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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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in der teils Goethes, teils Friederikens, teils fremde Hände erkannt ppe_079.002
wurden. Es gab damals noch kein photographisches Verfahren, um ppe_079.003
die Schriftzüge für genaue Untersuchung festzuhalten. Die Vorlagen ppe_079.004
sind verloren; man ist nur auf die Abschriften des späteren Dramatikers ppe_079.005
Kruse angewiesen. Das kritische Problem verwickelt sich dadurch, ppe_079.006
daß Friederike sowohl von Goethe als von Lenz besungen ppe_079.007
wurde. Vergleiche mit der anderen gleichzeitigen Produktion beider ppe_079.008
Dichter, Untersuchungen des Klanges, des Stils, des Sprachgebrauchs, ppe_079.009
insbesondere der Qualität der Reime, die bei dem Livländer Lenz eine ppe_079.010
andere sein mußte als bei dem Rheinfranken Goethe, haben zur ppe_079.011
Klärung des beiderseitigen Anteils geführt bis auf ein noch umstrittenes ppe_079.012
Gedicht, bei dem eine etwas erkünstelte Hypothese Kontamination ppe_079.013
annahm, nämlich Erweiterung eines ursprünglich dreistrophigen ppe_079.014
Goethe-Liedes durch drei für den Gesang Friederikes eingefügte ppe_079.015
Strophen von Lenz.

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Mit solchem Zuwachs, der aber anonym bleibt, haben wir es durchgehend ppe_079.017
im Leben des Volksliedes zu tun. Dort bestehen ganz andere ppe_079.018
Echtheitsbegriffe: echt ist alles, was und wie es gesungen wird, und ppe_079.019
unecht ist nur das Künstliche, Gemachte, das Volkslied sein will, aber ppe_079.020
den Ton nicht findet und nicht Gesang wird. Die schriftliche Aufzeichnung ppe_079.021
spielt beim wirklichen Volkslied nur insofern eine Rolle, ppe_079.022
als sie den in Gemeinschaft gesungenen Text zuverlässig wiederzugeben ppe_079.023
hat; je mannigfaltiger aber die Überlieferung zersungener ppe_079.024
Texte sich darstellt, desto willkommener ist das vielfältige Material ppe_079.025
für die Beobachtung des Geschmackes der Zeitalter und Landschaften, ppe_079.026
die in der zersetzenden Aneignung eines ursprünglich individuellen ppe_079.027
Liedes eigene stilbildende Kraft entfalten. Während die philologische ppe_079.028
Zielsetzung auf Wiederherstellung des reinen Urtextes ausgeht, der ppe_079.029
zweifellos einmal als Kunstlied eines unbekannten Verfassers vorhanden ppe_079.030
war, wendet sich die volkskundliche Liebe der vielseitigen ppe_079.031
Verzweigung zu, deren Wert gerade in der allmählichen Verfälschung ppe_079.032
des ursprünglichen Wortlautes gesehen werden muß.

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Von volkskundlichem Wert kann auch eine selbständige, unbeholfene ppe_079.034
Stümperei sein, wie sie etwa in der von Piper ausgegrabenen Altonaer ppe_079.035
Josef-Kantate vorliegt. Man hat sie dem jungen Goethe, der seinen in ppe_079.036
Prosa geschriebenen "Josef" dem Feuer überantwortete, in die Kinderschuhe ppe_079.037
schieben wollen, und es haben sich Schriftsachverständige bereitgefunden, ppe_079.038
die Handschrift als die jenes Frankfurter Schreibers Clauer, ppe_079.039
der im Goethischen Hause tätig war und nach Diktat des Knaben ppe_079.040
Wolfgang sein Werk zu Papier gebracht haben soll, zu erkennen. Ein ppe_079.041
emsiges Bemühen um Quellennachweise suchte zu belegen, daß die

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Echtheitsbegriffe: echt ist alles, was und wie es gesungen wird, und ppe_079.019
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Von volkskundlichem Wert kann auch eine selbständige, unbeholfene ppe_079.034
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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/103>, abgerufen am 22.11.2024.