So machte er die Religionslehre zum Schluß- stein des Werks seiner Gesezgebung, die er auf das Fundament der festen und vollendeten Mauern ei- ner weisen bürgerlichen Bildung gebauet. Er hatte aber auch den Pfarrer dazu, sein Werk also zu be- schließen. --
Bonnal sah diesen Edeln, in der Mitternacht- stunde am Todbette der Menschen -- vor Aufgang der Sonnen auf den Wegen zu den zerstreuten fer- nen Berghütten seines Dorfs -- in der Mittag- stunde bey der hungernden Witwe -- am Abend im Kreis der Kinder des Dorfs -- in jeder Stun- de des Tags am Ort, wo ihn seine Pflicht hinrief, und der leiseste Wunsch eines Menschen in seinem Dorf war ihm Ruf seiner Pflicht, so bald er ihn ahndete. -- Und auf diesem Gottesdienst seines Lebens ruhete und gründete sich der Dienst seiner öffentlichen Lehre, die meistens in einfachen, aber Seel erhebenden Lobpreisungen und Danksagungen für die Wohlthaten Gottes bestunde, und durch ihre, das Innere unserer Natur erhebende und veredlende Wirkung, das Bedürfnis nach Wort- erklärungen und großen Reden über Pflicht und Meynungen bey seinen Bonnalern immer mehr verminderte. Er dachte und sagte hierüber die Worte Christi: "Wenn dein Auge heiter ist, so ist auch dein ganzer Leib heiter", und redete wenig mit dem Volk, und redete viel lieber und viel mehr
So machte er die Religionslehre zum Schluß- ſtein des Werks ſeiner Geſezgebung, die er auf das Fundament der feſten und vollendeten Mauern ei- ner weiſen buͤrgerlichen Bildung gebauet. Er hatte aber auch den Pfarrer dazu, ſein Werk alſo zu be- ſchließen. —
Bonnal ſah dieſen Edeln, in der Mitternacht- ſtunde am Todbette der Menſchen — vor Aufgang der Sonnen auf den Wegen zu den zerſtreuten fer- nen Berghuͤtten ſeines Dorfs — in der Mittag- ſtunde bey der hungernden Witwe — am Abend im Kreis der Kinder des Dorfs — in jeder Stun- de des Tags am Ort, wo ihn ſeine Pflicht hinrief, und der leiſeſte Wunſch eines Menſchen in ſeinem Dorf war ihm Ruf ſeiner Pflicht, ſo bald er ihn ahndete. — Und auf dieſem Gottesdienſt ſeines Lebens ruhete und gruͤndete ſich der Dienſt ſeiner oͤffentlichen Lehre, die meiſtens in einfachen, aber Seel erhebenden Lobpreiſungen und Dankſagungen fuͤr die Wohlthaten Gottes beſtunde, und durch ihre, das Innere unſerer Natur erhebende und veredlende Wirkung, das Beduͤrfnis nach Wort- erklaͤrungen und großen Reden uͤber Pflicht und Meynungen bey ſeinen Bonnalern immer mehr verminderte. Er dachte und ſagte hieruͤber die Worte Chriſti: „Wenn dein Auge heiter iſt, ſo iſt auch dein ganzer Leib heiter“, und redete wenig mit dem Volk, und redete viel lieber und viel mehr
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So machte er die Religionslehre zum Schluß-
ſtein des Werks ſeiner Geſezgebung, die er auf das
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ner weiſen buͤrgerlichen Bildung gebauet. Er hatte
aber auch den Pfarrer dazu, ſein Werk alſo zu be-
ſchließen. —
Bonnal ſah dieſen Edeln, in der Mitternacht-
ſtunde am Todbette der Menſchen — vor Aufgang
der Sonnen auf den Wegen zu den zerſtreuten fer-
nen Berghuͤtten ſeines Dorfs — in der Mittag-
ſtunde bey der hungernden Witwe — am Abend
im Kreis der Kinder des Dorfs — in jeder Stun-
de des Tags am Ort, wo ihn ſeine Pflicht hinrief,
und der leiſeſte Wunſch eines Menſchen in ſeinem
Dorf war ihm Ruf ſeiner Pflicht, ſo bald er ihn
ahndete. — Und auf dieſem Gottesdienſt ſeines
Lebens ruhete und gruͤndete ſich der Dienſt ſeiner
oͤffentlichen Lehre, die meiſtens in einfachen, aber
Seel erhebenden Lobpreiſungen und Dankſagungen
fuͤr die Wohlthaten Gottes beſtunde, und durch
ihre, das Innere unſerer Natur erhebende und
veredlende Wirkung, das Beduͤrfnis nach Wort-
erklaͤrungen und großen Reden uͤber Pflicht und
Meynungen bey ſeinen Bonnalern immer mehr
verminderte. Er dachte und ſagte hieruͤber die
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auch dein ganzer Leib heiter“, und redete wenig
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/364>, abgerufen am 25.11.2024.
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