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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Verhältnisse brauchbar zu machen, für welche ihn
die Natur nicht bestimmt, und nicht brauchbar ge-
macht, sondern vielmehr selber die gröste Hinder-
nisse dagegen in ihn hineingelegt hat: desnahen ist
der Mensch allenthalben in dem Grad, als ihm
wahre bürgerliche Bildung mangelt, Naturmensch;
und so weit ihm der Genuß von Einrichtungen,
Anstalten, Erziehungsarten, Sitten, Gesezen,
welche nothwendig sind, aus dem Menschen das zu
machen was er in der Gesellschaft seyn soll, man-
gelt, so weit bleibt er, troz aller innwendig leeren
Formen der äußerlichen bürgerlichen Einrichtungen,
in seinem Innern das schwache und gefährliche Ge-
schöpf, das er im Wald ist; er bleibt, troz seines
ganzen äußerlichen Bürgerlichkeitsmodel, ein unbe-
friedigter Naturmensch, mit allen Fehlern, Schwä-
chen, und Gefährlichkeiten dieses Zustands; ist auf
der einen Seite für die Gesellschaft so wenig nutz,
als sie vor ihm sicher ist; er drückt und verwirrt sie
nirgends, als wo er kann und mag -- und auf
der andern Seite hat er von ihr eben so wenig einen
befriedigenden Genuß; und es wär' ihm, wenn er
in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft von ihr
verwahrloset, wild, und natürlich aufwächst, gewiß
besser, er wäre nicht darinn, und könnte seine nich-
tigen Tage thierisch und wild, aber auch ungehemm-
und ungefesselt im Wald dahin leben, als Bürger
zu seyn, und aus Mangel bürgerlicher Bildung,

L 4

Verhaͤltniſſe brauchbar zu machen, fuͤr welche ihn
die Natur nicht beſtimmt, und nicht brauchbar ge-
macht, ſondern vielmehr ſelber die groͤſte Hinder-
niſſe dagegen in ihn hineingelegt hat: desnahen iſt
der Menſch allenthalben in dem Grad, als ihm
wahre buͤrgerliche Bildung mangelt, Naturmenſch;
und ſo weit ihm der Genuß von Einrichtungen,
Anſtalten, Erziehungsarten, Sitten, Geſezen,
welche nothwendig ſind, aus dem Menſchen das zu
machen was er in der Geſellſchaft ſeyn ſoll, man-
gelt, ſo weit bleibt er, troz aller innwendig leeren
Formen der aͤußerlichen buͤrgerlichen Einrichtungen,
in ſeinem Innern das ſchwache und gefaͤhrliche Ge-
ſchoͤpf, das er im Wald iſt; er bleibt, troz ſeines
ganzen aͤußerlichen Buͤrgerlichkeitsmodel, ein unbe-
friedigter Naturmenſch, mit allen Fehlern, Schwaͤ-
chen, und Gefaͤhrlichkeiten dieſes Zuſtands; iſt auf
der einen Seite fuͤr die Geſellſchaft ſo wenig nutz,
als ſie vor ihm ſicher iſt; er druͤckt und verwirrt ſie
nirgends, als wo er kann und mag — und auf
der andern Seite hat er von ihr eben ſo wenig einen
befriedigenden Genuß; und es waͤr' ihm, wenn er
in der Mitte der buͤrgerlichen Geſellſchaft von ihr
verwahrloſet, wild, und natuͤrlich aufwaͤchst, gewiß
beſſer, er waͤre nicht darinn, und koͤnnte ſeine nich-
tigen Tage thieriſch und wild, aber auch ungehemm-
und ungefeſſelt im Wald dahin leben, als Buͤrger
zu ſeyn, und aus Mangel buͤrgerlicher Bildung,

L 4
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[167/0185] Verhaͤltniſſe brauchbar zu machen, fuͤr welche ihn die Natur nicht beſtimmt, und nicht brauchbar ge- macht, ſondern vielmehr ſelber die groͤſte Hinder- niſſe dagegen in ihn hineingelegt hat: desnahen iſt der Menſch allenthalben in dem Grad, als ihm wahre buͤrgerliche Bildung mangelt, Naturmenſch; und ſo weit ihm der Genuß von Einrichtungen, Anſtalten, Erziehungsarten, Sitten, Geſezen, welche nothwendig ſind, aus dem Menſchen das zu machen was er in der Geſellſchaft ſeyn ſoll, man- gelt, ſo weit bleibt er, troz aller innwendig leeren Formen der aͤußerlichen buͤrgerlichen Einrichtungen, in ſeinem Innern das ſchwache und gefaͤhrliche Ge- ſchoͤpf, das er im Wald iſt; er bleibt, troz ſeines ganzen aͤußerlichen Buͤrgerlichkeitsmodel, ein unbe- friedigter Naturmenſch, mit allen Fehlern, Schwaͤ- chen, und Gefaͤhrlichkeiten dieſes Zuſtands; iſt auf der einen Seite fuͤr die Geſellſchaft ſo wenig nutz, als ſie vor ihm ſicher iſt; er druͤckt und verwirrt ſie nirgends, als wo er kann und mag — und auf der andern Seite hat er von ihr eben ſo wenig einen befriedigenden Genuß; und es waͤr' ihm, wenn er in der Mitte der buͤrgerlichen Geſellſchaft von ihr verwahrloſet, wild, und natuͤrlich aufwaͤchst, gewiß beſſer, er waͤre nicht darinn, und koͤnnte ſeine nich- tigen Tage thieriſch und wild, aber auch ungehemm- und ungefeſſelt im Wald dahin leben, als Buͤrger zu ſeyn, und aus Mangel buͤrgerlicher Bildung, L 4

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/185>, abgerufen am 21.11.2024.