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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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ihre Kinder sinnet, habe nicht leicht ein un-
heiliges und ungesegnetes Haus.

Aber es ist freylich in unsern Tagen sehr
vergessen, was die Alten sagten:

Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte,
so kochte sie so daß ihr Mann es ihnen ansehen
mußte, er sey ihr nicht aus dem Sinn ge-
kommen, da sie selbige ob dem Feuer hatte.

Denket, was wird eine Frau über ihren
Mann vermögen, der es der Suppe, die sie
kocht, und dem Strumpf, den sie strikt, ansehen
muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt,
wann sie strikt und wann sie kocht.

Der Lienert hätte ein Unmensch seyn müs-
sen, wenn er bey einer solchen Frau so leicht,
und noch so gar in den ersten 14 Tagen wie
einige gemeynt, in sein altes liederliches Leben
wieder gefallen wäre; er ist zwar ein schwa-
cher aber ein guter Mensch und jezt entsezlich
froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und
des Wirthshauses los ist. --

Er geht euch alle Morgen der erste an seine
Arbeit; und noch vor den Sechsen, ehe er auf
den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder
zwey vorher allerhand in Ordnung, das er
ehdem mit keiner Hand angerührt; er mistet
den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar-
ten um, spaltet Holz, thut alle starke Haus-
werke für seine Frau, und ist bey dieser Mor-

ihre Kinder ſinnet, habe nicht leicht ein un-
heiliges und ungeſegnetes Haus.

Aber es iſt freylich in unſern Tagen ſehr
vergeſſen, was die Alten ſagten:

Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte,
ſo kochte ſie ſo daß ihr Mann es ihnen anſehen
mußte, er ſey ihr nicht aus dem Sinn ge-
kommen, da ſie ſelbige ob dem Feuer hatte.

Denket, was wird eine Frau uͤber ihren
Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die ſie
kocht, und dem Strumpf, den ſie ſtrikt, anſehen
muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt,
wann ſie ſtrikt und wann ſie kocht.

Der Lienert haͤtte ein Unmenſch ſeyn muͤſ-
ſen, wenn er bey einer ſolchen Frau ſo leicht,
und noch ſo gar in den erſten 14 Tagen wie
einige gemeynt, in ſein altes liederliches Leben
wieder gefallen waͤre; er iſt zwar ein ſchwa-
cher aber ein guter Menſch und jezt entſezlich
froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und
des Wirthshauſes los iſt. —

Er geht euch alle Morgen der erſte an ſeine
Arbeit; und noch vor den Sechſen, ehe er auf
den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder
zwey vorher allerhand in Ordnung, das er
ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er miſtet
den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar-
ten um, ſpaltet Holz, thut alle ſtarke Haus-
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[30/0052] ihre Kinder ſinnet, habe nicht leicht ein un- heiliges und ungeſegnetes Haus. Aber es iſt freylich in unſern Tagen ſehr vergeſſen, was die Alten ſagten: Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte, ſo kochte ſie ſo daß ihr Mann es ihnen anſehen mußte, er ſey ihr nicht aus dem Sinn ge- kommen, da ſie ſelbige ob dem Feuer hatte. Denket, was wird eine Frau uͤber ihren Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die ſie kocht, und dem Strumpf, den ſie ſtrikt, anſehen muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt, wann ſie ſtrikt und wann ſie kocht. Der Lienert haͤtte ein Unmenſch ſeyn muͤſ- ſen, wenn er bey einer ſolchen Frau ſo leicht, und noch ſo gar in den erſten 14 Tagen wie einige gemeynt, in ſein altes liederliches Leben wieder gefallen waͤre; er iſt zwar ein ſchwa- cher aber ein guter Menſch und jezt entſezlich froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und des Wirthshauſes los iſt. — Er geht euch alle Morgen der erſte an ſeine Arbeit; und noch vor den Sechſen, ehe er auf den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder zwey vorher allerhand in Ordnung, das er ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er miſtet den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar- ten um, ſpaltet Holz, thut alle ſtarke Haus- werke fuͤr ſeine Frau, und iſt bey dieſer Mor-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/52>, abgerufen am 25.11.2024.