ppe_155.001 verschiedener Erzähler, wie sie Theodor Storm in "St. Jürgen" ppe_155.002 und im "Schimmelreiter" durchgeführt hat, für Mannigfaltigkeit sorgen. ppe_155.003 Zur Erzählungstechnik gehört auch die Innehaltung eines charakteristischen ppe_155.004 Unterschiedes in der Tonart der verschiedenen Erzähler. ppe_155.005 Mündliche und schriftliche Einlagen stehen dabei unter ppe_155.006 anderen Bedingungen: die eine, die ihren Anlaß in einer besonderen ppe_155.007 Situation, einem von außen kommenden Anstoß, einer zufälligen Begegnung ppe_155.008 hat, rechnet mit mindestens einem unmittelbaren Zuhörer als ppe_155.009 nächststehendem Publikum, das zwischen Erzähler und Leser seinen ppe_155.010 Platz hat. In der typischen Novellenform des zyklischen Rahmens ppe_155.011 kann der Erzähler umringt sein von einem neuigkeitslüsternen Hörerkreis, ppe_155.012 der Themen stellt, sich durch Fragen und zweifelnde Zwischenrufe ppe_155.013 beteiligt und nachher Kritik übt oder Nutzanwendungen gibt. ppe_155.014 Dabei wird die Eigenart des Erzählers sich in Redeweise und Weltansicht ppe_155.015 von der der Hörer abheben müssen. Bei der anderen Form ppe_155.016 der Einlage, die als eine Handschrift chronikalischen, tagebuchartigen ppe_155.017 oder brieflichen Charakters zum Vorschein kommt, ist das erst recht ppe_155.018 der Fall, auch wenn keine Wechselwirkung besteht; die Einlage muß ppe_155.019 durch ein gewisses altertümliches Sprachkostüm aus dem sonstigen ppe_155.020 Erzählerton herausfallen; hier steht nicht die Technik unter Stilgesetz, ppe_155.021 sondern der Stil ordnet sich der Technik unter, wenn er archaisiert, ppe_155.022 wie es in der chronikalischen Erzählung der Fall ist.
ppe_155.023 Bei allen Ichformen der Erzählung ist der Gesichtskreis begrenzt; ppe_155.024 der Berichterstatter zweiter Ordnung besitzt nicht die Allwissenheit, ppe_155.025 die der Erzähler erster Ordnung für sich in Anspruch nehmen darf; ppe_155.026 er hat nichts weiter zu berichten, als was er mit eigenen Sinnen ppe_155.027 wahrgenommen hat, was er von anderen hörte oder was er über die ppe_155.028 Zusammenhänge vermutet. Diese Beschränkung hat technische Vorzüge ppe_155.029 und Nachteile.
ppe_155.030 Die Vorteile liegen in der realistischen Beglaubigung. Es dient ppe_155.031 auch zur Erhöhung der Spannung, wenn rätselhafte Vorgänge im ppe_155.032 Halbdunkel bleiben müssen, weil nicht in das Innere der Beteiligten ppe_155.033 hineingeleuchtet werden kann. Wie der aufgeklärte Schulmeister, ppe_155.034 der in Storms "Chronik von Grieshuus" Bericht erstattet, so läßt der ppe_155.035 rationalistische Chronist in Gerhart Hauptmanns "Emanuel Quint" ppe_155.036 das Seelenleben des "Narren in Christo" ohne Innenansicht. Was in ppe_155.037 der Hauptperson vorgeht, können wir nur aus den äußeren Symptomen ppe_155.038 erschließen. Das ganze Verhältnis von Einfalt und Erleuchtung, von ppe_155.039 wunderwirkender Gotterfülltheit und allmählich wachsendem Wahn ppe_155.040 bleibt als unenträtseltes Problem weit wirkungsvoller als in der Aufhellung ppe_155.041 einer unbarmherzigen psychologischen Analyse.
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ppe_155.030 Die Vorteile liegen in der realistischen Beglaubigung. Es dient ppe_155.031 auch zur Erhöhung der Spannung, wenn rätselhafte Vorgänge im ppe_155.032 Halbdunkel bleiben müssen, weil nicht in das Innere der Beteiligten ppe_155.033 hineingeleuchtet werden kann. Wie der aufgeklärte Schulmeister, ppe_155.034 der in Storms „Chronik von Grieshuus“ Bericht erstattet, so läßt der ppe_155.035 rationalistische Chronist in Gerhart Hauptmanns „Emanuel Quint“ ppe_155.036 das Seelenleben des „Narren in Christo“ ohne Innenansicht. Was in ppe_155.037 der Hauptperson vorgeht, können wir nur aus den äußeren Symptomen ppe_155.038 erschließen. Das ganze Verhältnis von Einfalt und Erleuchtung, von ppe_155.039 wunderwirkender Gotterfülltheit und allmählich wachsendem Wahn ppe_155.040 bleibt als unenträtseltes Problem weit wirkungsvoller als in der Aufhellung ppe_155.041 einer unbarmherzigen psychologischen Analyse.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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