geradem Rücken und festem Tritte vor ihm stehen konnten, als mit natürlichen Augen; und es wollte nicht in ihn hinein, daß das Glück der Menschen in einer Seelenstimmung bestehe, die ihn in solchem Grad schwach mache; er kannte den Zusammen- hang zwischen dem schwach seyn und krumm wer- den, und hielt es für das erste Bedürfniß des Menschen, daß er gerad bleibe.
Auch sah er nicht blos ihre Obern und Klu- gen, er sah auch ihre Untern und Dummen; und es fiel ihm auf, daß die erstern sind, was sie wol- len, und die andern, was sie müssen; auch dieser Unterschied behagte ihm nicht, noch weniger die Gewalt, die er sie über die Köpfe ihrer Leute haben sah, der Seinige war ihm um keinen Preis feil; und wenn er auch sein Volk damit auf eine Art hätte glücklich machen können, so wäre ihm das nicht möglich gewesen, ihnen also sein Haupt da- hin zu geben, daß sie dasselbe, wie die Tänzerin im Evangelio das Haupt Johannes des Täufers in einer Schüssel herum tragen konnten, zu Frau Müt- tern, und wohin sie wollten. Nein, das wäre ihm nicht möglich gewesen; auch sahen die Obern den Fehler dieser Eigensüchtigkeit an ihm gar bald, wie sie denn diesen Fehler an jedermann geschwind bemerken, und immer gar hoch halten; sie nennen ihn in ihrem Kinder-Unterricht den schlimmsten Tuck des leidigen Satans, der allen Glauben verscheue. --
geradem Ruͤcken und feſtem Tritte vor ihm ſtehen konnten, als mit natuͤrlichen Augen; und es wollte nicht in ihn hinein, daß das Gluͤck der Menſchen in einer Seelenſtimmung beſtehe, die ihn in ſolchem Grad ſchwach mache; er kannte den Zuſammen- hang zwiſchen dem ſchwach ſeyn und krumm wer- den, und hielt es fuͤr das erſte Beduͤrfniß des Menſchen, daß er gerad bleibe.
Auch ſah er nicht blos ihre Obern und Klu- gen, er ſah auch ihre Untern und Dummen; und es fiel ihm auf, daß die erſtern ſind, was ſie wol- len, und die andern, was ſie muͤſſen; auch dieſer Unterſchied behagte ihm nicht, noch weniger die Gewalt, die er ſie uͤber die Koͤpfe ihrer Leute haben ſah, der Seinige war ihm um keinen Preis feil; und wenn er auch ſein Volk damit auf eine Art haͤtte gluͤcklich machen koͤnnen, ſo waͤre ihm das nicht moͤglich geweſen, ihnen alſo ſein Haupt da- hin zu geben, daß ſie daſſelbe, wie die Taͤnzerin im Evangelio das Haupt Johannes des Taͤufers in einer Schuͤſſel herum tragen konnten, zu Frau Muͤt- tern, und wohin ſie wollten. Nein, das waͤre ihm nicht moͤglich geweſen; auch ſahen die Obern den Fehler dieſer Eigenſuͤchtigkeit an ihm gar bald, wie ſie denn dieſen Fehler an jedermann geſchwind bemerken, und immer gar hoch halten; ſie nennen ihn in ihrem Kinder-Unterricht den ſchlimmſten Tuck des leidigen Satans, der allen Glauben verſcheue. —
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geradem Ruͤcken und feſtem Tritte vor ihm ſtehen
konnten, als mit natuͤrlichen Augen; und es wollte
nicht in ihn hinein, daß das Gluͤck der Menſchen
in einer Seelenſtimmung beſtehe, die ihn in ſolchem
Grad ſchwach mache; er kannte den Zuſammen-
hang zwiſchen dem ſchwach ſeyn und krumm wer-
den, und hielt es fuͤr das erſte Beduͤrfniß des
Menſchen, daß er gerad bleibe.
Auch ſah er nicht blos ihre Obern und Klu-
gen, er ſah auch ihre Untern und Dummen; und
es fiel ihm auf, daß die erſtern ſind, was ſie wol-
len, und die andern, was ſie muͤſſen; auch dieſer
Unterſchied behagte ihm nicht, noch weniger die
Gewalt, die er ſie uͤber die Koͤpfe ihrer Leute haben
ſah, der Seinige war ihm um keinen Preis feil;
und wenn er auch ſein Volk damit auf eine Art
haͤtte gluͤcklich machen koͤnnen, ſo waͤre ihm das
nicht moͤglich geweſen, ihnen alſo ſein Haupt da-
hin zu geben, daß ſie daſſelbe, wie die Taͤnzerin
im Evangelio das Haupt Johannes des Taͤufers in
einer Schuͤſſel herum tragen konnten, zu Frau Muͤt-
tern, und wohin ſie wollten. Nein, das waͤre
ihm nicht moͤglich geweſen; auch ſahen die Obern
den Fehler dieſer Eigenſuͤchtigkeit an ihm gar bald,
wie ſie denn dieſen Fehler an jedermann geſchwind
bemerken, und immer gar hoch halten; ſie nennen
ihn in ihrem Kinder-Unterricht den ſchlimmſten Tuck
des leidigen Satans, der allen Glauben verſcheue. —
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/172>, abgerufen am 21.11.2024.
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