Das macht nichts, sagte der Geistliche, wenn man die Begriffe der Religion auseinander sezt, so sieht man es deutlich und klar, daß eine solche Volks- stimmung der Religion Gefahr bringen müsse.
Aber wohlehrwürdiger Herr! erwiederte dieser nochmals, die Erfahrung sezt mir diese Begriffe ge- gen Sie so heiter auseinander, daß mir bey diesem Einwurf ist, ich höre in einer Hungersnoth mitten im Klaggeschrey von Tausenden, die nach Brod ru- fen, einen Menschen behaupten, das Brod sey nicht gesund zu essen. --
Das sey nicht geredt, sagte der Geistliche.
Und der Lieutenant -- man denke bey dem Wort "es sey etwas für die Religion gefährlich" so oft weder an Gott noch an die Menschen, und brauche es unzählichemal so in Tag hinein.
Wie ein benachbarter Pfarrer, der vor etlichen Monaten, da der Stral ein steinern Kreuz am Weg zerschmettert, auch behauptete, es sey der Religion gefährlich, wenn man die zerschmetterte Stücken Steine dem Volk lang vor den Augen lasse, man müsse geschwind wieder ein neues machen -- das ist blos lächerlich -- aber wenn man die Sorgfalt des Staats für des Volks erste Nothdurft, und für sein Brod und für die Nachkommenschaft, die ohne feste Richtung seines Geists auf das Irrdische nie zu- verläßig ist, als der Religion gefährlich erklären
Das macht nichts, ſagte der Geiſtliche, wenn man die Begriffe der Religion auseinander ſezt, ſo ſieht man es deutlich und klar, daß eine ſolche Volks- ſtimmung der Religion Gefahr bringen muͤſſe.
Aber wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte dieſer nochmals, die Erfahrung ſezt mir dieſe Begriffe ge- gen Sie ſo heiter auseinander, daß mir bey dieſem Einwurf iſt, ich hoͤre in einer Hungersnoth mitten im Klaggeſchrey von Tauſenden, die nach Brod ru- fen, einen Menſchen behaupten, das Brod ſey nicht geſund zu eſſen. —
Das ſey nicht geredt, ſagte der Geiſtliche.
Und der Lieutenant — man denke bey dem Wort „es ſey etwas fuͤr die Religion gefaͤhrlich“ ſo oft weder an Gott noch an die Menſchen, und brauche es unzaͤhlichemal ſo in Tag hinein.
Wie ein benachbarter Pfarrer, der vor etlichen Monaten, da der Stral ein ſteinern Kreuz am Weg zerſchmettert, auch behauptete, es ſey der Religion gefaͤhrlich, wenn man die zerſchmetterte Stuͤcken Steine dem Volk lang vor den Augen laſſe, man muͤſſe geſchwind wieder ein neues machen — das iſt blos laͤcherlich — aber wenn man die Sorgfalt des Staats fuͤr des Volks erſte Nothdurft, und fuͤr ſein Brod und fuͤr die Nachkommenſchaft, die ohne feſte Richtung ſeines Geiſts auf das Irrdiſche nie zu- verlaͤßig iſt, als der Religion gefaͤhrlich erklaͤren
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0472"n="454"/><p>Das macht nichts, ſagte der Geiſtliche, wenn<lb/>
man die Begriffe der Religion auseinander ſezt, ſo<lb/>ſieht man es deutlich und klar, daß eine ſolche Volks-<lb/>ſtimmung der Religion Gefahr bringen muͤſſe.</p><lb/><p>Aber wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte dieſer<lb/>
nochmals, die Erfahrung ſezt mir dieſe Begriffe ge-<lb/>
gen Sie ſo heiter auseinander, daß mir bey dieſem<lb/>
Einwurf iſt, ich hoͤre in einer Hungersnoth mitten<lb/>
im Klaggeſchrey von Tauſenden, die nach Brod ru-<lb/>
fen, einen Menſchen behaupten, das Brod ſey nicht<lb/>
geſund zu eſſen. —</p><lb/><p>Das ſey nicht geredt, ſagte der Geiſtliche.</p><lb/><p>Und der Lieutenant — man denke bey dem Wort<lb/>„es ſey etwas fuͤr die Religion gefaͤhrlich“ſo oft<lb/>
weder an Gott noch an die Menſchen, und brauche<lb/>
es unzaͤhlichemal ſo in Tag hinein.</p><lb/><p>Wie ein benachbarter Pfarrer, der vor etlichen<lb/>
Monaten, da der Stral ein ſteinern Kreuz am Weg<lb/>
zerſchmettert, auch behauptete, es ſey der Religion<lb/>
gefaͤhrlich, wenn man die zerſchmetterte Stuͤcken<lb/>
Steine dem Volk lang vor den Augen laſſe, man<lb/>
muͤſſe geſchwind wieder ein neues machen — das<lb/>
iſt blos laͤcherlich — aber wenn man die Sorgfalt<lb/>
des Staats fuͤr des Volks erſte Nothdurft, und fuͤr<lb/>ſein Brod und fuͤr die Nachkommenſchaft, die ohne<lb/>
feſte Richtung ſeines Geiſts auf das Irrdiſche nie zu-<lb/>
verlaͤßig iſt, als der Religion gefaͤhrlich erklaͤren<lb/></p></div></body></text></TEI>
[454/0472]
Das macht nichts, ſagte der Geiſtliche, wenn
man die Begriffe der Religion auseinander ſezt, ſo
ſieht man es deutlich und klar, daß eine ſolche Volks-
ſtimmung der Religion Gefahr bringen muͤſſe.
Aber wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte dieſer
nochmals, die Erfahrung ſezt mir dieſe Begriffe ge-
gen Sie ſo heiter auseinander, daß mir bey dieſem
Einwurf iſt, ich hoͤre in einer Hungersnoth mitten
im Klaggeſchrey von Tauſenden, die nach Brod ru-
fen, einen Menſchen behaupten, das Brod ſey nicht
geſund zu eſſen. —
Das ſey nicht geredt, ſagte der Geiſtliche.
Und der Lieutenant — man denke bey dem Wort
„es ſey etwas fuͤr die Religion gefaͤhrlich“ ſo oft
weder an Gott noch an die Menſchen, und brauche
es unzaͤhlichemal ſo in Tag hinein.
Wie ein benachbarter Pfarrer, der vor etlichen
Monaten, da der Stral ein ſteinern Kreuz am Weg
zerſchmettert, auch behauptete, es ſey der Religion
gefaͤhrlich, wenn man die zerſchmetterte Stuͤcken
Steine dem Volk lang vor den Augen laſſe, man
muͤſſe geſchwind wieder ein neues machen — das
iſt blos laͤcherlich — aber wenn man die Sorgfalt
des Staats fuͤr des Volks erſte Nothdurft, und fuͤr
ſein Brod und fuͤr die Nachkommenſchaft, die ohne
feſte Richtung ſeines Geiſts auf das Irrdiſche nie zu-
verlaͤßig iſt, als der Religion gefaͤhrlich erklaͤren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/472>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.