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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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oder oberer Vorgang, der durch die niedere Vordergrundsbegebenheit ppe_187.002
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Wirklichkeit und symbolischer Bedeutung besteht, ist in der Vergangenheit ppe_187.005
zwischen Geschichte und Mythos zu erkennen. Geschichtliche ppe_187.006
Ereignisse und Persönlichkeiten werden mythisch durch verallgemeinernde ppe_187.007
Sinngebung ihres Daseins; der Mythos hat die Transparenz ppe_187.008
des Symbols.

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Die dritte Welt, in der sich das Geistige verkörpert, gewinnt dagegen ppe_187.010
eine eigene Form, die von der sinnlichen Vordergrundswelt ppe_187.011
losgelöst ist und höchstens die Einkleidung ihr entnommen hat. Das ppe_187.012
ist die Allegorie, die sich von Symbolik und Mythos darin unterscheidet, ppe_187.013
daß ihre Gestalten keine Eigenexistenz in der ersten Wirklichkeitsschicht ppe_187.014
besitzen, sondern gleich aus der zweiten Schicht in ppe_187.015
die dritte übernommen wurden. Der Allegorie fehlt die dem Symbol ppe_187.016
innewohnende Doppelbedeutung; sie kann nicht gleichzeitig etwas ppe_187.017
Konkretes und etwas Gedachtes darstellen, sondern sie ist Konkretisierung ppe_187.018
eines Gedachten, Verkörperung einer Idee, die wirkliche ppe_187.019
Körperexistenz nur innerhalb der dritten, fernen Verwirklichungsschicht ppe_187.020
besitzen kann. Alles Allegorische nimmt Menschengestalt ppe_187.021
an; kein toter Gegenstand kann dazu gehören; selbst der Gral ppe_187.022
Wolframs oder der Stein der Weisen, den die Alchimisten suchen, ppe_187.023
können nur Symbole für kosmische Lebenskräfte bedeuten; dagegen ppe_187.024
ist die göttliche Sophia als Vorstellung der Mystiker und Theosophen ppe_187.025
eine Allegorie. Allegorische Gestalten können in der Wirklichkeit ppe_187.026
der ersten Schicht nicht sichtbar werden; sie können auch in der ppe_187.027
zweiten Schicht der symbolischen Wirklichkeit kein Leben gewinnen; ppe_187.028
in der dritten Welt sind sie unter sich und bestimmen den Wirklichkeitsgrad, ppe_187.029
so daß sie die symbolischen Gestalten sich gleichmachen.

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Die Unterschiede sind als entwicklungsgeschichtliche Folge an der ppe_187.032
Auffassung der griechischen Götterwelt im Epos zu erkennen. Bei ppe_187.033
Homer gehören die Götter der unmittelbaren Wirklichkeit an; in der ppe_187.034
Renaissance- und Barockdichtung, z. B. Shakespeares "Venus und ppe_187.035
Adonis", stellen sie Symbole dar; in Spittelers "Olympischem Frühling" ppe_187.036
müssen sie als Allegorien angesehen werden.

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Diese Abstufung kann auch in einer einzelnen Dichtung aufeinander ppe_187.038
folgen, wofür Goethes "Faust" ein Beispiel ist. In der Urfassung ppe_187.039
der Dichtung ist der Held ein Einzelner, und demgemäß ist auch der ppe_187.040
ihm zugesellte Mephistopheles ganz individuell vermenschlicht; in ppe_187.041
der zweiten Phase der Arbeit, die mit Prolog im Himmel und Paktabschluß

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[187/0211] ppe_187.001 oder oberer Vorgang, der durch die niedere Vordergrundsbegebenheit ppe_187.002 hindurchleuchtet. ppe_187.003 Dasselbe Verhältnis, das in der Gegenwart zwischen sinnlicher ppe_187.004 Wirklichkeit und symbolischer Bedeutung besteht, ist in der Vergangenheit ppe_187.005 zwischen Geschichte und Mythos zu erkennen. Geschichtliche ppe_187.006 Ereignisse und Persönlichkeiten werden mythisch durch verallgemeinernde ppe_187.007 Sinngebung ihres Daseins; der Mythos hat die Transparenz ppe_187.008 des Symbols. ppe_187.009 Die dritte Welt, in der sich das Geistige verkörpert, gewinnt dagegen ppe_187.010 eine eigene Form, die von der sinnlichen Vordergrundswelt ppe_187.011 losgelöst ist und höchstens die Einkleidung ihr entnommen hat. Das ppe_187.012 ist die Allegorie, die sich von Symbolik und Mythos darin unterscheidet, ppe_187.013 daß ihre Gestalten keine Eigenexistenz in der ersten Wirklichkeitsschicht ppe_187.014 besitzen, sondern gleich aus der zweiten Schicht in ppe_187.015 die dritte übernommen wurden. Der Allegorie fehlt die dem Symbol ppe_187.016 innewohnende Doppelbedeutung; sie kann nicht gleichzeitig etwas ppe_187.017 Konkretes und etwas Gedachtes darstellen, sondern sie ist Konkretisierung ppe_187.018 eines Gedachten, Verkörperung einer Idee, die wirkliche ppe_187.019 Körperexistenz nur innerhalb der dritten, fernen Verwirklichungsschicht ppe_187.020 besitzen kann. Alles Allegorische nimmt Menschengestalt ppe_187.021 an; kein toter Gegenstand kann dazu gehören; selbst der Gral ppe_187.022 Wolframs oder der Stein der Weisen, den die Alchimisten suchen, ppe_187.023 können nur Symbole für kosmische Lebenskräfte bedeuten; dagegen ppe_187.024 ist die göttliche Sophia als Vorstellung der Mystiker und Theosophen ppe_187.025 eine Allegorie. Allegorische Gestalten können in der Wirklichkeit ppe_187.026 der ersten Schicht nicht sichtbar werden; sie können auch in der ppe_187.027 zweiten Schicht der symbolischen Wirklichkeit kein Leben gewinnen; ppe_187.028 in der dritten Welt sind sie unter sich und bestimmen den Wirklichkeitsgrad, ppe_187.029 so daß sie die symbolischen Gestalten sich gleichmachen. ppe_187.030 ppe_187.031 Die Unterschiede sind als entwicklungsgeschichtliche Folge an der ppe_187.032 Auffassung der griechischen Götterwelt im Epos zu erkennen. Bei ppe_187.033 Homer gehören die Götter der unmittelbaren Wirklichkeit an; in der ppe_187.034 Renaissance- und Barockdichtung, z. B. Shakespeares „Venus und ppe_187.035 Adonis“, stellen sie Symbole dar; in Spittelers „Olympischem Frühling“ ppe_187.036 müssen sie als Allegorien angesehen werden. ppe_187.037 Diese Abstufung kann auch in einer einzelnen Dichtung aufeinander ppe_187.038 folgen, wofür Goethes „Faust“ ein Beispiel ist. In der Urfassung ppe_187.039 der Dichtung ist der Held ein Einzelner, und demgemäß ist auch der ppe_187.040 ihm zugesellte Mephistopheles ganz individuell vermenschlicht; in ppe_187.041 der zweiten Phase der Arbeit, die mit Prolog im Himmel und Paktabschluß

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/211>, abgerufen am 24.11.2024.