und Seel so unnatürlich verlähmet waren, wie diese Ueberreste von verfauleten Müßiggängern, nicht vor Augen leiden; er sorgte aber für ihr Maul, so lang sie noch herumkriechen würden; sie dankten ihm unterthänig, und waren nicht mehr Wäch- ter. --
Unter diesen Vorsorgen konnte es nicht anderst seyn, das Stählen mußte abnehmen, und der Jun- ker machte den Abscheu dagegen, so wie gegen alle Arten von Liederlichkeit und Unbrauchbarkeit auf alle Weise rege; und ein Kind, das in der Schule nur einen Apfel, oder ein Mund voll Brod einem andern genommen, oder auf der Weyd nur eine Erdapfelstaude ausgerissen, entgieng einer öffentli- chen Auslacherstrafe nicht. Bey dem kleinsten Diebstahl kam das ganze Dorf in Bewegung; die Gassenaufseher kamen zusammen, die geringsten verdächtigen Umstände mußten verantwortet, die Möglichkeit, der Sache auf die Spur zu kommen, von allen Seiten erforscht, und alle Sorgfaltsan- stalten für die öffentliche Sicherheit von neuem ge- prüft und in Thätigkeit gesezt werden; und wenn ein Diebstahl entdeckt war, so war gesezlich befoh- len, daß das Dorfgericht keinen Umstand unerforscht lasse, wie die Person zu dieser landsgefährlichen Gewohnheit gekommen, welche in dem Fall betre- ten worden, wie weit ihre Erziehung daran
und Seel ſo unnatuͤrlich verlaͤhmet waren, wie dieſe Ueberreſte von verfauleten Muͤßiggaͤngern, nicht vor Augen leiden; er ſorgte aber fuͤr ihr Maul, ſo lang ſie noch herumkriechen wuͤrden; ſie dankten ihm unterthaͤnig, und waren nicht mehr Waͤch- ter. —
Unter dieſen Vorſorgen konnte es nicht anderſt ſeyn, das Staͤhlen mußte abnehmen, und der Jun- ker machte den Abſcheu dagegen, ſo wie gegen alle Arten von Liederlichkeit und Unbrauchbarkeit auf alle Weiſe rege; und ein Kind, das in der Schule nur einen Apfel, oder ein Mund voll Brod einem andern genommen, oder auf der Weyd nur eine Erdapfelſtaude ausgeriſſen, entgieng einer oͤffentli- chen Auslacherſtrafe nicht. Bey dem kleinſten Diebſtahl kam das ganze Dorf in Bewegung; die Gaſſenaufſeher kamen zuſammen, die geringſten verdaͤchtigen Umſtaͤnde mußten verantwortet, die Moͤglichkeit, der Sache auf die Spur zu kommen, von allen Seiten erforſcht, und alle Sorgfaltsan- ſtalten fuͤr die oͤffentliche Sicherheit von neuem ge- pruͤft und in Thaͤtigkeit geſezt werden; und wenn ein Diebſtahl entdeckt war, ſo war geſezlich befoh- len, daß das Dorfgericht keinen Umſtand unerforſcht laſſe, wie die Perſon zu dieſer landsgefaͤhrlichen Gewohnheit gekommen, welche in dem Fall betre- ten worden, wie weit ihre Erziehung daran
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[302/0320]
und Seel ſo unnatuͤrlich verlaͤhmet waren, wie dieſe
Ueberreſte von verfauleten Muͤßiggaͤngern, nicht
vor Augen leiden; er ſorgte aber fuͤr ihr Maul, ſo
lang ſie noch herumkriechen wuͤrden; ſie dankten
ihm unterthaͤnig, und waren nicht mehr Waͤch-
ter. —
Unter dieſen Vorſorgen konnte es nicht anderſt
ſeyn, das Staͤhlen mußte abnehmen, und der Jun-
ker machte den Abſcheu dagegen, ſo wie gegen alle
Arten von Liederlichkeit und Unbrauchbarkeit auf
alle Weiſe rege; und ein Kind, das in der Schule
nur einen Apfel, oder ein Mund voll Brod einem
andern genommen, oder auf der Weyd nur eine
Erdapfelſtaude ausgeriſſen, entgieng einer oͤffentli-
chen Auslacherſtrafe nicht. Bey dem kleinſten
Diebſtahl kam das ganze Dorf in Bewegung; die
Gaſſenaufſeher kamen zuſammen, die geringſten
verdaͤchtigen Umſtaͤnde mußten verantwortet, die
Moͤglichkeit, der Sache auf die Spur zu kommen,
von allen Seiten erforſcht, und alle Sorgfaltsan-
ſtalten fuͤr die oͤffentliche Sicherheit von neuem ge-
pruͤft und in Thaͤtigkeit geſezt werden; und wenn
ein Diebſtahl entdeckt war, ſo war geſezlich befoh-
len, daß das Dorfgericht keinen Umſtand unerforſcht
laſſe, wie die Perſon zu dieſer landsgefaͤhrlichen
Gewohnheit gekommen, welche in dem Fall betre-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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