Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

und Ausdrücke versagt sind, die Menschen nach
unserm Büchermodell, und nach unsern Allgemein-
heiten zu schildern, so sind dergleichen Ausdrücke
in seinem Munde nicht vollends das gleiche, was sie
in unserm wären -- Pasquillen und Lästerworte --
und ich muß dir sagen, lieber Nachbar, man thut
dem Volk, wenn man in der Ahndungsart solcher
Worte nicht auf den Unterschied siehet, woher sie
kommen, und einen jeden, dem etwan ein solcher
Ausdruck an einem unrechten Ort oder zur Unzeit
entrinnt, leicht alzuhart straft, unrecht. --

Die gemeinen Leute brauchen diese Ausdrücke
unter sich selber alle Tage und ungescheut gegen
einander, die brävsten wie die schlechtesten: Es ist
ihre Sprache, sie haben keine andere, und es kann
nicht anderst seyn, es muß ihnen hier und da auch
ein solches Wort entrinnen, wo es nicht sollte.

Sie brauchen dergleichen tausende, so bald sie
allein sind, und allein mit einander reden. --

Doch nein ich irre; -- man strafe sie immerhin
dafür -- es wäre unharmonisch mit ihrer übrigen
Führung -- und wider ihren wahren Vortheil,
wenn man es nicht thun würde. --

Der Mensch, der das Gefühl der Rechten sei-
ner Natur in sich selber ersticken muß -- muß auch

und Ausdruͤcke verſagt ſind, die Menſchen nach
unſerm Buͤchermodell, und nach unſern Allgemein-
heiten zu ſchildern, ſo ſind dergleichen Ausdruͤcke
in ſeinem Munde nicht vollends das gleiche, was ſie
in unſerm waͤren — Pasquillen und Laͤſterworte —
und ich muß dir ſagen, lieber Nachbar, man thut
dem Volk, wenn man in der Ahndungsart ſolcher
Worte nicht auf den Unterſchied ſiehet, woher ſie
kommen, und einen jeden, dem etwan ein ſolcher
Ausdruck an einem unrechten Ort oder zur Unzeit
entrinnt, leicht alzuhart ſtraft, unrecht. —

Die gemeinen Leute brauchen dieſe Ausdruͤcke
unter ſich ſelber alle Tage und ungeſcheut gegen
einander, die braͤvſten wie die ſchlechteſten: Es iſt
ihre Sprache, ſie haben keine andere, und es kann
nicht anderſt ſeyn, es muß ihnen hier und da auch
ein ſolches Wort entrinnen, wo es nicht ſollte.

Sie brauchen dergleichen tauſende, ſo bald ſie
allein ſind, und allein mit einander reden. —

Doch nein ich irre; — man ſtrafe ſie immerhin
dafuͤr — es waͤre unharmoniſch mit ihrer uͤbrigen
Fuͤhrung — und wider ihren wahren Vortheil,
wenn man es nicht thun wuͤrde. —

Der Menſch, der das Gefuͤhl der Rechten ſei-
ner Natur in ſich ſelber erſticken muß — muß auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="74"/>
und Ausdru&#x0364;cke ver&#x017F;agt &#x017F;ind, die Men&#x017F;chen nach<lb/>
un&#x017F;erm Bu&#x0364;chermodell, und nach un&#x017F;ern Allgemein-<lb/>
heiten zu &#x017F;childern, &#x017F;o &#x017F;ind dergleichen Ausdru&#x0364;cke<lb/>
in &#x017F;einem Munde nicht vollends das gleiche, was &#x017F;ie<lb/>
in un&#x017F;erm wa&#x0364;ren &#x2014; Pasquillen und La&#x0364;&#x017F;terworte &#x2014;<lb/>
und ich muß dir &#x017F;agen, lieber Nachbar, man thut<lb/>
dem Volk, wenn man in der Ahndungsart &#x017F;olcher<lb/>
Worte nicht auf den Unter&#x017F;chied &#x017F;iehet, woher &#x017F;ie<lb/>
kommen, und einen jeden, dem etwan ein &#x017F;olcher<lb/>
Ausdruck an einem unrechten Ort oder zur Unzeit<lb/>
entrinnt, leicht alzuhart &#x017F;traft, unrecht. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die gemeinen Leute brauchen die&#x017F;e Ausdru&#x0364;cke<lb/>
unter &#x017F;ich &#x017F;elber alle Tage und unge&#x017F;cheut gegen<lb/>
einander, die bra&#x0364;v&#x017F;ten wie die &#x017F;chlechte&#x017F;ten: Es i&#x017F;t<lb/>
ihre Sprache, &#x017F;ie haben keine andere, und es kann<lb/>
nicht ander&#x017F;t &#x017F;eyn, es muß ihnen hier und da auch<lb/>
ein &#x017F;olches Wort entrinnen, wo es nicht &#x017F;ollte.</p><lb/>
        <p>Sie brauchen dergleichen tau&#x017F;ende, &#x017F;o bald &#x017F;ie<lb/>
allein &#x017F;ind, und allein mit einander reden. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Doch nein ich irre; &#x2014; man &#x017F;trafe &#x017F;ie immerhin<lb/>
dafu&#x0364;r &#x2014; es wa&#x0364;re unharmoni&#x017F;ch mit ihrer u&#x0364;brigen<lb/>
Fu&#x0364;hrung &#x2014; und wider ihren wahren Vortheil,<lb/>
wenn man es nicht thun wu&#x0364;rde. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Men&#x017F;ch, der das Gefu&#x0364;hl der Rechten &#x017F;ei-<lb/>
ner Natur in &#x017F;ich &#x017F;elber er&#x017F;ticken muß &#x2014; muß auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0092] und Ausdruͤcke verſagt ſind, die Menſchen nach unſerm Buͤchermodell, und nach unſern Allgemein- heiten zu ſchildern, ſo ſind dergleichen Ausdruͤcke in ſeinem Munde nicht vollends das gleiche, was ſie in unſerm waͤren — Pasquillen und Laͤſterworte — und ich muß dir ſagen, lieber Nachbar, man thut dem Volk, wenn man in der Ahndungsart ſolcher Worte nicht auf den Unterſchied ſiehet, woher ſie kommen, und einen jeden, dem etwan ein ſolcher Ausdruck an einem unrechten Ort oder zur Unzeit entrinnt, leicht alzuhart ſtraft, unrecht. — Die gemeinen Leute brauchen dieſe Ausdruͤcke unter ſich ſelber alle Tage und ungeſcheut gegen einander, die braͤvſten wie die ſchlechteſten: Es iſt ihre Sprache, ſie haben keine andere, und es kann nicht anderſt ſeyn, es muß ihnen hier und da auch ein ſolches Wort entrinnen, wo es nicht ſollte. Sie brauchen dergleichen tauſende, ſo bald ſie allein ſind, und allein mit einander reden. — Doch nein ich irre; — man ſtrafe ſie immerhin dafuͤr — es waͤre unharmoniſch mit ihrer uͤbrigen Fuͤhrung — und wider ihren wahren Vortheil, wenn man es nicht thun wuͤrde. — Der Menſch, der das Gefuͤhl der Rechten ſei- ner Natur in ſich ſelber erſticken muß — muß auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/92
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/92>, abgerufen am 23.11.2024.