aufzuzeichnen, was sie gelernt -- wodurch sie glaub- ten, ihr Brod verdienen zu können -- und denn, wodurch sie unglücklich geworden -- wie stark ihre Fehler in ihrem Land und in ihrem Dorf eingeris- sen -- was und wer daran schuldig -- wie sie glaubten, daß diesen Fehlern am Besten gesteuert werden könnte -- ob sie glaubten, wenn sie in der Freyheit wären, selber etwas dazu beytragen zu können -- und überhaupt, womit sie im Land et- was nüzliches anzufangen sich im Stand glaubten -- und endlich, ob sie nicht gern in der Gefan- genschaft selber sich anstrengen, und etwas lernen wollten, das sie in Stand setzen könnte, mit Nutzen für sich selber und für ihren Nebenmenschen in der Welt zu leben? Sie fielen fast vor ihm auf die Knie, jammerten, daß sie das Unmögliche thun wollten, diesem Elend zu entkommen. Ihrer viele sagten, sie müßten an Leib und Seele fast verfau- len, und die Leute seyen Kinder von Unschuld, wann sie in diese Oerter hineingebracht werden, gegen den Zustand, in welchem sie sich befinden, wann sie wieder herauskommen.
Er war am dritten Abend mit der Geschichte und Aussage dieser Leute fertig; eben so der Pfar- rer mit der Beschreibung des Zustands von 70 Kindern, die in diesem Hause an Krätze, Blässe, Dummheit und Unanstelligkeit bewiesen, daß ihre
aufzuzeichnen, was ſie gelernt — wodurch ſie glaub- ten, ihr Brod verdienen zu koͤnnen — und denn, wodurch ſie ungluͤcklich geworden — wie ſtark ihre Fehler in ihrem Land und in ihrem Dorf eingeriſ- ſen — was und wer daran ſchuldig — wie ſie glaubten, daß dieſen Fehlern am Beſten geſteuert werden koͤnnte — ob ſie glaubten, wenn ſie in der Freyheit waͤren, ſelber etwas dazu beytragen zu koͤnnen — und uͤberhaupt, womit ſie im Land et- was nuͤzliches anzufangen ſich im Stand glaubten — und endlich, ob ſie nicht gern in der Gefan- genſchaft ſelber ſich anſtrengen, und etwas lernen wollten, das ſie in Stand ſetzen koͤnnte, mit Nutzen fuͤr ſich ſelber und fuͤr ihren Nebenmenſchen in der Welt zu leben? Sie fielen faſt vor ihm auf die Knie, jammerten, daß ſie das Unmoͤgliche thun wollten, dieſem Elend zu entkommen. Ihrer viele ſagten, ſie muͤßten an Leib und Seele faſt verfau- len, und die Leute ſeyen Kinder von Unſchuld, wann ſie in dieſe Oerter hineingebracht werden, gegen den Zuſtand, in welchem ſie ſich befinden, wann ſie wieder herauskommen.
Er war am dritten Abend mit der Geſchichte und Ausſage dieſer Leute fertig; eben ſo der Pfar- rer mit der Beſchreibung des Zuſtands von 70 Kindern, die in dieſem Hauſe an Kraͤtze, Blaͤſſe, Dummheit und Unanſtelligkeit bewieſen, daß ihre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0500"n="482"/>
aufzuzeichnen, was ſie gelernt — wodurch ſie glaub-<lb/>
ten, ihr Brod verdienen zu koͤnnen — und denn,<lb/>
wodurch ſie ungluͤcklich geworden — wie ſtark ihre<lb/>
Fehler in ihrem Land und in ihrem Dorf eingeriſ-<lb/>ſen — was und wer daran ſchuldig — wie ſie<lb/>
glaubten, daß dieſen Fehlern am Beſten geſteuert<lb/>
werden koͤnnte — ob ſie glaubten, wenn ſie in der<lb/>
Freyheit waͤren, ſelber etwas dazu beytragen zu<lb/>
koͤnnen — und uͤberhaupt, womit ſie im Land et-<lb/>
was nuͤzliches anzufangen ſich im Stand glaubten<lb/>— und endlich, ob ſie nicht gern in der Gefan-<lb/>
genſchaft ſelber ſich anſtrengen, und etwas lernen<lb/>
wollten, das ſie in Stand ſetzen koͤnnte, mit Nutzen<lb/>
fuͤr ſich ſelber und fuͤr ihren Nebenmenſchen in der<lb/>
Welt zu leben? Sie fielen faſt vor ihm auf die<lb/>
Knie, jammerten, daß ſie das Unmoͤgliche thun<lb/>
wollten, dieſem Elend zu entkommen. Ihrer viele<lb/>ſagten, ſie muͤßten an Leib und Seele faſt verfau-<lb/>
len, und die Leute ſeyen Kinder von Unſchuld,<lb/>
wann ſie in dieſe Oerter hineingebracht werden,<lb/>
gegen den Zuſtand, in welchem ſie ſich befinden,<lb/>
wann ſie wieder herauskommen.</p><lb/><p>Er war am dritten Abend mit der Geſchichte<lb/>
und Ausſage dieſer Leute fertig; eben ſo der Pfar-<lb/>
rer mit der Beſchreibung des Zuſtands von 70<lb/>
Kindern, die in dieſem Hauſe an Kraͤtze, Blaͤſſe,<lb/>
Dummheit und Unanſtelligkeit bewieſen, daß ihre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[482/0500]
aufzuzeichnen, was ſie gelernt — wodurch ſie glaub-
ten, ihr Brod verdienen zu koͤnnen — und denn,
wodurch ſie ungluͤcklich geworden — wie ſtark ihre
Fehler in ihrem Land und in ihrem Dorf eingeriſ-
ſen — was und wer daran ſchuldig — wie ſie
glaubten, daß dieſen Fehlern am Beſten geſteuert
werden koͤnnte — ob ſie glaubten, wenn ſie in der
Freyheit waͤren, ſelber etwas dazu beytragen zu
koͤnnen — und uͤberhaupt, womit ſie im Land et-
was nuͤzliches anzufangen ſich im Stand glaubten
— und endlich, ob ſie nicht gern in der Gefan-
genſchaft ſelber ſich anſtrengen, und etwas lernen
wollten, das ſie in Stand ſetzen koͤnnte, mit Nutzen
fuͤr ſich ſelber und fuͤr ihren Nebenmenſchen in der
Welt zu leben? Sie fielen faſt vor ihm auf die
Knie, jammerten, daß ſie das Unmoͤgliche thun
wollten, dieſem Elend zu entkommen. Ihrer viele
ſagten, ſie muͤßten an Leib und Seele faſt verfau-
len, und die Leute ſeyen Kinder von Unſchuld,
wann ſie in dieſe Oerter hineingebracht werden,
gegen den Zuſtand, in welchem ſie ſich befinden,
wann ſie wieder herauskommen.
Er war am dritten Abend mit der Geſchichte
und Ausſage dieſer Leute fertig; eben ſo der Pfar-
rer mit der Beſchreibung des Zuſtands von 70
Kindern, die in dieſem Hauſe an Kraͤtze, Blaͤſſe,
Dummheit und Unanſtelligkeit bewieſen, daß ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/500>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.