpunkt ppe_247.007 eines perspektivischen Gemäldes vergleichen, auf den alle ppe_247.008 Linien in ihrer Verkürzung hinführen. Es bleibt dabei eine Stilfrage, ppe_247.009 ob die Lage dieses Punktes, der im Unendlichen zu denken ist, sichtbar ppe_247.010 wird, wie es bei klassischer zentraler Komposition der Fall ist, ppe_247.011 oder ob, wie bei der Winkelperspektive der Barockmalerei, die Linien ppe_247.012 sich seitwärts verlieren, so daß der imaginäre Punkt außerhalb des ppe_247.013 Bildes zu denken ist.
ppe_247.014 10. Synthesen
ppe_247.015 Wenn die Idee allen Elementen der Dichtung übergeordnet ist, so ppe_247.016 wäre zu zeigen, wie sie zu dieser Suprematie gekommen ist, wie sie ppe_247.017 aus dem Stoff aufsteigt, nach der Form blickt, Erlebnis und Stimmung ppe_247.018 bildet, die Wahl der Gattung entscheidet, die Fabel prägt, die Absicht ppe_247.019 klärt, an die Technik Bedingungen stellt, die Psychologie in Bewegung ppe_247.020 setzt, in Selbstdarstellung sich ausspricht, die Charaktere unter sich ppe_247.021 zwingt, die Motive wählt, mit der Wirklichkeitsauffassung sich in ppe_247.022 Übereinstimmung setzt, die Sprachform und den Rhythmus beseelt, im ppe_247.023 Stil ihr Gewand webt, in der Weltanschauung ihren Boden hat, in ppe_247.024 den Problemen ihr Sprungbrett findet, und wie sie so sich aufschwingt ppe_247.025 zum Thron, der ihr die Herrschaft gibt, unter der allen Untertanen ppe_247.026 ein harmonisches Einvernehmen gewährt ist.
ppe_247.027 Diese neue Bindung aller in der Analyse voneinander gelösten ppe_247.028 Glieder bedarf aber der Tragkraft des Hauptelementes, das in dem ppe_247.029 bisher zugrunde gelegten Schema eingeklammert war, nämlich der ppe_247.030 Persönlichkeit des Dichters. Ohne ihn ist keine Kausalität möglich. ppe_247.031 Die Idee kann nicht aus dem Stoff geboren werden, ohne daß der ppe_247.032 Dichter sie in den Stoff gelegt hat. So wenig der Stoff ohne den ppe_247.033 Keim der Idee zu lebendiger Gestaltung gelangte, ebensowenig kann ppe_247.034 die Idee konkrete Existenz gewinnen, ohne daß der Dichter sie persönlich ppe_247.035 aus dem Reich der Mütter heraufgeholt und sich angeeignet ppe_247.036 hat. Nicht von einer abstrakten Idee, sondern nur von der lebendigen ppe_247.037 Kraft des Dichters aus ist die Genesis des Werkes darzustellen und ppe_247.038 das Geschaffene nachzuschaffen. Einer Wiederholung des Entstehungsvorganges ppe_247.039 in allen seinen Phasen, den günstigen Falles der Einblick
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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