Eichen zersplittern, und den Athem der Lebenden auslöschen.
Auch die, sagte er, liegen an dieser Krank- heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die zwar Himmel hoch sich gegen die Sonne aufthür- men, aber von ihr nicht aufthauen -- ein Regen- tropfen im Thal sey mehr werth, als ein ganzes Meer solcher Wahrheit unter dem Eis und in un- zugänglichen Klüften.
So viel sagte er von der Verstandspest. --
Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun- ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspest? --
Meine alten Brüder und Schwestern, erwie- derte der Mann -- sezte aber bald hinzu -- den- noch ist es schade, daß man in der Welt nicht an- derst mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er kennt, das sie an sich haben.
So lang es so ist, werden sie sich immer aus- schliessend für das Salz der Erde achten, das seine Näße noch nicht verloren -- und bis man ihnen, wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend bessere Menschenführung zeiget, daß es noch bessere Salzquellen gebe, als die, so aus dem Berg ihrer unnatürlich umzäunten Frommkeit herausfließen, so ist es ihnen nicht zu verargen, daß sie so lang
Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden ausloͤſchen.
Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank- heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr- men, aber von ihr nicht aufthauen — ein Regen- tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un- zugaͤnglichen Kluͤften.
So viel ſagte er von der Verſtandspeſt. —
Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun- ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt? —
Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie- derte der Mann — ſezte aber bald hinzu — den- noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an- derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er kennt, das ſie an ſich haben.
So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus- ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine Naͤße noch nicht verloren — und bis man ihnen, wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen, ſo iſt es ihnen nicht zu verargen, daß ſie ſo lang
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0237"n="219"/>
Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden<lb/>
ausloͤſchen.</p><lb/><p>Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank-<lb/>
heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die<lb/>
zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr-<lb/>
men, aber von ihr nicht aufthauen — ein Regen-<lb/>
tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes<lb/>
Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un-<lb/>
zugaͤnglichen Kluͤften.</p><lb/><p>So viel ſagte er von der Verſtandspeſt. —</p><lb/><p>Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun-<lb/>
ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt? —</p><lb/><p>Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie-<lb/>
derte der Mann —ſezte aber bald hinzu — den-<lb/>
noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an-<lb/>
derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er<lb/>
kennt, das ſie an ſich haben.</p><lb/><p>So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus-<lb/>ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine<lb/>
Naͤße noch nicht verloren — und bis man ihnen,<lb/>
wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend<lb/>
beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere<lb/>
Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer<lb/>
unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen,<lb/>ſo iſt es ihnen nicht zu verargen, daß ſie ſo lang<lb/></p></div></body></text></TEI>
[219/0237]
Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden
ausloͤſchen.
Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank-
heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die
zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr-
men, aber von ihr nicht aufthauen — ein Regen-
tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes
Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un-
zugaͤnglichen Kluͤften.
So viel ſagte er von der Verſtandspeſt. —
Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun-
ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt? —
Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie-
derte der Mann — ſezte aber bald hinzu — den-
noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an-
derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er
kennt, das ſie an ſich haben.
So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus-
ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine
Naͤße noch nicht verloren — und bis man ihnen,
wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend
beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere
Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer
unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen,
ſo iſt es ihnen nicht zu verargen, daß ſie ſo lang
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/237>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.