Auch das habe er ein paarmal gesagt, "wann er izt nur sterben könnte, weil ihm so sey" -- und noch einmal über das andere -- "Mein Gott! Mein Gott!" gerufen, das er sonst auch nicht gethan.
Aber eine Saite, die Jahre lang in einem Winkel verrostet, springt entzwey, so bald du sie spannst, und dieser Gedanken tödete den Mann; er konnte nichts anders mehr als diesen Gedanken den- ken, staunte eine Weile demselben anhaltend nach, und da traf ihn der Schlag.
Das Bettelweib, das bey ihm war, freute sich, daß er an seinem Ende noch so zu guten Ge- danken gekommen, und nahm das beste Buch in die Hand, betete ihm in seinen lezten Nöthen das Gebet eines armen Sünders vor, den man auf die Richtstatt führt, und glaubte, es könnte im gan- zen Buch nichts finden, das sich besser für ihn schicke. Es wußte sonst nichts zu machen, weil sich seiner sonst Niemand nichts annahm als der Rudi, und dieser izt an seiner Hochzeit war. Aber der gute Mensch zörnete das, und sagte ihm, es sey ein Unmensch, daß es ihn habe so da liegen lassen können. -- Was willt doch sagen -- er- wiederte das Weib -- er ist, so lang ich ihm ab- warte, nie so schön da gelegen -- und eine Weile darauf -- man kann dem armen Tropfen izt nichts mehr Gutes thun, als Gott für ihn bitten, daß
Q 2
Auch das habe er ein paarmal geſagt, „wann er izt nur ſterben koͤnnte, weil ihm ſo ſey“ — und noch einmal uͤber das andere — „Mein Gott! Mein Gott!“ gerufen, das er ſonſt auch nicht gethan.
Aber eine Saite, die Jahre lang in einem Winkel verroſtet, ſpringt entzwey, ſo bald du ſie ſpannſt, und dieſer Gedanken toͤdete den Mann; er konnte nichts anders mehr als dieſen Gedanken den- ken, ſtaunte eine Weile demſelben anhaltend nach, und da traf ihn der Schlag.
Das Bettelweib, das bey ihm war, freute ſich, daß er an ſeinem Ende noch ſo zu guten Ge- danken gekommen, und nahm das beſte Buch in die Hand, betete ihm in ſeinen lezten Noͤthen das Gebet eines armen Suͤnders vor, den man auf die Richtſtatt fuͤhrt, und glaubte, es koͤnnte im gan- zen Buch nichts finden, das ſich beſſer fuͤr ihn ſchicke. Es wußte ſonſt nichts zu machen, weil ſich ſeiner ſonſt Niemand nichts annahm als der Rudi, und dieſer izt an ſeiner Hochzeit war. Aber der gute Menſch zoͤrnete das, und ſagte ihm, es ſey ein Unmenſch, daß es ihn habe ſo da liegen laſſen koͤnnen. — Was willt doch ſagen — er- wiederte das Weib — er iſt, ſo lang ich ihm ab- warte, nie ſo ſchoͤn da gelegen — und eine Weile darauf — man kann dem armen Tropfen izt nichts mehr Gutes thun, als Gott fuͤr ihn bitten, daß
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Auch das habe er ein paarmal geſagt, „wann er
izt nur ſterben koͤnnte, weil ihm ſo ſey“ — und
noch einmal uͤber das andere — „Mein Gott!
Mein Gott!“ gerufen, das er ſonſt auch nicht gethan.
Aber eine Saite, die Jahre lang in einem
Winkel verroſtet, ſpringt entzwey, ſo bald du ſie
ſpannſt, und dieſer Gedanken toͤdete den Mann; er
konnte nichts anders mehr als dieſen Gedanken den-
ken, ſtaunte eine Weile demſelben anhaltend nach,
und da traf ihn der Schlag.
Das Bettelweib, das bey ihm war, freute
ſich, daß er an ſeinem Ende noch ſo zu guten Ge-
danken gekommen, und nahm das beſte Buch in
die Hand, betete ihm in ſeinen lezten Noͤthen das
Gebet eines armen Suͤnders vor, den man auf die
Richtſtatt fuͤhrt, und glaubte, es koͤnnte im gan-
zen Buch nichts finden, das ſich beſſer fuͤr ihn
ſchicke. Es wußte ſonſt nichts zu machen, weil
ſich ſeiner ſonſt Niemand nichts annahm als der
Rudi, und dieſer izt an ſeiner Hochzeit war. Aber
der gute Menſch zoͤrnete das, und ſagte ihm, es
ſey ein Unmenſch, daß es ihn habe ſo da liegen
laſſen koͤnnen. — Was willt doch ſagen — er-
wiederte das Weib — er iſt, ſo lang ich ihm ab-
warte, nie ſo ſchoͤn da gelegen — und eine Weile
darauf — man kann dem armen Tropfen izt nichts
mehr Gutes thun, als Gott fuͤr ihn bitten, daß
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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