Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

führen, vorlesen; während der Zeit berichtete der
Weibel den Pfarrer, daß alles zur Freundlichkeit
bey einander, dann mußte auch er des Amts hal-
ber erscheinen; überbrachte, wenn er kam, in der,
einen Hand das Kreuz Jesu, in der andern einen
Todtenkopf, stund so in die Mitte der Stuben hin-
ein, und stellte, wann der Schreiber mit seiner Er-
klärung, wohin die Prozesse führen, fertig war,
das Kreuz Jesu Christi und den Todtenkopf mitten
auf den Tisch, um welchen die Partheyen herum
sassen, sagte dann die einzigen Wort -- "lasset
uns bedenken, daß wir Christen sind, und an eine
Auferstehung der Todten glauben" --! -- Und
einen Augenblick darauf -- "Gottes heiliger Geist
bewahre euch alle vor aller Ungerechtigkeit, und vor
aller Lieblosigkeit"! -- Mit dem bog er sich nie-
der gegen das Kreuz Jesu Christi, wandte sein
Angesicht weg, und gieng aus der Versammlung
der Streitenden. Dann gab der Schreiber das
Kreuz Christi und den Todtenkopf dem Kläger in
seine Hand, der dann aufstehen, laut und vernem-
lich sagen mußte: "Ich habe ernstlich bedacht,
daß wir Christen sind, die an eine Auferstehung
der Todten glauben, und daß aller Streit der Men-
schen ihre Tage verkürzet"! -- Nach diesem that
der Beklagte das gleiche, und redete die gleichen
Worte. -- Dann mußte der Kläger abtreten, und
der ältere seiner zwey sechszigjärigen Beystehern trug

fuͤhren, vorleſen; waͤhrend der Zeit berichtete der
Weibel den Pfarrer, daß alles zur Freundlichkeit
bey einander, dann mußte auch er des Amts hal-
ber erſcheinen; uͤberbrachte, wenn er kam, in der,
einen Hand das Kreuz Jeſu, in der andern einen
Todtenkopf, ſtund ſo in die Mitte der Stuben hin-
ein, und ſtellte, wann der Schreiber mit ſeiner Er-
klaͤrung, wohin die Prozeſſe fuͤhren, fertig war,
das Kreuz Jeſu Chriſti und den Todtenkopf mitten
auf den Tiſch, um welchen die Partheyen herum
ſaſſen, ſagte dann die einzigen Wort — „laſſet
uns bedenken, daß wir Chriſten ſind, und an eine
Auferſtehung der Todten glauben“ —! — Und
einen Augenblick darauf — „Gottes heiliger Geiſt
bewahre euch alle vor aller Ungerechtigkeit, und vor
aller Liebloſigkeit“! — Mit dem bog er ſich nie-
der gegen das Kreuz Jeſu Chriſti, wandte ſein
Angeſicht weg, und gieng aus der Verſammlung
der Streitenden. Dann gab der Schreiber das
Kreuz Chriſti und den Todtenkopf dem Klaͤger in
ſeine Hand, der dann aufſtehen, laut und vernem-
lich ſagen mußte: „Ich habe ernſtlich bedacht,
daß wir Chriſten ſind, die an eine Auferſtehung
der Todten glauben, und daß aller Streit der Men-
ſchen ihre Tage verkuͤrzet“! — Nach dieſem that
der Beklagte das gleiche, und redete die gleichen
Worte. — Dann mußte der Klaͤger abtreten, und
der aͤltere ſeiner zwey ſechszigjaͤrigen Beyſtehern trug

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0305" n="287"/>
fu&#x0364;hren, vorle&#x017F;en; wa&#x0364;hrend der Zeit berichtete der<lb/>
Weibel den Pfarrer, daß alles zur Freundlichkeit<lb/>
bey einander, dann mußte auch er des Amts hal-<lb/>
ber er&#x017F;cheinen; u&#x0364;berbrachte, wenn er kam, in der,<lb/>
einen Hand das Kreuz Je&#x017F;u, in der andern einen<lb/>
Todtenkopf, &#x017F;tund &#x017F;o in die Mitte der Stuben hin-<lb/>
ein, und &#x017F;tellte, wann der Schreiber mit &#x017F;einer Er-<lb/>
kla&#x0364;rung, wohin die Proze&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;hren, fertig war,<lb/>
das Kreuz Je&#x017F;u Chri&#x017F;ti und den Todtenkopf mitten<lb/>
auf den Ti&#x017F;ch, um welchen die Partheyen herum<lb/>
&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;agte dann die einzigen Wort &#x2014; &#x201E;la&#x017F;&#x017F;et<lb/>
uns bedenken, daß wir Chri&#x017F;ten &#x017F;ind, und an eine<lb/>
Aufer&#x017F;tehung der Todten glauben&#x201C; &#x2014;! &#x2014; Und<lb/>
einen Augenblick darauf &#x2014; &#x201E;Gottes heiliger Gei&#x017F;t<lb/>
bewahre euch alle vor aller Ungerechtigkeit, und vor<lb/>
aller Lieblo&#x017F;igkeit&#x201C;! &#x2014; Mit dem bog er &#x017F;ich nie-<lb/>
der gegen das Kreuz Je&#x017F;u Chri&#x017F;ti, wandte &#x017F;ein<lb/>
Ange&#x017F;icht weg, und gieng aus der Ver&#x017F;ammlung<lb/>
der Streitenden. Dann gab der Schreiber das<lb/>
Kreuz Chri&#x017F;ti und den Todtenkopf dem Kla&#x0364;ger in<lb/>
&#x017F;eine Hand, der dann auf&#x017F;tehen, laut und vernem-<lb/>
lich &#x017F;agen mußte: &#x201E;Ich habe ern&#x017F;tlich bedacht,<lb/>
daß wir Chri&#x017F;ten &#x017F;ind, die an eine Aufer&#x017F;tehung<lb/>
der Todten glauben, und daß aller Streit der Men-<lb/>
&#x017F;chen ihre Tage verku&#x0364;rzet&#x201C;! &#x2014; Nach die&#x017F;em that<lb/>
der Beklagte das gleiche, und redete die gleichen<lb/>
Worte. &#x2014; Dann mußte der Kla&#x0364;ger abtreten, und<lb/>
der a&#x0364;ltere &#x017F;einer zwey &#x017F;echszigja&#x0364;rigen Bey&#x017F;tehern trug<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0305] fuͤhren, vorleſen; waͤhrend der Zeit berichtete der Weibel den Pfarrer, daß alles zur Freundlichkeit bey einander, dann mußte auch er des Amts hal- ber erſcheinen; uͤberbrachte, wenn er kam, in der, einen Hand das Kreuz Jeſu, in der andern einen Todtenkopf, ſtund ſo in die Mitte der Stuben hin- ein, und ſtellte, wann der Schreiber mit ſeiner Er- klaͤrung, wohin die Prozeſſe fuͤhren, fertig war, das Kreuz Jeſu Chriſti und den Todtenkopf mitten auf den Tiſch, um welchen die Partheyen herum ſaſſen, ſagte dann die einzigen Wort — „laſſet uns bedenken, daß wir Chriſten ſind, und an eine Auferſtehung der Todten glauben“ —! — Und einen Augenblick darauf — „Gottes heiliger Geiſt bewahre euch alle vor aller Ungerechtigkeit, und vor aller Liebloſigkeit“! — Mit dem bog er ſich nie- der gegen das Kreuz Jeſu Chriſti, wandte ſein Angeſicht weg, und gieng aus der Verſammlung der Streitenden. Dann gab der Schreiber das Kreuz Chriſti und den Todtenkopf dem Klaͤger in ſeine Hand, der dann aufſtehen, laut und vernem- lich ſagen mußte: „Ich habe ernſtlich bedacht, daß wir Chriſten ſind, die an eine Auferſtehung der Todten glauben, und daß aller Streit der Men- ſchen ihre Tage verkuͤrzet“! — Nach dieſem that der Beklagte das gleiche, und redete die gleichen Worte. — Dann mußte der Klaͤger abtreten, und der aͤltere ſeiner zwey ſechszigjaͤrigen Beyſtehern trug

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/305
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/305>, abgerufen am 25.11.2024.